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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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der Reisende hin und wieder einen aufgeschichteten Haufen von
Baumstücken, welcher im Innern hohl war und eine menschliche Hütte
vorstellte. Gluckte ein Huhn, oder grunzte ein Schwein an solchen Grabes-
Einöden, so wurde der Localton schon sehr warm dadurch. Aber plötzlich
singen diese Blockhäuser an einer Stelle, wo sie etwas dichter standen,
an, sich Lissabon zu nennen. Es war eine Ueberraschung der traurigsten
Art, als sich Moorfeld nach einer Passage durch einen hochstämmigen
Fichtenstrich auf einmal im Angesichte dieser sogenannten Stadt befand.
Die Sonne verbreitete ihr Licht über eine elende Wüste von dürrem Gras,
trübseligen Weiden und schmutzigen Hütten, deren Anblick eher einer
Colonie von Selbstmördern glich, welche blos zwischen dem Strick und
dieser Existenz gewählt hatten. Die Vegetation war weit und breit
herum mulsterig, übelriechend und von jenem eklen Grün, wie es
etwa die faule Pflanzendecke auf stehenden Wassern zeigt. Die Fu߬
stapfen der Pferdehufe oder die Wagenspuren in dem schwammigen
Boden standen von Pilzen voll, ja Moorfeld konnte Schwämme und
Pilze noch reichlich an den Wohnhäusern sehen, wo sie aus den Ritzen
der Wände wie Hexenkorallen in ganzen Schnüren und Ketten hervor¬
quollen. Es war ein schauderhafter Fleck Erde: weder Wald, noch
Sumpf, noch Haide, das Ganze schien wie ein ungesunder Magen,
der Essig und Calomel getrunken, und den Anblick seiner inneren
Scenerie an die Sonne gewendet hat. Solche Stellen konnte im prak¬
tischen Amerika nur der Humbug besiedeln. Der erste Anbauer hat
sein Land durch Agentur, vielleicht schon in Europa, gekauft, und war er
nicht in der Lage, den Verlust zu tragen, indem er es wieder auf¬
gab, so konnte er nur vom raschesten Menschenzuwachs Verbesserung
hoffen. Er verführte also Andere, welche in der gleichen Lage wieder
Andere verführten; so verwandelte sich der krankhafte Landstrich in einen
Stadtbauplatz und auf seiner Oberfläche schwebt jetzt eine Anzahl von
Menschen eine Zeit lang zwischen Tod und Leben, bis es sich bleibend
entscheidet, ob der Ausfluß des Bodens oder der Einfluß des Menschen
die Oberhand davon trägt. Siegt der Mensch, so wird mit Posaunen¬
stößen die wunderbare Culturkraft des Amerikaners durch die Welt
verkündigt; siegt das Naturgift, so begräbt eine Handvoll von Hum¬
bugern im tiefsten Stillschweigen seine Leichen, während der Ueberrest

der Reiſende hin und wieder einen aufgeſchichteten Haufen von
Baumſtücken, welcher im Innern hohl war und eine menſchliche Hütte
vorſtellte. Gluckte ein Huhn, oder grunzte ein Schwein an ſolchen Grabes-
Einöden, ſo wurde der Localton ſchon ſehr warm dadurch. Aber plötzlich
ſingen dieſe Blockhäuſer an einer Stelle, wo ſie etwas dichter ſtanden,
an, ſich Liſſabon zu nennen. Es war eine Ueberraſchung der traurigſten
Art, als ſich Moorfeld nach einer Paſſage durch einen hochſtämmigen
Fichtenſtrich auf einmal im Angeſichte dieſer ſogenannten Stadt befand.
Die Sonne verbreitete ihr Licht über eine elende Wüſte von dürrem Gras,
trübſeligen Weiden und ſchmutzigen Hütten, deren Anblick eher einer
Colonie von Selbſtmördern glich, welche blos zwiſchen dem Strick und
dieſer Exiſtenz gewählt hatten. Die Vegetation war weit und breit
herum mulſterig, übelriechend und von jenem eklen Grün, wie es
etwa die faule Pflanzendecke auf ſtehenden Waſſern zeigt. Die Fu߬
ſtapfen der Pferdehufe oder die Wagenſpuren in dem ſchwammigen
Boden ſtanden von Pilzen voll, ja Moorfeld konnte Schwämme und
Pilze noch reichlich an den Wohnhäuſern ſehen, wo ſie aus den Ritzen
der Wände wie Hexenkorallen in ganzen Schnüren und Ketten hervor¬
quollen. Es war ein ſchauderhafter Fleck Erde: weder Wald, noch
Sumpf, noch Haide, das Ganze ſchien wie ein ungeſunder Magen,
der Eſſig und Calomel getrunken, und den Anblick ſeiner inneren
Scenerie an die Sonne gewendet hat. Solche Stellen konnte im prak¬
tiſchen Amerika nur der Humbug beſiedeln. Der erſte Anbauer hat
ſein Land durch Agentur, vielleicht ſchon in Europa, gekauft, und war er
nicht in der Lage, den Verluſt zu tragen, indem er es wieder auf¬
gab, ſo konnte er nur vom raſcheſten Menſchenzuwachs Verbeſſerung
hoffen. Er verführte alſo Andere, welche in der gleichen Lage wieder
Andere verführten; ſo verwandelte ſich der krankhafte Landſtrich in einen
Stadtbauplatz und auf ſeiner Oberfläche ſchwebt jetzt eine Anzahl von
Menſchen eine Zeit lang zwiſchen Tod und Leben, bis es ſich bleibend
entſcheidet, ob der Ausfluß des Bodens oder der Einfluß des Menſchen
die Oberhand davon trägt. Siegt der Menſch, ſo wird mit Poſaunen¬
ſtößen die wunderbare Culturkraft des Amerikaners durch die Welt
verkündigt; ſiegt das Naturgift, ſo begräbt eine Handvoll von Hum¬
bugern im tiefſten Stillſchweigen ſeine Leichen, während der Ueberreſt

