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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769.

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Elfter Gesang.
Sah sie zu ihm hinauf; mit Blicken der innigsten Freundschaft
Sah er auf sie herunter. Mein Grab ist einsam, o Seraph! ...

Rahel, das Grab, in welchem nun bald der Göttliche ruhn wird,
Jst auch einsam! ... Unsterblicher, ach wie hat er gelitten,
Dessen Leichnam bald das Grab an Golgatha einschließt.
Ach, was hat sein versohnender Tod uns erworben! Jch werde
Einst erwachen! wo mein Gebein in Staube verweste,
Hier! Auch Auferstehung hat mir der Versöhner erworben!
Als sie noch redet', erhub sich um ihren Fuß von dem Grabe
Sanftaufwallender Duft, ein Wölkchen, wie etwa die Rose
Oder ein Frühlingslaub einhüllt, das Silber herabträuft.
Rahels Schimmer umzog den schwimmenden Duft mit Golde,
Wie die Sonne den Saum der Abendwolke vergoldet.
Und ihr Auge begleitet des Duftes Wallen. Sie sieht ihn,
Anders um sich, und wieder anders gebildet, herumziehn,
Steigen, sinken, zuletzt stets mehr sich nahen, und schimmern.
Und sie bewundert den Tiefsinn der immerändernden Schöpfung,
Unergründlich in Großem, und unergründlich in Kleinem,
Ohne zu wissen, wie nah der schwebende Duft ihr verwandt sey,
Und wozu ihn bald des Allmächtigen Stimme, Versöhner,
Deine Stimme nun bald erschaffen werde! Sie neigt sich
Ueber ihn, und betrachtet ihn, stets mit froherem Blicke.
Mit gefalteten Händen, voll süßer namloser Freuden,
Stand ihr Engel, und sah's. Jetzt scholl des Allmächtigen Stimme!
Rahel sank. Jhr daucht es, als ob sie in Thränen zerflösse,
Sanft in Freudenthränen; hinab in schattende Thale
Quölle; sich über ein wehendes, blumenvolles Gestade
Leicht
III Band. B

Elfter Geſang.
Sah ſie zu ihm hinauf; mit Blicken der innigſten Freundſchaft
Sah er auf ſie herunter. Mein Grab iſt einſam, o Seraph! …

Rahel, das Grab, in welchem nun bald der Goͤttliche ruhn wird,
Jſt auch einſam! … Unſterblicher, ach wie hat er gelitten,
Deſſen Leichnam bald das Grab an Golgatha einſchließt.
Ach, was hat ſein verſohnender Tod uns erworben! Jch werde
Einſt erwachen! wo mein Gebein in Staube verweſte,
Hier! Auch Auferſtehung hat mir der Verſoͤhner erworben!
Als ſie noch redet’, erhub ſich um ihren Fuß von dem Grabe
Sanftaufwallender Duft, ein Woͤlkchen, wie etwa die Roſe
Oder ein Fruͤhlingslaub einhuͤllt, das Silber herabtraͤuft.
Rahels Schimmer umzog den ſchwimmenden Duft mit Golde,
Wie die Sonne den Saum der Abendwolke vergoldet.
Und ihr Auge begleitet des Duftes Wallen. Sie ſieht ihn,
Anders um ſich, und wieder anders gebildet, herumziehn,
Steigen, ſinken, zuletzt ſtets mehr ſich nahen, und ſchimmern.
Und ſie bewundert den Tiefſinn der immeraͤndernden Schoͤpfung,
Unergruͤndlich in Großem, und unergruͤndlich in Kleinem,
Ohne zu wiſſen, wie nah der ſchwebende Duft ihr verwandt ſey,
Und wozu ihn bald des Allmaͤchtigen Stimme, Verſoͤhner,
Deine Stimme nun bald erſchaffen werde! Sie neigt ſich
Ueber ihn, und betrachtet ihn, ſtets mit froherem Blicke.
Mit gefalteten Haͤnden, voll ſuͤßer namloſer Freuden,
Stand ihr Engel, und ſah’s. Jetzt ſcholl des Allmaͤchtigen Stimme!
Rahel ſank. Jhr daucht es, als ob ſie in Thraͤnen zerfloͤſſe,
Sanft in Freudenthraͤnen; hinab in ſchattende Thale
Quoͤlle; ſich uͤber ein wehendes, blumenvolles Geſtade
Leicht
III Band. B
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[17/0033] Elfter Geſang. Sah ſie zu ihm hinauf; mit Blicken der innigſten Freundſchaft Sah er auf ſie herunter. Mein Grab iſt einſam, o Seraph! … Rahel, das Grab, in welchem nun bald der Goͤttliche ruhn wird, Jſt auch einſam! … Unſterblicher, ach wie hat er gelitten, Deſſen Leichnam bald das Grab an Golgatha einſchließt. Ach, was hat ſein verſohnender Tod uns erworben! Jch werde Einſt erwachen! wo mein Gebein in Staube verweſte, Hier! Auch Auferſtehung hat mir der Verſoͤhner erworben! Als ſie noch redet’, erhub ſich um ihren Fuß von dem Grabe Sanftaufwallender Duft, ein Woͤlkchen, wie etwa die Roſe Oder ein Fruͤhlingslaub einhuͤllt, das Silber herabtraͤuft. Rahels Schimmer umzog den ſchwimmenden Duft mit Golde, Wie die Sonne den Saum der Abendwolke vergoldet. Und ihr Auge begleitet des Duftes Wallen. Sie ſieht ihn, Anders um ſich, und wieder anders gebildet, herumziehn, Steigen, ſinken, zuletzt ſtets mehr ſich nahen, und ſchimmern. Und ſie bewundert den Tiefſinn der immeraͤndernden Schoͤpfung, Unergruͤndlich in Großem, und unergruͤndlich in Kleinem, Ohne zu wiſſen, wie nah der ſchwebende Duft ihr verwandt ſey, Und wozu ihn bald des Allmaͤchtigen Stimme, Verſoͤhner, Deine Stimme nun bald erſchaffen werde! Sie neigt ſich Ueber ihn, und betrachtet ihn, ſtets mit froherem Blicke. Mit gefalteten Haͤnden, voll ſuͤßer namloſer Freuden, Stand ihr Engel, und ſah’s. Jetzt ſcholl des Allmaͤchtigen Stimme! Rahel ſank. Jhr daucht es, als ob ſie in Thraͤnen zerfloͤſſe, Sanft in Freudenthraͤnen; hinab in ſchattende Thale Quoͤlle; ſich uͤber ein wehendes, blumenvolles Geſtade Leicht III Band. B

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 3. Halle, 1769, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias03_1769/33>, abgerufen am 16.04.2024.