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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 65. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
Gewalt sind 1); ihre Respectirung ist daher unabhängig von der
Form, in welcher das Reich seine Gewalt ausübt 2).

3. Die Ausfertigung.

Gemäß der in Preußen ausgebildeten und vom Norddeutschen
Bunde und dem Deutschen Reiche festgehaltenen Praxis findet eine
Ausfertigung des Gesetzes, welches den Unterthanen und Behörden
die Beobachtung oder Vollziehung eines Staatsvertrages anbefiehlt,
nicht statt. Wenn man das völkerrechtliche Geschäft und den
staatlichen Befehl äußerlich so auseinanderhalten würde, wie
es die juristische Natur der Sache verlangt und wie es in der
überwiegenden Mehrzahl aller Staaten thatsächlich geschieht, so
müßte jeder Staatsvertrag zweimal ausgefertigt werden; ein-
mal für den Staat, mit welchem er abgeschlossen worden ist (Rati-
fikation) und überdies für den eigenen Staat behufs der Gesetz-
gebung (Promulgation). Die völkerrechtliche Ausfertigung bedarf
keiner Bezugnahme auf die vom Bundesrath und Reichstag er-
theilte Zustimmung oder Genehmigung, da diese eine res interna
ist, die den Mitcontrahenten Nichts angeht; die Hinzufügung eines
Befehles, dem Vertrage nachzukommen, würde ganz sinnlos sein,
da der internationale Vertrag unter Gleichberechtigten geschlossen
wird und lediglich gegenseitige Versprechungen enthält. Für die
staatsrechtliche Ausfertigung dagegen ist das wesentlichste Stück
der Befehl an alle der Staatsgewalt unterworfenen Personen
(Unterthanen und Behörden), den Vertrag zu beachten und zu be-
folgen, d. h. die Verordnungsclausel, wie sie für jedes Gesetz er-

1) Siehe Bd. I. S. 119.
2) Eine Anwendung hat dieser Grundsatz gefunden bei der Beschlußfassung
des Bundesrathes über die Uebereinkunft mit Italien v. 3. Dez. 1874 wegen
gegenseitigen Verzichts auf die Beibringung von Trau-Erlaubnißscheinen. Der
Königl. Bayerische Bevollmächtigte erklärte: "Die Kgl. Bayer. Regierung
hält sich zunächst für verpflichtet, auf den Vorbehalt in Nro. III. §. 1 des
Versailler Bündnisses v. 23. Nov. 1870 und in Ziff. I des Schlußprotokolls
von demselben Tage hinzuweisen, erklärt sich indeß bereit, wegen Aus-
führung des Uebereinkommens, gegen dessen Inhalt eine materielle Erinne-
rung nicht besteht, die betreffenden bayer. Behörden mit Anweisung zu ver-
sehen, nachdem die bayerische Landesgesetzgebung, soweit sie in den Bereich
jenes Reservatrechtes fällt, durch das Uebereinkommen nicht alterirt wird."
Protokolle des Bundesrathes 1875 §. 103 S. 84. Vgl. auch ebendas.
§. 306 S. 296.

§. 65. Die ſtaatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge.
Gewalt ſind 1); ihre Reſpectirung iſt daher unabhängig von der
Form, in welcher das Reich ſeine Gewalt ausübt 2).

3. Die Ausfertigung.

Gemäß der in Preußen ausgebildeten und vom Norddeutſchen
Bunde und dem Deutſchen Reiche feſtgehaltenen Praxis findet eine
Ausfertigung des Geſetzes, welches den Unterthanen und Behörden
die Beobachtung oder Vollziehung eines Staatsvertrages anbefiehlt,
nicht ſtatt. Wenn man das völkerrechtliche Geſchäft und den
ſtaatlichen Befehl äußerlich ſo auseinanderhalten würde, wie
es die juriſtiſche Natur der Sache verlangt und wie es in der
überwiegenden Mehrzahl aller Staaten thatſächlich geſchieht, ſo
müßte jeder Staatsvertrag zweimal ausgefertigt werden; ein-
mal für den Staat, mit welchem er abgeſchloſſen worden iſt (Rati-
fikation) und überdies für den eigenen Staat behufs der Geſetz-
gebung (Promulgation). Die völkerrechtliche Ausfertigung bedarf
keiner Bezugnahme auf die vom Bundesrath und Reichstag er-
theilte Zuſtimmung oder Genehmigung, da dieſe eine res interna
iſt, die den Mitcontrahenten Nichts angeht; die Hinzufügung eines
Befehles, dem Vertrage nachzukommen, würde ganz ſinnlos ſein,
da der internationale Vertrag unter Gleichberechtigten geſchloſſen
wird und lediglich gegenſeitige Verſprechungen enthält. Für die
ſtaatsrechtliche Ausfertigung dagegen iſt das weſentlichſte Stück
der Befehl an alle der Staatsgewalt unterworfenen Perſonen
(Unterthanen und Behörden), den Vertrag zu beachten und zu be-
folgen, d. h. die Verordnungsclauſel, wie ſie für jedes Geſetz er-

