Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Streben nach Genuß, der Zug nach Verän-
derung, die Zweifel, keiner Empfindung
einen dauernden Eindruck in seinem Herzen.
Da er alles mit lebhaftem Gefühl umfaßte,
so brannten seine Empfindungen wie Licht-
kugeln auf, die einen Augenblick die Fin-
sterniß erleuchten, und dann zerplatzen.
Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei-
ne in der Stadt, wo sie nun angekommen
waren, schlugen bald alle trübe Geister völ-
lig nieder. Da eben in derselben Jahr-
markt war, so gieng Faust mit dem Teufel
nach Tische auf den Platz, um das Gewim-
mel zu sehen.

Es war ein sonderbares Land, worin sie
sich nun befanden. In einem Kloster der
Stadt lebte ein junger Mönch, dem es ohne
viele Mühe gelungen war, einige wenige Fun-
ken von Verstand durch das Feuer seiner
Einbildungskraft gänzlich aufzubrennen,
und sich so mächtig von der Kraft des reli-
giösen Glaubens zu überzeugen, daß er hoff-
te, wenn einst seine Seele den wahren

Schwung
O 3

Streben nach Genuß, der Zug nach Veraͤn-
derung, die Zweifel, keiner Empfindung
einen dauernden Eindruck in ſeinem Herzen.
Da er alles mit lebhaftem Gefuͤhl umfaßte,
ſo brannten ſeine Empfindungen wie Licht-
kugeln auf, die einen Augenblick die Fin-
ſterniß erleuchten, und dann zerplatzen.
Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei-
ne in der Stadt, wo ſie nun angekommen
waren, ſchlugen bald alle truͤbe Geiſter voͤl-
lig nieder. Da eben in derſelben Jahr-
markt war, ſo gieng Fauſt mit dem Teufel
nach Tiſche auf den Platz, um das Gewim-
mel zu ſehen.

Es war ein ſonderbares Land, worin ſie
ſich nun befanden. In einem Kloſter der
Stadt lebte ein junger Moͤnch, dem es ohne
viele Muͤhe gelungen war, einige wenige Fun-
ken von Verſtand durch das Feuer ſeiner
Einbildungskraft gaͤnzlich aufzubrennen,
und ſich ſo maͤchtig von der Kraft des reli-
gioͤſen Glaubens zu uͤberzeugen, daß er hoff-
te, wenn einſt ſeine Seele den wahren

Schwung
O 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="213"/>
Streben nach Genuß, der Zug nach Vera&#x0364;n-<lb/>
derung, die Zweifel, keiner Empfindung<lb/>
einen dauernden Eindruck in &#x017F;einem Herzen.<lb/>
Da er alles mit lebhaftem Gefu&#x0364;hl umfaßte,<lb/>
&#x017F;o brannten &#x017F;eine Empfindungen wie Licht-<lb/>
kugeln auf, die einen Augenblick die Fin-<lb/>
&#x017F;terniß erleuchten, und dann zerplatzen.<lb/>
Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei-<lb/>
ne in der Stadt, wo &#x017F;ie nun angekommen<lb/>
waren, &#x017F;chlugen bald alle tru&#x0364;be Gei&#x017F;ter vo&#x0364;l-<lb/>
lig nieder. Da eben in der&#x017F;elben Jahr-<lb/>
markt war, &#x017F;o gieng Fau&#x017F;t mit dem Teufel<lb/>
nach Ti&#x017F;che auf den Platz, um das Gewim-<lb/>
mel zu &#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Es war ein &#x017F;onderbares Land, worin &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich nun befanden. In einem Klo&#x017F;ter der<lb/>
Stadt lebte ein junger Mo&#x0364;nch, dem es ohne<lb/>
viele Mu&#x0364;he gelungen war, einige wenige Fun-<lb/>
ken von Ver&#x017F;tand durch das Feuer &#x017F;einer<lb/>
Einbildungskraft ga&#x0364;nzlich aufzubrennen,<lb/>
und &#x017F;ich &#x017F;o ma&#x0364;chtig von der Kraft des reli-<lb/>
gio&#x0364;&#x017F;en Glaubens zu u&#x0364;berzeugen, daß er hoff-<lb/>
te, wenn ein&#x017F;t &#x017F;eine Seele den wahren<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Schwung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0224] Streben nach Genuß, der Zug nach Veraͤn- derung, die Zweifel, keiner Empfindung einen dauernden Eindruck in ſeinem Herzen. Da er alles mit lebhaftem Gefuͤhl umfaßte, ſo brannten ſeine Empfindungen wie Licht- kugeln auf, die einen Augenblick die Fin- ſterniß erleuchten, und dann zerplatzen. Die gute Mahlzeit und die herrlichen Wei- ne in der Stadt, wo ſie nun angekommen waren, ſchlugen bald alle truͤbe Geiſter voͤl- lig nieder. Da eben in derſelben Jahr- markt war, ſo gieng Fauſt mit dem Teufel nach Tiſche auf den Platz, um das Gewim- mel zu ſehen. Es war ein ſonderbares Land, worin ſie ſich nun befanden. In einem Kloſter der Stadt lebte ein junger Moͤnch, dem es ohne viele Muͤhe gelungen war, einige wenige Fun- ken von Verſtand durch das Feuer ſeiner Einbildungskraft gaͤnzlich aufzubrennen, und ſich ſo maͤchtig von der Kraft des reli- gioͤſen Glaubens zu uͤberzeugen, daß er hoff- te, wenn einſt ſeine Seele den wahren Schwung O 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/224
Zitationshilfe: Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/224>, abgerufen am 28.03.2024.