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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Erstes Kapitel.

Wir begleiten unsern Helden jetzt auf seiner Reise nach Ohio.
Er schied aus Newyork in einer Stimmung, die dem Bleiben eigent¬
lich günstiger, als dem Reisen war. Unter andern Umständen hätte
er sich wahrscheinlich dem Zuge nach Saratoga angeschlossen. Ueber¬
haupt konnte der Plan seines ganzen Aufenthaltes durch den Abend
bei Bennet in eine neue Frage gestellt sein. So hatte Dr. Griswald
-- gleichsam in Concurrenz mit Bennet -- später noch zu verstehen
gegeben, es sei eigentlich wünschenswerth, daß an der Universität selbst
die Lehrkanzel für Literatur und Aesthetik mit europäischer Kunstbildung
besetzt werde, und es hätte unsern Freund nur ein Wort gekostet, die
öffentliche Stellung, die ihm dieser Wink zudachte, anzunehmen. Sein
Zweck, Amerika's Leben und Treiben kennen zu lernen, stand durch
eine solche Betheiligung an der Menschenkultur mindestens eben so gut
zu erreichen, als durch die an der Bodenkultur. Kurz, Moorfeld
hätte an jenem Abend Stadt gegen Urwald, Newyork gegen Ohio in
seiner Wahl vielleicht umgetauscht, wenn -- die Freiheit dieser Wahl
noch bei ihm gestanden hätte. Aber vierundzwanzig Stunden zuvor
hatte er sich, wie wir wissen, zu Gunsten Benthal's gebunden. Und
er bereute diesen Schritt nicht. War es ihm schon sorgenswerth er¬
schienen, einen Charakter wie Benthal so bald als möglich auf ein
Feld der That zu verpflanzen, so wurde er in dem Gedanken noch
unendlich bestärkt, als er Benthal's Braut, Pauline, gesehen hatte.
Dieses dunkle, sinnige Mädchenbild hatte er an jenem Abend mit
einer seltsamen Regung sich gegenübergesehen. Er bangte für sie.

17 *
Erſtes Kapitel.

Wir begleiten unſern Helden jetzt auf ſeiner Reiſe nach Ohio.
Er ſchied aus Newyork in einer Stimmung, die dem Bleiben eigent¬
lich günſtiger, als dem Reiſen war. Unter andern Umſtänden hätte
er ſich wahrſcheinlich dem Zuge nach Saratoga angeſchloſſen. Ueber¬
haupt konnte der Plan ſeines ganzen Aufenthaltes durch den Abend
bei Bennet in eine neue Frage geſtellt ſein. So hatte Dr. Griswald
— gleichſam in Concurrenz mit Bennet — ſpäter noch zu verſtehen
gegeben, es ſei eigentlich wünſchenswerth, daß an der Univerſität ſelbſt
die Lehrkanzel für Literatur und Aeſthetik mit europäiſcher Kunſtbildung
beſetzt werde, und es hätte unſern Freund nur ein Wort gekoſtet, die
öffentliche Stellung, die ihm dieſer Wink zudachte, anzunehmen. Sein
Zweck, Amerika's Leben und Treiben kennen zu lernen, ſtand durch
eine ſolche Betheiligung an der Menſchenkultur mindeſtens eben ſo gut
zu erreichen, als durch die an der Bodenkultur. Kurz, Moorfeld
hätte an jenem Abend Stadt gegen Urwald, Newyork gegen Ohio in
ſeiner Wahl vielleicht umgetauſcht, wenn — die Freiheit dieſer Wahl
noch bei ihm geſtanden hätte. Aber vierundzwanzig Stunden zuvor
hatte er ſich, wie wir wiſſen, zu Gunſten Benthal's gebunden. Und
er bereute dieſen Schritt nicht. War es ihm ſchon ſorgenswerth er¬
ſchienen, einen Charakter wie Benthal ſo bald als möglich auf ein
Feld der That zu verpflanzen, ſo wurde er in dem Gedanken noch
unendlich beſtärkt, als er Benthal's Braut, Pauline, geſehen hatte.
Dieſes dunkle, ſinnige Mädchenbild hatte er an jenem Abend mit
einer ſeltſamen Regung ſich gegenübergeſehen. Er bangte für ſie.

17 *
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[[259]/0277] Erſtes Kapitel. Wir begleiten unſern Helden jetzt auf ſeiner Reiſe nach Ohio. Er ſchied aus Newyork in einer Stimmung, die dem Bleiben eigent¬ lich günſtiger, als dem Reiſen war. Unter andern Umſtänden hätte er ſich wahrſcheinlich dem Zuge nach Saratoga angeſchloſſen. Ueber¬ haupt konnte der Plan ſeines ganzen Aufenthaltes durch den Abend bei Bennet in eine neue Frage geſtellt ſein. So hatte Dr. Griswald — gleichſam in Concurrenz mit Bennet — ſpäter noch zu verſtehen gegeben, es ſei eigentlich wünſchenswerth, daß an der Univerſität ſelbſt die Lehrkanzel für Literatur und Aeſthetik mit europäiſcher Kunſtbildung beſetzt werde, und es hätte unſern Freund nur ein Wort gekoſtet, die öffentliche Stellung, die ihm dieſer Wink zudachte, anzunehmen. Sein Zweck, Amerika's Leben und Treiben kennen zu lernen, ſtand durch eine ſolche Betheiligung an der Menſchenkultur mindeſtens eben ſo gut zu erreichen, als durch die an der Bodenkultur. Kurz, Moorfeld hätte an jenem Abend Stadt gegen Urwald, Newyork gegen Ohio in ſeiner Wahl vielleicht umgetauſcht, wenn — die Freiheit dieſer Wahl noch bei ihm geſtanden hätte. Aber vierundzwanzig Stunden zuvor hatte er ſich, wie wir wiſſen, zu Gunſten Benthal's gebunden. Und er bereute dieſen Schritt nicht. War es ihm ſchon ſorgenswerth er¬ ſchienen, einen Charakter wie Benthal ſo bald als möglich auf ein Feld der That zu verpflanzen, ſo wurde er in dem Gedanken noch unendlich beſtärkt, als er Benthal's Braut, Pauline, geſehen hatte. Dieſes dunkle, ſinnige Mädchenbild hatte er an jenem Abend mit einer ſeltſamen Regung ſich gegenübergeſehen. Er bangte für ſie. 17 *

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. [259]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/277>, abgerufen am 24.04.2024.