1) Siehe Bd. I. S. 119.
2) Eine Anwendung hat dieſer Grundſatz gefunden bei der Beſchlußfaſſung
des Bundesrathes über die Uebereinkunft mit Italien v. 3. Dez. 1874 wegen
gegenſeitigen Verzichts auf die Beibringung von Trau-Erlaubnißſcheinen. Der
Königl. Bayeriſche Bevollmächtigte erklärte: „Die Kgl. Bayer. Regierung
hält ſich zunächſt für verpflichtet, auf den Vorbehalt in Nro. III. §. 1 des
Verſailler Bündniſſes v. 23. Nov. 1870 und in Ziff. I des Schlußprotokolls
von demſelben Tage hinzuweiſen, erklärt ſich indeß bereit, wegen Aus-
führung des Uebereinkommens, gegen deſſen Inhalt eine materielle Erinne-
rung nicht beſteht, die betreffenden bayer. Behörden mit Anweiſung zu ver-
ſehen, nachdem die bayeriſche Landesgeſetzgebung, ſoweit ſie in den Bereich
jenes Reſervatrechtes fällt, durch das Uebereinkommen nicht alterirt wird.“
Protokolle des Bundesrathes 1875 §. 103 S. 84. Vgl. auch ebendaſ.
§. 306 S. 296.
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[191/0205] §. 65. Die ſtaatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. Gewalt ſind 1); ihre Reſpectirung iſt daher unabhängig von der Form, in welcher das Reich ſeine Gewalt ausübt 2). 3. Die Ausfertigung. Gemäß der in Preußen ausgebildeten und vom Norddeutſchen Bunde und dem Deutſchen Reiche feſtgehaltenen Praxis findet eine Ausfertigung des Geſetzes, welches den Unterthanen und Behörden die Beobachtung oder Vollziehung eines Staatsvertrages anbefiehlt, nicht ſtatt. Wenn man das völkerrechtliche Geſchäft und den ſtaatlichen Befehl äußerlich ſo auseinanderhalten würde, wie es die juriſtiſche Natur der Sache verlangt und wie es in der überwiegenden Mehrzahl aller Staaten thatſächlich geſchieht, ſo müßte jeder Staatsvertrag zweimal ausgefertigt werden; ein- mal für den Staat, mit welchem er abgeſchloſſen worden iſt (Rati- fikation) und überdies für den eigenen Staat behufs der Geſetz- gebung (Promulgation). Die völkerrechtliche Ausfertigung bedarf keiner Bezugnahme auf die vom Bundesrath und Reichstag er- theilte Zuſtimmung oder Genehmigung, da dieſe eine res interna iſt, die den Mitcontrahenten Nichts angeht; die Hinzufügung eines Befehles, dem Vertrage nachzukommen, würde ganz ſinnlos ſein, da der internationale Vertrag unter Gleichberechtigten geſchloſſen wird und lediglich gegenſeitige Verſprechungen enthält. Für die ſtaatsrechtliche Ausfertigung dagegen iſt das weſentlichſte Stück der Befehl an alle der Staatsgewalt unterworfenen Perſonen (Unterthanen und Behörden), den Vertrag zu beachten und zu be- folgen, d. h. die Verordnungsclauſel, wie ſie für jedes Geſetz er- 1) Siehe Bd. I. S. 119. 2) Eine Anwendung hat dieſer Grundſatz gefunden bei der Beſchlußfaſſung des Bundesrathes über die Uebereinkunft mit Italien v. 3. Dez. 1874 wegen gegenſeitigen Verzichts auf die Beibringung von Trau-Erlaubnißſcheinen. Der Königl. Bayeriſche Bevollmächtigte erklärte: „Die Kgl. Bayer. Regierung hält ſich zunächſt für verpflichtet, auf den Vorbehalt in Nro. III. §. 1 des Verſailler Bündniſſes v. 23. Nov. 1870 und in Ziff. I des Schlußprotokolls von demſelben Tage hinzuweiſen, erklärt ſich indeß bereit, wegen Aus- führung des Uebereinkommens, gegen deſſen Inhalt eine materielle Erinne- rung nicht beſteht, die betreffenden bayer. Behörden mit Anweiſung zu ver- ſehen, nachdem die bayeriſche Landesgeſetzgebung, ſoweit ſie in den Bereich jenes Reſervatrechtes fällt, durch das Uebereinkommen nicht alterirt wird.“ Protokolle des Bundesrathes 1875 §. 103 S. 84. Vgl. auch ebendaſ. §. 306 S. 296.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/205>, abgerufen am 23.04.2024.