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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 69. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung.
dern des Staatsrechts der einzelnen Staaten. Sie wird von dem
Willen der Einzelstaaten beherrscht und geregelt. Dessenungeachtet
würde es ganz unhaltbar sein, die Einzelstaaten hinsichtlich dieser
Thätigkeit für souverain zu erachten und sonach eine Theilung der
Souverainetät zwischen Reich und Einzelstaat anzunehmen. Es ist
dies bereits bei der Erörterung des Bundesstaatsbegriffes Bd. I.
S. 74 und 105 hervorgehoben worden und findet hier seine nähere
Ausführung und Bestätigung. Verwaltungs-Befehle können
auf diesen Gebieten staatlichen Lebens den Einzelstaaten vom Reiche
allerdings nicht ertheilt werden, weder in der Form der Verord-
nung noch in der des Reichsgesetzes; eine positive Thätigkeit kann
das Reich den Einzelstaaten nicht vorschreiben und noch weniger
die Art und Weise anordnen, wie diese Thätigkeit vollzogen wer-
den soll. Da aber die Verwaltung eine Thätigkeit innerhalb der
bestehenden Rechtsordnung ist, da die Handlungen und Rechtsge-
schäfte der Verwaltungsbehörden hinsichtlich ihrer Zulässigkeit, Gül-
tigkeit und Wirkung in vielen Fällen nach den Regeln des Privat-
rechts, Strafrechts und Processes zu beurtheilen sind, diese Rechts-
regeln aber vom Reiche erlassen werden können und zum großen
Theile von demselben bereits erlassen worden sind, so befindet sich
der Einzelstaat in Bezug auf seine Verwaltungsthätigkeit nicht
innerhalb einer von ihm selbst aufgerichteten, sondern innerhalb
einer ihm von einer höheren Macht gegebenen Rechtsordnung.
Handlungen und Rechtsgeschäfte, welche das vom Reich gegebene
Recht verbietet oder für unwirksam erklärt, können die Regierungen
der Einzelstaaten auch auf den ihnen überlassenen Verwaltungs-
Gebieten nicht mit rechtlicher Wirkung vornehmen. Soweit die
Thätigkeit der Verwaltungsbehörden Ausführung oder Vollziehung
staatlicher Befehle ist, haben die Behörden hinsichtlich dieser Ange-
legenheiten nicht Befehle des Reiches, sondern Befehle ihres Staates
zu vollführen; insoweit die Verwaltung aber die Entfaltung der
staatlichen Handlungsfreiheit innerhalb der Rechtsschranken ist,
kommen auf dieselbe nicht nur die Landesgesetze, sondern in erster
Reihe die Reichsgesetze zur Anwendung.

II. Die beaufsichtigende Verwaltung des Reiches.

1. Die Controlle des Reiches hat den Zweck, darüber zu
wachen, daß die vom Reiche aufgestellten Rechtsregeln von den

§. 69. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung.
dern des Staatsrechts der einzelnen Staaten. Sie wird von dem
Willen der Einzelſtaaten beherrſcht und geregelt. Deſſenungeachtet
würde es ganz unhaltbar ſein, die Einzelſtaaten hinſichtlich dieſer
Thätigkeit für ſouverain zu erachten und ſonach eine Theilung der
Souverainetät zwiſchen Reich und Einzelſtaat anzunehmen. Es iſt
dies bereits bei der Erörterung des Bundesſtaatsbegriffes Bd. I.
S. 74 und 105 hervorgehoben worden und findet hier ſeine nähere
Ausführung und Beſtätigung. Verwaltungs-Befehle können
auf dieſen Gebieten ſtaatlichen Lebens den Einzelſtaaten vom Reiche
allerdings nicht ertheilt werden, weder in der Form der Verord-
nung noch in der des Reichsgeſetzes; eine poſitive Thätigkeit kann
das Reich den Einzelſtaaten nicht vorſchreiben und noch weniger
die Art und Weiſe anordnen, wie dieſe Thätigkeit vollzogen wer-
den ſoll. Da aber die Verwaltung eine Thätigkeit innerhalb der
beſtehenden Rechtsordnung iſt, da die Handlungen und Rechtsge-
ſchäfte der Verwaltungsbehörden hinſichtlich ihrer Zuläſſigkeit, Gül-
tigkeit und Wirkung in vielen Fällen nach den Regeln des Privat-
rechts, Strafrechts und Proceſſes zu beurtheilen ſind, dieſe Rechts-
regeln aber vom Reiche erlaſſen werden können und zum großen
Theile von demſelben bereits erlaſſen worden ſind, ſo befindet ſich
der Einzelſtaat in Bezug auf ſeine Verwaltungsthätigkeit nicht
innerhalb einer von ihm ſelbſt aufgerichteten, ſondern innerhalb
einer ihm von einer höheren Macht gegebenen Rechtsordnung.
Handlungen und Rechtsgeſchäfte, welche das vom Reich gegebene
Recht verbietet oder für unwirkſam erklärt, können die Regierungen
der Einzelſtaaten auch auf den ihnen überlaſſenen Verwaltungs-
Gebieten nicht mit rechtlicher Wirkung vornehmen. Soweit die
Thätigkeit der Verwaltungsbehörden Ausführung oder Vollziehung
ſtaatlicher Befehle iſt, haben die Behörden hinſichtlich dieſer Ange-
legenheiten nicht Befehle des Reiches, ſondern Befehle ihres Staates
zu vollführen; inſoweit die Verwaltung aber die Entfaltung der
ſtaatlichen Handlungsfreiheit innerhalb der Rechtsſchranken iſt,
kommen auf dieſelbe nicht nur die Landesgeſetze, ſondern in erſter
Reihe die Reichsgeſetze zur Anwendung.

