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Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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rabenschwarzes Gewitter aufgestiegen, rechts überm Schneeberg kam's hervor, und ehe man Amen sagt, war's da, wie das wilde Heer. Die Lärchen und Rothtannen krachten, das gelbe Stoppelfeld stäubte, Hoch- und Flachland nächtigte gleichwie ein Kohlensack, keine Wetterscheide galt. Er wußte wohl, was es sollte. Wahrscheinlich wäre Breitenau jetzt ein Salzsee. Pirna erreichte er halbtodt, da warf er sich schwimmend im Schweiß auf die Eisenbahn -- in Dresden war er, ohne selbst zu wissen, warum. Er wollte dem Doctor die höllische Reise jetzt absagen: weinen und Mitleid suchen wollte er bei ihm, denn er hätte ja Niemanden sonst auf der weiten, verwais'ten Gotteswelt. Ein Unglück ist's, ein ungeheures Unglück! Das arme Lenchen. Der höllische Racker! Es ist ein Unglück!

Die Gatten sahen sich sprachlos einander an, Rudolf machte einen Eindruck des Grauens, aber mehr durch sich selbst, als durch seine Erzählung. Wahrlich! es mochte ein unheimliches Schauspiel sein, den starken, gradwüchsigen Menschen in einem Zustand zu sehen, wie das Vöglein vor dem Rachen der Klapperschlange. Welch ein Abgrund des Aberglaubens, in den er selbst seine Liebe geworfen hat! Fort von Allem, was Raithmeyer heißt! und einem Dämon entlief er, der nirgends mitlief, als in seinem Gehirne. Ja, ein Mensch konnte erschrecken vor diesem Bilde des Menschen!

Aber das Erzgebirge bekam jetzt einen unwiderstehlichen Reiz. Augenblicks lös'ten die Reisenden ihre Billete nach Pirna, nur daß man nicht mehr zwei, sondern drei bestellte; denn Rudolf führe auch mit, sagte man dem Diener. Rudolf machte große Augen.

Im Wagen bedauerte die Doctorin, daß das Gewitter, wovon Rudolf erzählt, vielleicht -- die Gebirgswege verdorben habe. Rudolf machte noch größere Augen.

Aber die Kaltblütigkeit der Städter wirkte auf

rabenschwarzes Gewitter aufgestiegen, rechts überm Schneeberg kam's hervor, und ehe man Amen sagt, war's da, wie das wilde Heer. Die Lärchen und Rothtannen krachten, das gelbe Stoppelfeld stäubte, Hoch- und Flachland nächtigte gleichwie ein Kohlensack, keine Wetterscheide galt. Er wußte wohl, was es sollte. Wahrscheinlich wäre Breitenau jetzt ein Salzsee. Pirna erreichte er halbtodt, da warf er sich schwimmend im Schweiß auf die Eisenbahn — in Dresden war er, ohne selbst zu wissen, warum. Er wollte dem Doctor die höllische Reise jetzt absagen: weinen und Mitleid suchen wollte er bei ihm, denn er hätte ja Niemanden sonst auf der weiten, verwais'ten Gotteswelt. Ein Unglück ist's, ein ungeheures Unglück! Das arme Lenchen. Der höllische Racker! Es ist ein Unglück!

Die Gatten sahen sich sprachlos einander an, Rudolf machte einen Eindruck des Grauens, aber mehr durch sich selbst, als durch seine Erzählung. Wahrlich! es mochte ein unheimliches Schauspiel sein, den starken, gradwüchsigen Menschen in einem Zustand zu sehen, wie das Vöglein vor dem Rachen der Klapperschlange. Welch ein Abgrund des Aberglaubens, in den er selbst seine Liebe geworfen hat! Fort von Allem, was Raithmeyer heißt! und einem Dämon entlief er, der nirgends mitlief, als in seinem Gehirne. Ja, ein Mensch konnte erschrecken vor diesem Bilde des Menschen!

Aber das Erzgebirge bekam jetzt einen unwiderstehlichen Reiz. Augenblicks lös'ten die Reisenden ihre Billete nach Pirna, nur daß man nicht mehr zwei, sondern drei bestellte; denn Rudolf führe auch mit, sagte man dem Diener. Rudolf machte große Augen.

Im Wagen bedauerte die Doctorin, daß das Gewitter, wovon Rudolf erzählt, vielleicht — die Gebirgswege verdorben habe. Rudolf machte noch größere Augen.

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[0032] rabenschwarzes Gewitter aufgestiegen, rechts überm Schneeberg kam's hervor, und ehe man Amen sagt, war's da, wie das wilde Heer. Die Lärchen und Rothtannen krachten, das gelbe Stoppelfeld stäubte, Hoch- und Flachland nächtigte gleichwie ein Kohlensack, keine Wetterscheide galt. Er wußte wohl, was es sollte. Wahrscheinlich wäre Breitenau jetzt ein Salzsee. Pirna erreichte er halbtodt, da warf er sich schwimmend im Schweiß auf die Eisenbahn — in Dresden war er, ohne selbst zu wissen, warum. Er wollte dem Doctor die höllische Reise jetzt absagen: weinen und Mitleid suchen wollte er bei ihm, denn er hätte ja Niemanden sonst auf der weiten, verwais'ten Gotteswelt. Ein Unglück ist's, ein ungeheures Unglück! Das arme Lenchen. Der höllische Racker! Es ist ein Unglück! Die Gatten sahen sich sprachlos einander an, Rudolf machte einen Eindruck des Grauens, aber mehr durch sich selbst, als durch seine Erzählung. Wahrlich! es mochte ein unheimliches Schauspiel sein, den starken, gradwüchsigen Menschen in einem Zustand zu sehen, wie das Vöglein vor dem Rachen der Klapperschlange. Welch ein Abgrund des Aberglaubens, in den er selbst seine Liebe geworfen hat! Fort von Allem, was Raithmeyer heißt! und einem Dämon entlief er, der nirgends mitlief, als in seinem Gehirne. Ja, ein Mensch konnte erschrecken vor diesem Bilde des Menschen! Aber das Erzgebirge bekam jetzt einen unwiderstehlichen Reiz. Augenblicks lös'ten die Reisenden ihre Billete nach Pirna, nur daß man nicht mehr zwei, sondern drei bestellte; denn Rudolf führe auch mit, sagte man dem Diener. Rudolf machte große Augen. Im Wagen bedauerte die Doctorin, daß das Gewitter, wovon Rudolf erzählt, vielleicht — die Gebirgswege verdorben habe. Rudolf machte noch größere Augen. Aber die Kaltblütigkeit der Städter wirkte auf

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:57:16Z)

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/32>, abgerufen am 19.04.2024.