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Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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bösen Feind! und stieß eine Fensterscheibe ein. Aber der Müller drückte sich mit seinem breiten Rücken vors Glas, daß kein Spinnfaden durchpassirt wäre, und bat und versprach, und fing ein Zittern und Jammern an, daß ich bange war, er bekäm' die fallende Sucht. Nur darum fing ich die Brummelfliege wieder ein -- unter Graus und Entsetzen, das glaubt mir! Aber wie ich ihm die Dose wieder zustellte, sagt' ich: Gebt mir meinen Lohn, Meister, und bessert Euch. Den Lohn gab er mir wohl, aber fort ließ er mich nicht. Glücklicherweise sollte bald darauf sein Aeltester zum Militär: da brauchte der Müller einen Ersatzmann. Mit beiden Händen ergriff ich die Gelegenheit und stand ein für ihn. So kamen wir ohne Aufsehen aus einander. Darauf hat er Knechte aus der Lausitz genommen -- wir nennen's die sächsische Türkei -- die waren tractabler. Mit den Wenden ist Alles zu machen.

Diese Hummel, meint Ihr nun, sei der Drache gewesen? fragte der Doctor nach einer Pause.

Ja wohl, das war das Matzchen.

Und die hat Euren Meister reich gemacht!

Es ist nicht anders.

Der Doctor hielt inne, vielleicht um sich zu besinnen, wie er der Vernunft des Mannes beikommen möchte. Dann fragte er weiter:

Ihr nanntet den Drachen ein älteres Uebel, ein aussterbendes; -- was sind Eure Gedanken darüber? Warum soll es neuerer Zeit sich verloren haben?

Ei, heut zu Tag wandern die Leut' nach Amerika aus, so lang sie noch nicht ganz alle sind. Hausväter laufen von Kind und Kegel weg, lassen die Familie nachkommen -- heirathen frisch drüben -- das sind jetzt die Ressourcen.

Die Haustochter brachte bei diesen Worten den Thee, aber kaum hatte sie das Brett hingestellt, so

bösen Feind! und stieß eine Fensterscheibe ein. Aber der Müller drückte sich mit seinem breiten Rücken vors Glas, daß kein Spinnfaden durchpassirt wäre, und bat und versprach, und fing ein Zittern und Jammern an, daß ich bange war, er bekäm' die fallende Sucht. Nur darum fing ich die Brummelfliege wieder ein — unter Graus und Entsetzen, das glaubt mir! Aber wie ich ihm die Dose wieder zustellte, sagt' ich: Gebt mir meinen Lohn, Meister, und bessert Euch. Den Lohn gab er mir wohl, aber fort ließ er mich nicht. Glücklicherweise sollte bald darauf sein Aeltester zum Militär: da brauchte der Müller einen Ersatzmann. Mit beiden Händen ergriff ich die Gelegenheit und stand ein für ihn. So kamen wir ohne Aufsehen aus einander. Darauf hat er Knechte aus der Lausitz genommen — wir nennen's die sächsische Türkei — die waren tractabler. Mit den Wenden ist Alles zu machen.

Diese Hummel, meint Ihr nun, sei der Drache gewesen? fragte der Doctor nach einer Pause.

Ja wohl, das war das Matzchen.

Und die hat Euren Meister reich gemacht!

Es ist nicht anders.

Der Doctor hielt inne, vielleicht um sich zu besinnen, wie er der Vernunft des Mannes beikommen möchte. Dann fragte er weiter:

Ihr nanntet den Drachen ein älteres Uebel, ein aussterbendes; — was sind Eure Gedanken darüber? Warum soll es neuerer Zeit sich verloren haben?

Ei, heut zu Tag wandern die Leut' nach Amerika aus, so lang sie noch nicht ganz alle sind. Hausväter laufen von Kind und Kegel weg, lassen die Familie nachkommen — heirathen frisch drüben — das sind jetzt die Ressourcen.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/12>, abgerufen am 19.04.2024.