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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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Siebentes Kapitel.
Die Gesetzgebung des Reiches.
§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.

Das Wort Gesetz hat in der Rechtswissenschaft eine doppelte
Bedeutung, welche man als die materielle und formelle bezeichnen
kann. Im materiellen Sinne bedeutet Gesetz die rechtsver-
bindliche Anordnung eines Rechtssatzes
. Der Begriff
ist demnach aus zwei Elementen zusammengesetzt, welche durch die
Worte "Anordnung" und "Rechtssatz" gegeben sind. Den Gegen-
satz dazu bildet in einer Beziehung das Gewohnheitsrecht 1),
welches zwar Rechtssätze enthält, deren Geltung aber nicht auf
einer Anordnung, also einem Willensact, sondern auf dem Bewußt-
sein von der Rechtsverbindlichkeit einer thatsächlich bestehenden Ue-
bung beruht. Den Gegensatz in der anderen Richtung bildet das
Rechtsgeschäft, welches zwar ein Willensact, eine rechtswirk-
same Anordnung ist, aber nicht Rechtssätze zum Inhalt hat, son-
dern subjective Rechte und Pflichten.

Aus dem Begriff des Gesetzes leiten sich folgende Sätze ab:

1) Es gehört zum Begriff des Gesetzes im materiellen Sinne
des Wortes, daß dasselbe einen Rechtssatz aufstellt; aber nicht,
daß dieser Rechtssatz eine allgemeine Regel enthält, welche auf
viele oder auch nur auf eine unbestimmte Anzahl von Fällen an-

1) Der Ausdruck "Gesetz" wird indessen im materiellen Sinne auch als
gleichbedeutend mit "Rechtsnorm" verwendet, so daß er auch das Gewohnheits-
recht mit einschließt. Es beruht dies auf der sehr untergeordneten Bedeutung,
welche bei den staatlichen Zuständen der Gegenwart dem Gewohnheitsrecht im
Verhältniß zum Gesetzesrechte zukömmt. In diesem weitesten Sinne wird das
Wort "Gesetz" erklärt in den Einführungs-Gesetzen zur Strafproceß-
Ordn. §. 7, zur Civilproc.-Ordn. §. 12, zur Konkurs-Ordn. §. 2.
Laband, Reichsstaatsrecht. II. 1
Siebentes Kapitel.
Die Geſetzgebung des Reiches.
§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.

Das Wort Geſetz hat in der Rechtswiſſenſchaft eine doppelte
Bedeutung, welche man als die materielle und formelle bezeichnen
kann. Im materiellen Sinne bedeutet Geſetz die rechtsver-
bindliche Anordnung eines Rechtsſatzes
. Der Begriff
iſt demnach aus zwei Elementen zuſammengeſetzt, welche durch die
Worte „Anordnung“ und „Rechtsſatz“ gegeben ſind. Den Gegen-
ſatz dazu bildet in einer Beziehung das Gewohnheitsrecht 1),
welches zwar Rechtsſätze enthält, deren Geltung aber nicht auf
einer Anordnung, alſo einem Willensact, ſondern auf dem Bewußt-
ſein von der Rechtsverbindlichkeit einer thatſächlich beſtehenden Ue-
bung beruht. Den Gegenſatz in der anderen Richtung bildet das
Rechtsgeſchäft, welches zwar ein Willensact, eine rechtswirk-
ſame Anordnung iſt, aber nicht Rechtsſätze zum Inhalt hat, ſon-
dern ſubjective Rechte und Pflichten.

Aus dem Begriff des Geſetzes leiten ſich folgende Sätze ab:

1) Es gehört zum Begriff des Geſetzes im materiellen Sinne
des Wortes, daß daſſelbe einen Rechtsſatz aufſtellt; aber nicht,
daß dieſer Rechtsſatz eine allgemeine Regel enthält, welche auf
viele oder auch nur auf eine unbeſtimmte Anzahl von Fällen an-

1) Der Ausdruck „Geſetz“ wird indeſſen im materiellen Sinne auch als
gleichbedeutend mit „Rechtsnorm“ verwendet, ſo daß er auch das Gewohnheits-
recht mit einſchließt. Es beruht dies auf der ſehr untergeordneten Bedeutung,
welche bei den ſtaatlichen Zuſtänden der Gegenwart dem Gewohnheitsrecht im
Verhältniß zum Geſetzesrechte zukömmt. In dieſem weiteſten Sinne wird das
Wort „Geſetz“ erklärt in den Einführungs-Geſetzen zur Strafproceß-
Ordn. §. 7, zur Civilproc.-Ordn. §. 12, zur Konkurs-Ordn. §. 2.
Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 1
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[[1]/0015] Siebentes Kapitel. Die Geſetzgebung des Reiches. §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. Das Wort Geſetz hat in der Rechtswiſſenſchaft eine doppelte Bedeutung, welche man als die materielle und formelle bezeichnen kann. Im materiellen Sinne bedeutet Geſetz die rechtsver- bindliche Anordnung eines Rechtsſatzes. Der Begriff iſt demnach aus zwei Elementen zuſammengeſetzt, welche durch die Worte „Anordnung“ und „Rechtsſatz“ gegeben ſind. Den Gegen- ſatz dazu bildet in einer Beziehung das Gewohnheitsrecht 1), welches zwar Rechtsſätze enthält, deren Geltung aber nicht auf einer Anordnung, alſo einem Willensact, ſondern auf dem Bewußt- ſein von der Rechtsverbindlichkeit einer thatſächlich beſtehenden Ue- bung beruht. Den Gegenſatz in der anderen Richtung bildet das Rechtsgeſchäft, welches zwar ein Willensact, eine rechtswirk- ſame Anordnung iſt, aber nicht Rechtsſätze zum Inhalt hat, ſon- dern ſubjective Rechte und Pflichten. Aus dem Begriff des Geſetzes leiten ſich folgende Sätze ab: 1) Es gehört zum Begriff des Geſetzes im materiellen Sinne des Wortes, daß daſſelbe einen Rechtsſatz aufſtellt; aber nicht, daß dieſer Rechtsſatz eine allgemeine Regel enthält, welche auf viele oder auch nur auf eine unbeſtimmte Anzahl von Fällen an- 1) Der Ausdruck „Geſetz“ wird indeſſen im materiellen Sinne auch als gleichbedeutend mit „Rechtsnorm“ verwendet, ſo daß er auch das Gewohnheits- recht mit einſchließt. Es beruht dies auf der ſehr untergeordneten Bedeutung, welche bei den ſtaatlichen Zuſtänden der Gegenwart dem Gewohnheitsrecht im Verhältniß zum Geſetzesrechte zukömmt. In dieſem weiteſten Sinne wird das Wort „Geſetz“ erklärt in den Einführungs-Geſetzen zur Strafproceß- Ordn. §. 7, zur Civilproc.-Ordn. §. 12, zur Konkurs-Ordn. §. 2. Laband, Reichsſtaatsrecht. II. 1

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/15>, abgerufen am 29.03.2024.