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[301/0319] der Reiſende hin und wieder einen aufgeſchichteten Haufen von Baumſtücken, welcher im Innern hohl war und eine menſchliche Hütte vorſtellte. Gluckte ein Huhn, oder grunzte ein Schwein an ſolchen Grabes- Einöden, ſo wurde der Localton ſchon ſehr warm dadurch. Aber plötzlich ſingen dieſe Blockhäuſer an einer Stelle, wo ſie etwas dichter ſtanden, an, ſich Liſſabon zu nennen. Es war eine Ueberraſchung der traurigſten Art, als ſich Moorfeld nach einer Paſſage durch einen hochſtämmigen Fichtenſtrich auf einmal im Angeſichte dieſer ſogenannten Stadt befand. Die Sonne verbreitete ihr Licht über eine elende Wüſte von dürrem Gras, trübſeligen Weiden und ſchmutzigen Hütten, deren Anblick eher einer Colonie von Selbſtmördern glich, welche blos zwiſchen dem Strick und dieſer Exiſtenz gewählt hatten. Die Vegetation war weit und breit herum mulſterig, übelriechend und von jenem eklen Grün, wie es etwa die faule Pflanzendecke auf ſtehenden Waſſern zeigt. Die Fu߬ ſtapfen der Pferdehufe oder die Wagenſpuren in dem ſchwammigen Boden ſtanden von Pilzen voll, ja Moorfeld konnte Schwämme und Pilze noch reichlich an den Wohnhäuſern ſehen, wo ſie aus den Ritzen der Wände wie Hexenkorallen in ganzen Schnüren und Ketten hervor¬ quollen. Es war ein ſchauderhafter Fleck Erde: weder Wald, noch Sumpf, noch Haide, das Ganze ſchien wie ein ungeſunder Magen, der Eſſig und Calomel getrunken, und den Anblick ſeiner inneren Scenerie an die Sonne gewendet hat. Solche Stellen konnte im prak¬ tiſchen Amerika nur der Humbug beſiedeln. Der erſte Anbauer hat ſein Land durch Agentur, vielleicht ſchon in Europa, gekauft, und war er nicht in der Lage, den Verluſt zu tragen, indem er es wieder auf¬ gab, ſo konnte er nur vom raſcheſten Menſchenzuwachs Verbeſſerung hoffen. Er verführte alſo Andere, welche in der gleichen Lage wieder Andere verführten; ſo verwandelte ſich der krankhafte Landſtrich in einen Stadtbauplatz und auf ſeiner Oberfläche ſchwebt jetzt eine Anzahl von Menſchen eine Zeit lang zwiſchen Tod und Leben, bis es ſich bleibend entſcheidet, ob der Ausfluß des Bodens oder der Einfluß des Menſchen die Oberhand davon trägt. Siegt der Menſch, ſo wird mit Poſaunen¬ ſtößen die wunderbare Culturkraft des Amerikaners durch die Welt verkündigt; ſiegt das Naturgift, ſo begräbt eine Handvoll von Hum¬ bugern im tiefſten Stillſchweigen ſeine Leichen, während der Ueberreſt

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/319>, abgerufen am 25.04.2024.