sind, und daß es nur eines Zwischenraums von wenig Tagen bedarf, um uns wieder die Augen zu öfnen, über den Werth und Vorzug unsers Freundes vor andern mittelmäßigen Leuten, mit denen wir indeß gelebt haben; allein bes¬ ser ist es doch, wenn dergleichen Empfindungen gar nicht in unser Herz kommen, und das kann man ja ändern. Man verbanne daher auch aus dem Umgange mit Freunden jene pöbel¬ hafte Vertraulichkeit, jenen Mangel an Höf¬ lichkeit und jene Nachlässigkeit im Aeussern, wovon ich im vierten Capittel, besonders in dessen vierten Abschnitte geredet habe, und lege endlich auch dem Freunde keine Art von Zwang auf, verlange nicht, daß er sich nach unsern Launen, nach unserm Geschmacke richten, noch daß er den Umgang solcher Leute, gegen welche wir eingenommen sind, fliehen solle!
Eben so wichtig aber ist es auch, sich den Umgang mit geliebten Personen nicht so sehr zum Bedürfnisse zu machen, daß man ohne sie durchaus nicht leben zu können glaubt. Wir sind auf dieser Welt nicht Herrn über unser Schicksal. Man muß sich gewöhnen, Tren¬ nungen durch Tod, Entfernung und andre Um¬
stände
ſind, und daß es nur eines Zwiſchenraums von wenig Tagen bedarf, um uns wieder die Augen zu oͤfnen, uͤber den Werth und Vorzug unſers Freundes vor andern mittelmaͤßigen Leuten, mit denen wir indeß gelebt haben; allein beſ¬ ſer iſt es doch, wenn dergleichen Empfindungen gar nicht in unſer Herz kommen, und das kann man ja aͤndern. Man verbanne daher auch aus dem Umgange mit Freunden jene poͤbel¬ hafte Vertraulichkeit, jenen Mangel an Hoͤf¬ lichkeit und jene Nachlaͤſſigkeit im Aeuſſern, wovon ich im vierten Capittel, beſonders in deſſen vierten Abſchnitte geredet habe, und lege endlich auch dem Freunde keine Art von Zwang auf, verlange nicht, daß er ſich nach unſern Launen, nach unſerm Geſchmacke richten, noch daß er den Umgang ſolcher Leute, gegen welche wir eingenommen ſind, fliehen ſolle!
Eben ſo wichtig aber iſt es auch, ſich den Umgang mit geliebten Perſonen nicht ſo ſehr zum Beduͤrfniſſe zu machen, daß man ohne ſie durchaus nicht leben zu koͤnnen glaubt. Wir ſind auf dieſer Welt nicht Herrn uͤber unſer Schickſal. Man muß ſich gewoͤhnen, Tren¬ nungen durch Tod, Entfernung und andre Um¬
ſtaͤnde
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[252/0282]
ſind, und daß es nur eines Zwiſchenraums von
wenig Tagen bedarf, um uns wieder die Augen
zu oͤfnen, uͤber den Werth und Vorzug unſers
Freundes vor andern mittelmaͤßigen Leuten,
mit denen wir indeß gelebt haben; allein beſ¬
ſer iſt es doch, wenn dergleichen Empfindungen
gar nicht in unſer Herz kommen, und das kann
man ja aͤndern. Man verbanne daher auch
aus dem Umgange mit Freunden jene poͤbel¬
hafte Vertraulichkeit, jenen Mangel an Hoͤf¬
lichkeit und jene Nachlaͤſſigkeit im Aeuſſern,
wovon ich im vierten Capittel, beſonders in
deſſen vierten Abſchnitte geredet habe, und lege
endlich auch dem Freunde keine Art von Zwang
auf, verlange nicht, daß er ſich nach unſern
Launen, nach unſerm Geſchmacke richten, noch
daß er den Umgang ſolcher Leute, gegen welche
wir eingenommen ſind, fliehen ſolle!
Eben ſo wichtig aber iſt es auch, ſich den
Umgang mit geliebten Perſonen nicht ſo ſehr
zum Beduͤrfniſſe zu machen, daß man ohne ſie
durchaus nicht leben zu koͤnnen glaubt. Wir
ſind auf dieſer Welt nicht Herrn uͤber unſer
Schickſal. Man muß ſich gewoͤhnen, Tren¬
nungen durch Tod, Entfernung und andre Um¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/282>, abgerufen am 18.04.2024.
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