Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Hier endete der junge Mann, sein Herz
schien erleichtert, und gab ihm Tränen. Wie
konnt ich kalt hineinblikken in seinen Schmerz?
meine Tränen mischten sich mit den seinigen;
ich umarmte ihn feurig, drükte seine Rechte, und
verließ ihn -- Aber der Gedanke stand so fest
in meiner Seele, unerschüttert stand er da, zu
wallfahrten zum Hügel der Vollendeten, und
ihren Aschenkrug mit meinen Tränen zu nezzen.
Jch bin dir das Opfer schuldig, theures Mäd-
chen!
mag dich der verdammen, der kalt und
fühllos seinen Weg fortschlendert; der Garten
und das Feld hat keine Blume mehr, sonst wollte
ich deinen Grabhügel damit bestreuen: aber wenn
die ersten Veilchen blühen, will ich sie auf deine
Gruft streuen, vielleicht schwebt dein Geist un-
sichtbar einher, und lispelt im lauen West, Ruhe
und Trost in meine Seele. Und sollte der Jüng-
ling kommen, der das Mädchen liebte, sollte er
den Ueberrest seines schwachen Körpers wankend
zu ihrem Grabhügel schleppen, so will ich mich
entfernen, denn das Grab gehört ihm, ist
ein Stük von seinem Herzen; ich will den Lauf
seiner Tränen nicht aufhalten, denn sie machen

H

Hier endete der junge Mann, ſein Herz
ſchien erleichtert, und gab ihm Traͤnen. Wie
konnt ich kalt hineinblikken in ſeinen Schmerz?
meine Traͤnen miſchten ſich mit den ſeinigen;
ich umarmte ihn feurig, druͤkte ſeine Rechte, und
verließ ihn — Aber der Gedanke ſtand ſo feſt
in meiner Seele, unerſchuͤttert ſtand er da, zu
wallfahrten zum Huͤgel der Vollendeten, und
ihren Aſchenkrug mit meinen Traͤnen zu nezzen.
Jch bin dir das Opfer ſchuldig, theures Maͤd-
chen!
mag dich der verdammen, der kalt und
fuͤhllos ſeinen Weg fortſchlendert; der Garten
und das Feld hat keine Blume mehr, ſonſt wollte
ich deinen Grabhuͤgel damit beſtreuen: aber wenn
die erſten Veilchen bluͤhen, will ich ſie auf deine
Gruft ſtreuen, vielleicht ſchwebt dein Geiſt un-
ſichtbar einher, und liſpelt im lauen Weſt, Ruhe
und Troſt in meine Seele. Und ſollte der Juͤng-
ling kommen, der das Maͤdchen liebte, ſollte er
den Ueberreſt ſeines ſchwachen Koͤrpers wankend
zu ihrem Grabhuͤgel ſchleppen, ſo will ich mich
entfernen, denn das Grab gehoͤrt ihm, iſt
ein Stuͤk von ſeinem Herzen; ich will den Lauf
ſeiner Traͤnen nicht aufhalten, denn ſie machen

H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0121" n="113"/>
          <p>Hier endete der junge Mann, &#x017F;ein Herz<lb/>
&#x017F;chien erleichtert, und gab ihm Tra&#x0364;nen. Wie<lb/>
konnt ich kalt hineinblikken in &#x017F;einen Schmerz?<lb/>
meine Tra&#x0364;nen mi&#x017F;chten &#x017F;ich mit den &#x017F;einigen;<lb/>
ich umarmte ihn feurig, dru&#x0364;kte &#x017F;eine Rechte, und<lb/>
verließ ihn &#x2014; Aber <hi rendition="#fr">der Gedanke</hi> &#x017F;tand &#x017F;o fe&#x017F;t<lb/>
in meiner Seele, uner&#x017F;chu&#x0364;ttert &#x017F;tand er da, zu<lb/>
wallfahrten zum Hu&#x0364;gel der Vollendeten, und<lb/>
ihren A&#x017F;chenkrug mit meinen Tra&#x0364;nen zu nezzen.<lb/>
Jch bin dir das Opfer &#x017F;chuldig, <hi rendition="#fr">theures Ma&#x0364;d-<lb/>
chen!</hi> mag dich der verdammen, der kalt und<lb/>
fu&#x0364;hllos &#x017F;einen Weg fort&#x017F;chlendert; der Garten<lb/>
und das Feld hat keine Blume mehr, &#x017F;on&#x017F;t wollte<lb/>
ich deinen Grabhu&#x0364;gel damit be&#x017F;treuen: aber wenn<lb/>
die er&#x017F;ten Veilchen blu&#x0364;hen, will ich &#x017F;ie auf deine<lb/>
Gruft &#x017F;treuen, vielleicht &#x017F;chwebt dein Gei&#x017F;t un-<lb/>
&#x017F;ichtbar einher, und li&#x017F;pelt im lauen We&#x017F;t, Ruhe<lb/>
und Tro&#x017F;t in meine Seele. Und &#x017F;ollte der Ju&#x0364;ng-<lb/>
ling kommen, der das Ma&#x0364;dchen liebte, &#x017F;ollte er<lb/>
den Ueberre&#x017F;t &#x017F;eines &#x017F;chwachen Ko&#x0364;rpers wankend<lb/>
zu ihrem Grabhu&#x0364;gel &#x017F;chleppen, &#x017F;o will ich mich<lb/>
entfernen, denn das Grab geho&#x0364;rt ihm, i&#x017F;t<lb/>
ein Stu&#x0364;k von &#x017F;einem Herzen; ich will den Lauf<lb/>
&#x017F;einer Tra&#x0364;nen nicht aufhalten, denn &#x017F;ie machen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0121] Hier endete der junge Mann, ſein Herz ſchien erleichtert, und gab ihm Traͤnen. Wie konnt ich kalt hineinblikken in ſeinen Schmerz? meine Traͤnen miſchten ſich mit den ſeinigen; ich umarmte ihn feurig, druͤkte ſeine Rechte, und verließ ihn — Aber der Gedanke ſtand ſo feſt in meiner Seele, unerſchuͤttert ſtand er da, zu wallfahrten zum Huͤgel der Vollendeten, und ihren Aſchenkrug mit meinen Traͤnen zu nezzen. Jch bin dir das Opfer ſchuldig, theures Maͤd- chen! mag dich der verdammen, der kalt und fuͤhllos ſeinen Weg fortſchlendert; der Garten und das Feld hat keine Blume mehr, ſonſt wollte ich deinen Grabhuͤgel damit beſtreuen: aber wenn die erſten Veilchen bluͤhen, will ich ſie auf deine Gruft ſtreuen, vielleicht ſchwebt dein Geiſt un- ſichtbar einher, und liſpelt im lauen Weſt, Ruhe und Troſt in meine Seele. Und ſollte der Juͤng- ling kommen, der das Maͤdchen liebte, ſollte er den Ueberreſt ſeines ſchwachen Koͤrpers wankend zu ihrem Grabhuͤgel ſchleppen, ſo will ich mich entfernen, denn das Grab gehoͤrt ihm, iſt ein Stuͤk von ſeinem Herzen; ich will den Lauf ſeiner Traͤnen nicht aufhalten, denn ſie machen H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/121
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/121>, abgerufen am 18.04.2024.