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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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thek), und erwartete daher, was die Gebäude betrifft,
mehr als ich fand; so wie gewöhnlich eine gemahlte Stadt
sich besser ausnimmt, als eine wirkliche. Doch um des
sogenannten Schlosses Ferney willen war ich ja auch nicht
hierher gekommen; nur den Ort wollte ich betreten, wo
Voltaire gelebt, gewandelt, gedichtet; in den Empfindun-
gen wollte ich schwelgen, die an einem solchen Orte eine
reizbare Phantasie so leicht erweckt. Das Haus gehört frei-
lich jetzt, ich weiß nicht welchem Kaufmann; aber er hat
Achtung für Voltair's Andenken bewiesen, indem er dessen
Schlafzimmer ganz so gelassen, wie Voltaire es bewohnte.

Da stand noch sein Bett mit den verblichenen gelbsei-
denen Umhängen, da hing noch Le Kains Portrait über
dem Bett, Friedrich der Große daneben, eine Stickerei
der Kaiserin Katharina und so manches andere. Jn einer
Nische war noch die Urne zu sehen, in welcher sein Herz
gelegen, mit der Unterschrift: "ich bin zufrieden, denn
mein Herz bleibt unter euch." Jn einem andern Zimmer
fanden wir noch das Billard, auf dem er zu spielen pfleg-
te, und -- auch noch eine lebende Reliquie wandelt im
Hause herum, ein alter Prediger, der 9 Jahre hier mit
Voltaire gelebt hatte. -- Jch kann die sonderbare Weh-
muth meiner Empfindungen nicht in Worte kleiden. Sie,
liebe Freundin, so reich an Zartgefühl, verstehn mich ganz,
auch ohne Worte.

Hier endet meine Reisebeschreibung durch die Schweiz,
der Sie wenigstens nicht Weitläuftigkeit vorwerfen werden.
Mache ich einst eine Fußreise in diesen romantischen Ge-
genden (und das ist mein fester Vorsatz), dann -- ja dann
hoffe ich auch mehr zu empfinden, als zu schreiben. --
Zu Fuß muß man die Schweiz besuchen; das Reisen im
Wagen ist äußerst langweilig und sehr theuer. Wenn so

thek), und erwartete daher, was die Gebaͤude betrifft,
mehr als ich fand; so wie gewoͤhnlich eine gemahlte Stadt
sich besser ausnimmt, als eine wirkliche. Doch um des
sogenannten Schlosses Ferney willen war ich ja auch nicht
hierher gekommen; nur den Ort wollte ich betreten, wo
Voltaire gelebt, gewandelt, gedichtet; in den Empfindun-
gen wollte ich schwelgen, die an einem solchen Orte eine
reizbare Phantasie so leicht erweckt. Das Haus gehoͤrt frei-
lich jetzt, ich weiß nicht welchem Kaufmann; aber er hat
Achtung fuͤr Voltair's Andenken bewiesen, indem er dessen
Schlafzimmer ganz so gelassen, wie Voltaire es bewohnte.

Da stand noch sein Bett mit den verblichenen gelbsei-
denen Umhaͤngen, da hing noch Le Kains Portrait uͤber
dem Bett, Friedrich der Große daneben, eine Stickerei
der Kaiserin Katharina und so manches andere. Jn einer
Nische war noch die Urne zu sehen, in welcher sein Herz
gelegen, mit der Unterschrift: „ich bin zufrieden, denn
mein Herz bleibt unter euch.“ Jn einem andern Zimmer
fanden wir noch das Billard, auf dem er zu spielen pfleg-
te, und — auch noch eine lebende Reliquie wandelt im
Hause herum, ein alter Prediger, der 9 Jahre hier mit
Voltaire gelebt hatte. — Jch kann die sonderbare Weh-
muth meiner Empfindungen nicht in Worte kleiden. Sie,
liebe Freundin, so reich an Zartgefuͤhl, verstehn mich ganz,
auch ohne Worte.

Hier endet meine Reisebeschreibung durch die Schweiz,
der Sie wenigstens nicht Weitlaͤuftigkeit vorwerfen werden.
Mache ich einst eine Fußreise in diesen romantischen Ge-
genden (und das ist mein fester Vorsatz), dann — ja dann
hoffe ich auch mehr zu empfinden, als zu schreiben. —
Zu Fuß muß man die Schweiz besuchen; das Reisen im
Wagen ist aͤußerst langweilig und sehr theuer. Wenn so

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[33/0037] thek), und erwartete daher, was die Gebaͤude betrifft, mehr als ich fand; so wie gewoͤhnlich eine gemahlte Stadt sich besser ausnimmt, als eine wirkliche. Doch um des sogenannten Schlosses Ferney willen war ich ja auch nicht hierher gekommen; nur den Ort wollte ich betreten, wo Voltaire gelebt, gewandelt, gedichtet; in den Empfindun- gen wollte ich schwelgen, die an einem solchen Orte eine reizbare Phantasie so leicht erweckt. Das Haus gehoͤrt frei- lich jetzt, ich weiß nicht welchem Kaufmann; aber er hat Achtung fuͤr Voltair's Andenken bewiesen, indem er dessen Schlafzimmer ganz so gelassen, wie Voltaire es bewohnte. Da stand noch sein Bett mit den verblichenen gelbsei- denen Umhaͤngen, da hing noch Le Kains Portrait uͤber dem Bett, Friedrich der Große daneben, eine Stickerei der Kaiserin Katharina und so manches andere. Jn einer Nische war noch die Urne zu sehen, in welcher sein Herz gelegen, mit der Unterschrift: „ich bin zufrieden, denn mein Herz bleibt unter euch.“ Jn einem andern Zimmer fanden wir noch das Billard, auf dem er zu spielen pfleg- te, und — auch noch eine lebende Reliquie wandelt im Hause herum, ein alter Prediger, der 9 Jahre hier mit Voltaire gelebt hatte. — Jch kann die sonderbare Weh- muth meiner Empfindungen nicht in Worte kleiden. Sie, liebe Freundin, so reich an Zartgefuͤhl, verstehn mich ganz, auch ohne Worte. Hier endet meine Reisebeschreibung durch die Schweiz, der Sie wenigstens nicht Weitlaͤuftigkeit vorwerfen werden. Mache ich einst eine Fußreise in diesen romantischen Ge- genden (und das ist mein fester Vorsatz), dann — ja dann hoffe ich auch mehr zu empfinden, als zu schreiben. — Zu Fuß muß man die Schweiz besuchen; das Reisen im Wagen ist aͤußerst langweilig und sehr theuer. Wenn so

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/37>, abgerufen am 25.04.2024.