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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Zehnter Gesang.

Wer ich war! Ach bis zum Tode bist du erniedrigt,
Bis zum Tod am Kreuze, du Richter der Welten, erniedrigt!
Heut darf Adam an seine verziehne Missethat denken!

Voll von heiliger Wehmut und Seligkeit hielt er hier inne.
Eva hatte mit ihm gebetet, nicht ihre Stimme,
Aber ihr Herz, und Antliz. Sie hörte izt auf zu verstummen.
Ja! du Hingegebner, an diesem blutvollen Tage,
Ach, am Tage, da sie dich begraben werden, Erdulder!
Darf auch Eva sich ihres verziehnen Verbrechens erinnern,
Und, mit frommen Trauren, und weinendem Dank, es bekennen!
Also betete sie, und Adam begann von neuem:
Ja, wir fiengen es an! wir sezten es fort! und vollbrachtens!
Ach, wir thatens! ... Und ach, wer wars, wer hatte das leichtste
Aller Gebote gegeben? Es war Jehova! ... das erste,
Höchste, liebenswürdigste, beste, das Wesen der Wesen!
Unser Schöpfer! Der uns aus Staube zu Menschen emporschuf!
Den wir kannten, den wir in unsrer staunenden Seele
Unaussprechlich empfanden! Der iedes Gebet, mit Entzückung,
Jeden neuen Entschluß: Nicht von dem Baume zu essen!
Jeden Gehorsam vor unserem Falle, mit Wonne, belohnte!
Der uns immer, an Sich, durch tausendmal tausend Geschöpfe
Voll tiefsinniger Schönheit, erinnerte, wo die Betrachtung
Sicher mit neuen Entdeckungen, neuen Freuden, gekrönt ward!
Der die Mutter der Menschen mir gab, mich der Mutter der Menschen!
Dessen erscheinende Herrlichkeit uns noch höher zu ihm hub,
Als das alles, so uns, von allen Seiten, umringte!
Unser Schöpfer! ... Und doch erkühnten wir uns, der Geschaffnen
Schranken uns entschwingen zu wollen, und, Wesen der Wesen!
Dir zu gleichen! ... Du hasts uns, unser Vater, vergeben!
Preis, Anbetung, und Dank, und liebevoller Gehorsam
Sey
K 5

Zehnter Geſang.

Wer ich war! Ach bis zum Tode biſt du erniedrigt,
Bis zum Tod am Kreuze, du Richter der Welten, erniedrigt!
Heut darf Adam an ſeine verziehne Miſſethat denken!

Voll von heiliger Wehmut und Seligkeit hielt er hier inne.
Eva hatte mit ihm gebetet, nicht ihre Stimme,
Aber ihr Herz, und Antliz. Sie hoͤrte izt auf zu verſtummen.
Ja! du Hingegebner, an dieſem blutvollen Tage,
Ach, am Tage, da ſie dich begraben werden, Erdulder!
Darf auch Eva ſich ihres verziehnen Verbrechens erinnern,
Und, mit frommen Trauren, und weinendem Dank, es bekennen!
Alſo betete ſie, und Adam begann von neuem:
Ja, wir fiengen es an! wir ſezten es fort! und vollbrachtens!
Ach, wir thatens! … Und ach, wer wars, wer hatte das leichtſte
Aller Gebote gegeben? Es war Jehova! … das erſte,
Hoͤchſte, liebenswuͤrdigſte, beſte, das Weſen der Weſen!
Unſer Schoͤpfer! Der uns aus Staube zu Menſchen emporſchuf!
Den wir kannten, den wir in unſrer ſtaunenden Seele
Unausſprechlich empfanden! Der iedes Gebet, mit Entzuͤckung,
Jeden neuen Entſchluß: Nicht von dem Baume zu eſſen!
Jeden Gehorſam vor unſerem Falle, mit Wonne, belohnte!
Der uns immer, an Sich, durch tauſendmal tauſend Geſchoͤpfe
Voll tiefſinniger Schoͤnheit, erinnerte, wo die Betrachtung
Sicher mit neuen Entdeckungen, neuen Freuden, gekroͤnt ward!
Der die Mutter der Menſchen mir gab, mich der Mutter der Menſchen!
Deſſen erſcheinende Herrlichkeit uns noch hoͤher zu ihm hub,
Als das alles, ſo uns, von allen Seiten, umringte!
Unſer Schoͤpfer! … Und doch erkuͤhnten wir uns, der Geſchaffnen
Schranken uns entſchwingen zu wollen, und, Weſen der Weſen!
Dir zu gleichen! … Du haſts uns, unſer Vater, vergeben!
Preis, Anbetung, und Dank, und liebevoller Gehorſam
Sey
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[153/0183] Zehnter Geſang. Wer ich war! Ach bis zum Tode biſt du erniedrigt, Bis zum Tod am Kreuze, du Richter der Welten, erniedrigt! Heut darf Adam an ſeine verziehne Miſſethat denken! Voll von heiliger Wehmut und Seligkeit hielt er hier inne. Eva hatte mit ihm gebetet, nicht ihre Stimme, Aber ihr Herz, und Antliz. Sie hoͤrte izt auf zu verſtummen. Ja! du Hingegebner, an dieſem blutvollen Tage, Ach, am Tage, da ſie dich begraben werden, Erdulder! Darf auch Eva ſich ihres verziehnen Verbrechens erinnern, Und, mit frommen Trauren, und weinendem Dank, es bekennen! Alſo betete ſie, und Adam begann von neuem: Ja, wir fiengen es an! wir ſezten es fort! und vollbrachtens! Ach, wir thatens! … Und ach, wer wars, wer hatte das leichtſte Aller Gebote gegeben? Es war Jehova! … das erſte, Hoͤchſte, liebenswuͤrdigſte, beſte, das Weſen der Weſen! Unſer Schoͤpfer! Der uns aus Staube zu Menſchen emporſchuf! Den wir kannten, den wir in unſrer ſtaunenden Seele Unausſprechlich empfanden! Der iedes Gebet, mit Entzuͤckung, Jeden neuen Entſchluß: Nicht von dem Baume zu eſſen! Jeden Gehorſam vor unſerem Falle, mit Wonne, belohnte! Der uns immer, an Sich, durch tauſendmal tauſend Geſchoͤpfe Voll tiefſinniger Schoͤnheit, erinnerte, wo die Betrachtung Sicher mit neuen Entdeckungen, neuen Freuden, gekroͤnt ward! Der die Mutter der Menſchen mir gab, mich der Mutter der Menſchen! Deſſen erſcheinende Herrlichkeit uns noch hoͤher zu ihm hub, Als das alles, ſo uns, von allen Seiten, umringte! Unſer Schoͤpfer! … Und doch erkuͤhnten wir uns, der Geſchaffnen Schranken uns entſchwingen zu wollen, und, Weſen der Weſen! Dir zu gleichen! … Du haſts uns, unſer Vater, vergeben! Preis, Anbetung, und Dank, und liebevoller Gehorſam Sey K 5

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/183>, abgerufen am 16.04.2024.