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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

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Vorrede.
thum entgegengesetzt ist. Die Wahrheit muß
dem Verstande kenntlich seyn, sowohl weil er
dabey anfangen muß, weiter fortzugehen, als
auch weil ihm diese Kenntniß selbst im Fortgan-
ge zur Probe dient, ob er nicht gestrauchelt
habe?

Diese beyden Wissenschaften würden genug
seyn, wenn der menschliche Verstand seine Er-
kenntniß nicht an Wörter und Zeichen binden
müßte, und wenn die Wahrheit sich ihm nicht
öfters unter einem ganz andern Schein zeigte,
von welchem er sie, so wie von dem Jrrthum zu
unterscheiden hat. Dieses macht uns noch
zwo andere Wissenschaften nothwendig.

Die Semiotic, oder die Lehre von der Be-
zeichnung
der Gedanken und Dinge ist dem-
nach die dritte, und soll angeben, was die
Sprache und andere Zeichen für einen Einfluß
in die Erkenntniß der Wahrheit haben, und
wie sie dazu dienlich gemacht werden kön-
nen.

Endlich ist die Phänomenologie, oder die
Lehre von dem Schein die vierte, und diese soll
den Schein kenntlich machen, und die Mittel
angeben, denselben zu vermeiden, und zu dem
Wahren durchzudringen. Es ist für sich offen-
bar, daß diese vier Wissenschaften instrumental
oder eben so viele Werkzeuge sind, deren sich
der menschliche Verstand in Erforschung der
Wahrheit bedienen muß. Das Wort Orga-
non bedeutet eben dieses, und Aristoteles und

Baco

Vorrede.
thum entgegengeſetzt iſt. Die Wahrheit muß
dem Verſtande kenntlich ſeyn, ſowohl weil er
dabey anfangen muß, weiter fortzugehen, als
auch weil ihm dieſe Kenntniß ſelbſt im Fortgan-
ge zur Probe dient, ob er nicht geſtrauchelt
habe?

Dieſe beyden Wiſſenſchaften wuͤrden genug
ſeyn, wenn der menſchliche Verſtand ſeine Er-
kenntniß nicht an Woͤrter und Zeichen binden
muͤßte, und wenn die Wahrheit ſich ihm nicht
oͤfters unter einem ganz andern Schein zeigte,
von welchem er ſie, ſo wie von dem Jrrthum zu
unterſcheiden hat. Dieſes macht uns noch
zwo andere Wiſſenſchaften nothwendig.

Die Semiotic, oder die Lehre von der Be-
zeichnung
der Gedanken und Dinge iſt dem-
nach die dritte, und ſoll angeben, was die
Sprache und andere Zeichen fuͤr einen Einfluß
in die Erkenntniß der Wahrheit haben, und
wie ſie dazu dienlich gemacht werden koͤn-
nen.

Endlich iſt die Phaͤnomenologie, oder die
Lehre von dem Schein die vierte, und dieſe ſoll
den Schein kenntlich machen, und die Mittel
angeben, denſelben zu vermeiden, und zu dem
Wahren durchzudringen. Es iſt fuͤr ſich offen-
bar, daß dieſe vier Wiſſenſchaften inſtrumental
oder eben ſo viele Werkzeuge ſind, deren ſich
der menſchliche Verſtand in Erforſchung der
Wahrheit bedienen muß. Das Wort Orga-
non bedeutet eben dieſes, und Ariſtoteles und

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[0010] Vorrede. thum entgegengeſetzt iſt. Die Wahrheit muß dem Verſtande kenntlich ſeyn, ſowohl weil er dabey anfangen muß, weiter fortzugehen, als auch weil ihm dieſe Kenntniß ſelbſt im Fortgan- ge zur Probe dient, ob er nicht geſtrauchelt habe? Dieſe beyden Wiſſenſchaften wuͤrden genug ſeyn, wenn der menſchliche Verſtand ſeine Er- kenntniß nicht an Woͤrter und Zeichen binden muͤßte, und wenn die Wahrheit ſich ihm nicht oͤfters unter einem ganz andern Schein zeigte, von welchem er ſie, ſo wie von dem Jrrthum zu unterſcheiden hat. Dieſes macht uns noch zwo andere Wiſſenſchaften nothwendig. Die Semiotic, oder die Lehre von der Be- zeichnung der Gedanken und Dinge iſt dem- nach die dritte, und ſoll angeben, was die Sprache und andere Zeichen fuͤr einen Einfluß in die Erkenntniß der Wahrheit haben, und wie ſie dazu dienlich gemacht werden koͤn- nen. Endlich iſt die Phaͤnomenologie, oder die Lehre von dem Schein die vierte, und dieſe ſoll den Schein kenntlich machen, und die Mittel angeben, denſelben zu vermeiden, und zu dem Wahren durchzudringen. Es iſt fuͤr ſich offen- bar, daß dieſe vier Wiſſenſchaften inſtrumental oder eben ſo viele Werkzeuge ſind, deren ſich der menſchliche Verſtand in Erforſchung der Wahrheit bedienen muß. Das Wort Orga- non bedeutet eben dieſes, und Ariſtoteles und Baco

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Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/10>, abgerufen am 18.04.2024.