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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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XVI.
"Schlaf wohl, Alte."

Ein ganzes Jahr lang kämpfte Timpe diesen Kampf der
Verzweiflung eines herabgekommenen Handwerkers. Das
ersparte Kapital war längst den Weg alles Geldes
gegangen.

Vor fünfzehn Jahren hatte er, um neue Drehbänke an¬
zuschaffen und eine alte Schuld zu tilgen, eine Hypothek auf
sein Haus eintragen lassen. In der letzten Zeit war es ihm
nur mit Mühe gelungen, die fälligen Quartalszinsen zusammen¬
zubringen. Der Darleiher war zwar ein vermögender
Mann und wohnte zudem in einem Vororte Berlins, es
konnte jedoch leicht die Möglichkeit eintreten, daß er
von seinem Kündigungsrechte Gebrauch machte, sobald
er erfuhr, wie übel es um den Meister stand. Und dann
die Nachbarschaft, Gevatter Hinz und Kunz -- die Klatsch¬
basen und schadenfrohen Seelen, die immer noch auf die
Stunde warteten, wo der vierstöckige Prachtbau entstehen
sollte. Was für Augen würden sie machen, wie die Ohren
spitzen, wie herausfordernd die Hüte auf dem Kopf behalten,


XVI.
„Schlaf wohl, Alte.“

Ein ganzes Jahr lang kämpfte Timpe dieſen Kampf der
Verzweiflung eines herabgekommenen Handwerkers. Das
erſparte Kapital war längſt den Weg alles Geldes
gegangen.

Vor fünfzehn Jahren hatte er, um neue Drehbänke an¬
zuſchaffen und eine alte Schuld zu tilgen, eine Hypothek auf
ſein Haus eintragen laſſen. In der letzten Zeit war es ihm
nur mit Mühe gelungen, die fälligen Quartalszinſen zuſammen¬
zubringen. Der Darleiher war zwar ein vermögender
Mann und wohnte zudem in einem Vororte Berlins, es
konnte jedoch leicht die Möglichkeit eintreten, daß er
von ſeinem Kündigungsrechte Gebrauch machte, ſobald
er erfuhr, wie übel es um den Meiſter ſtand. Und dann
die Nachbarſchaft, Gevatter Hinz und Kunz — die Klatſch¬
baſen und ſchadenfrohen Seelen, die immer noch auf die
Stunde warteten, wo der vierſtöckige Prachtbau entſtehen
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[[242]/0254] XVI. „Schlaf wohl, Alte.“ Ein ganzes Jahr lang kämpfte Timpe dieſen Kampf der Verzweiflung eines herabgekommenen Handwerkers. Das erſparte Kapital war längſt den Weg alles Geldes gegangen. Vor fünfzehn Jahren hatte er, um neue Drehbänke an¬ zuſchaffen und eine alte Schuld zu tilgen, eine Hypothek auf ſein Haus eintragen laſſen. In der letzten Zeit war es ihm nur mit Mühe gelungen, die fälligen Quartalszinſen zuſammen¬ zubringen. Der Darleiher war zwar ein vermögender Mann und wohnte zudem in einem Vororte Berlins, es konnte jedoch leicht die Möglichkeit eintreten, daß er von ſeinem Kündigungsrechte Gebrauch machte, ſobald er erfuhr, wie übel es um den Meiſter ſtand. Und dann die Nachbarſchaft, Gevatter Hinz und Kunz — die Klatſch¬ baſen und ſchadenfrohen Seelen, die immer noch auf die Stunde warteten, wo der vierſtöckige Prachtbau entſtehen ſollte. Was für Augen würden ſie machen, wie die Ohren ſpitzen, wie herausfordernd die Hüte auf dem Kopf behalten,

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. [242]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/254>, abgerufen am 29.03.2024.