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Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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diesem Ruf. Sollt' ich sie Alle aufzählen, von denen dergleichen gesagt wurde, -- bis ins Meißnerland käm' ich hinunter. Wohlan, mich kümmern nicht die Leute übern Bach, ich rede von dem, was ich selbst gesehen und erfahren. Ich war dazumal Müllersknecht in Hermsdorf, und mein eigener Meister hatte den Drachen. Unsre Gänge feierten, wie anderer Leute, wenn die Gimlitz kein Wasser hatte, unsre Felder waren vom Hagel, unsre Schüttböden von Mäusen nicht frei, die Franzosen zahlten schlecht, was wir auf Requisition lieferten, und andre Schuldner gar nicht. Kurz, die Misere hatten wir egal mit Hinz und Kunz, was mein Meister aber ganz apart hatte, das waren die Thaler. Die roulirten bei ihm en suite, kein Pumpbrunnen hält so gut Stich. Er hat den Drachen, sagte das Dorf. Ein Knecht um den andern kündigte ihm, denn so in Verruf kamen wir, daß nicht einmal die Mägde auf dem Tanzboden mehr walzen mochten mit uns. Ich allein war ein Bruder Leichtfuß und schlug mir Alles aus dem Sinn. Ich machte die Franzosen nach, spielte den Freigeist und stellte mich zu Fleiß so, als ob ich selbst über das Lächeln der Dirnen hinaus wäre. Kindisch! kindisch! Man glaubt nicht eher, bis man greift und sieht. So ging mir's. Zufällig macht' ich einmal eine Dose offen, die auf dem Gesimse stand, in der Meinung, es wäre der Lacksamen drin, den des Müllers Fritze zum Anbauen wollte. Aber was geschah? Aus der Dose flog eine große, lebendige Brummelfliege heraus. Da lies der Fritze in den Hof und schrie ganz laut, wie Kinder unbedacht sind: Vater, der Lebrecht hat dein Matzchen ausgelassen. Der Alte stürzt herein, schmeißt Thür und Fenster zu und eifert sich kreideweiß: augenblicks sollt' ich die Hummel einfangen, sonst brennte die Mühle ab. Jetzt lief es mir auch übers Herz; -- aha! sagt' ich, nunmehr weiß ich, wie die Pferd' im Stall stehen. Hinaus mit dem

diesem Ruf. Sollt' ich sie Alle aufzählen, von denen dergleichen gesagt wurde, — bis ins Meißnerland käm' ich hinunter. Wohlan, mich kümmern nicht die Leute übern Bach, ich rede von dem, was ich selbst gesehen und erfahren. Ich war dazumal Müllersknecht in Hermsdorf, und mein eigener Meister hatte den Drachen. Unsre Gänge feierten, wie anderer Leute, wenn die Gimlitz kein Wasser hatte, unsre Felder waren vom Hagel, unsre Schüttböden von Mäusen nicht frei, die Franzosen zahlten schlecht, was wir auf Requisition lieferten, und andre Schuldner gar nicht. Kurz, die Misère hatten wir egal mit Hinz und Kunz, was mein Meister aber ganz apart hatte, das waren die Thaler. Die roulirten bei ihm en suite, kein Pumpbrunnen hält so gut Stich. Er hat den Drachen, sagte das Dorf. Ein Knecht um den andern kündigte ihm, denn so in Verruf kamen wir, daß nicht einmal die Mägde auf dem Tanzboden mehr walzen mochten mit uns. Ich allein war ein Bruder Leichtfuß und schlug mir Alles aus dem Sinn. Ich machte die Franzosen nach, spielte den Freigeist und stellte mich zu Fleiß so, als ob ich selbst über das Lächeln der Dirnen hinaus wäre. Kindisch! kindisch! Man glaubt nicht eher, bis man greift und sieht. So ging mir's. Zufällig macht' ich einmal eine Dose offen, die auf dem Gesimse stand, in der Meinung, es wäre der Lacksamen drin, den des Müllers Fritze zum Anbauen wollte. Aber was geschah? Aus der Dose flog eine große, lebendige Brummelfliege heraus. Da lies der Fritze in den Hof und schrie ganz laut, wie Kinder unbedacht sind: Vater, der Lebrecht hat dein Matzchen ausgelassen. Der Alte stürzt herein, schmeißt Thür und Fenster zu und eifert sich kreideweiß: augenblicks sollt' ich die Hummel einfangen, sonst brennte die Mühle ab. Jetzt lief es mir auch übers Herz; — aha! sagt' ich, nunmehr weiß ich, wie die Pferd' im Stall stehen. Hinaus mit dem

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/11>, abgerufen am 23.04.2024.