II. Die beaufſichtigende Verwaltung des Reiches.

1. Die Controlle des Reiches hat den Zweck, darüber zu
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[232/0246] §. 69. Reichsverwaltung und Staatsverwaltung. dern des Staatsrechts der einzelnen Staaten. Sie wird von dem Willen der Einzelſtaaten beherrſcht und geregelt. Deſſenungeachtet würde es ganz unhaltbar ſein, die Einzelſtaaten hinſichtlich dieſer Thätigkeit für ſouverain zu erachten und ſonach eine Theilung der Souverainetät zwiſchen Reich und Einzelſtaat anzunehmen. Es iſt dies bereits bei der Erörterung des Bundesſtaatsbegriffes Bd. I. S. 74 und 105 hervorgehoben worden und findet hier ſeine nähere Ausführung und Beſtätigung. Verwaltungs-Befehle können auf dieſen Gebieten ſtaatlichen Lebens den Einzelſtaaten vom Reiche allerdings nicht ertheilt werden, weder in der Form der Verord- nung noch in der des Reichsgeſetzes; eine poſitive Thätigkeit kann das Reich den Einzelſtaaten nicht vorſchreiben und noch weniger die Art und Weiſe anordnen, wie dieſe Thätigkeit vollzogen wer- den ſoll. Da aber die Verwaltung eine Thätigkeit innerhalb der beſtehenden Rechtsordnung iſt, da die Handlungen und Rechtsge- ſchäfte der Verwaltungsbehörden hinſichtlich ihrer Zuläſſigkeit, Gül- tigkeit und Wirkung in vielen Fällen nach den Regeln des Privat- rechts, Strafrechts und Proceſſes zu beurtheilen ſind, dieſe Rechts- regeln aber vom Reiche erlaſſen werden können und zum großen Theile von demſelben bereits erlaſſen worden ſind, ſo befindet ſich der Einzelſtaat in Bezug auf ſeine Verwaltungsthätigkeit nicht innerhalb einer von ihm ſelbſt aufgerichteten, ſondern innerhalb einer ihm von einer höheren Macht gegebenen Rechtsordnung. Handlungen und Rechtsgeſchäfte, welche das vom Reich gegebene Recht verbietet oder für unwirkſam erklärt, können die Regierungen der Einzelſtaaten auch auf den ihnen überlaſſenen Verwaltungs- Gebieten nicht mit rechtlicher Wirkung vornehmen. Soweit die Thätigkeit der Verwaltungsbehörden Ausführung oder Vollziehung ſtaatlicher Befehle iſt, haben die Behörden hinſichtlich dieſer Ange- legenheiten nicht Befehle des Reiches, ſondern Befehle ihres Staates zu vollführen; inſoweit die Verwaltung aber die Entfaltung der ſtaatlichen Handlungsfreiheit innerhalb der Rechtsſchranken iſt, kommen auf dieſelbe nicht nur die Landesgeſetze, ſondern in erſter Reihe die Reichsgeſetze zur Anwendung. II. Die beaufſichtigende Verwaltung des Reiches. 1. Die Controlle des Reiches hat den Zweck, darüber zu wachen, daß die vom Reiche aufgeſtellten Rechtsregeln von den

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/246>, abgerufen am 24.04.2024.