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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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die Hand weglassen", fügte er, sicher mit dem vollen Bewußt-
sein, ein aufgeklärter und moderner Mann zu sein, hinzu:
"Jch bin durchaus dafür, daß man den Frauen möglichst viel
Gelegenheit gibt, sich selbst im Leben ihr Brot zu erwerben,
und ich bin auch der Ansicht, daß man es den Frauen nicht
erschweren solle, öffentlich ihr Recht in bezug auf die Ausübung
ihres Berufes zu vertreten". Ungefähr zu gleicher Zeit lehnte
die braunschweigische Regierung den Antrag des Landtages, den
Frauen die korporative Pflege ihrer Berufsinteressen zu ge-
statten, mit folgender Begründung ab: "Der Ausschluß der
Frauen von der Politik wäre praktisch nicht durchführbar,
wenn man ihnen das Feld der beruflichen Jnteressen öffnete;
die Unbestimmbarkeit und Dehnbarkeit dieses Ausdrucks macht
eine bestimmte Abgrenzung unmöglich. Jn einer großen An-
zahl, vielleicht in der Mehrzahl der Fälle wird die Wahr-
nehmung beruflicher Jnteressen auf das sozialpolitische, ja
sogar auf das rein politische Gebiet übergreifen müssen; in
allen solchen Fällen würde die Polizei vor eine bei der
Flüssigkeit der Grenzen zwischen den drei genannten Begriffen
äußerst schwierige Entscheidung gestellt werden. Jn den be-
teiligten Kreisen würde man bestrebt sein, den Worten des
Gesetzes eine möglichst weite Auslegung zu geben und den
Frauen Rechte zuzusprechen, die ihnen zu gewähren nicht die
Absicht des Gesetzgebers gewesen ist."

Vielleicht haben viele, die den Beschluß der braun-
schweigischen Regierung engherzig fanden, den "fortschrittlichen"
Jdeen des Grafen Posadowsky beifällig zugestimmt. Und doch
war die braunschweigische Regierung logisch und Graf Posa-
dowsky unlogisch; in einer Weise unlogisch, die ihm nie durch-
gegangen wäre ohne die reservatio mentalis, die man immer
noch zu machen pflegt, wenn es sich um Fraueninteressen
handelt. Man stelle sich nur einmal den Sturm vor, der sich
erheben würde, wenn jemand behaupten wollte, die Landwirte
können ihre Berufsinteressen vertreten, dazu genügt ihre
Organisation im Bund der Landwirte; politische Rechte sind
ihnen dazu nicht nötig; von Politik sollen sie die Hand weg-

die Hand weglassen“, fügte er, sicher mit dem vollen Bewußt-
sein, ein aufgeklärter und moderner Mann zu sein, hinzu:
„Jch bin durchaus dafür, daß man den Frauen möglichst viel
Gelegenheit gibt, sich selbst im Leben ihr Brot zu erwerben,
und ich bin auch der Ansicht, daß man es den Frauen nicht
erschweren solle, öffentlich ihr Recht in bezug auf die Ausübung
ihres Berufes zu vertreten“. Ungefähr zu gleicher Zeit lehnte
die braunschweigische Regierung den Antrag des Landtages, den
Frauen die korporative Pflege ihrer Berufsinteressen zu ge-
statten, mit folgender Begründung ab: „Der Ausschluß der
Frauen von der Politik wäre praktisch nicht durchführbar,
wenn man ihnen das Feld der beruflichen Jnteressen öffnete;
die Unbestimmbarkeit und Dehnbarkeit dieses Ausdrucks macht
eine bestimmte Abgrenzung unmöglich. Jn einer großen An-
zahl, vielleicht in der Mehrzahl der Fälle wird die Wahr-
nehmung beruflicher Jnteressen auf das sozialpolitische, ja
sogar auf das rein politische Gebiet übergreifen müssen; in
allen solchen Fällen würde die Polizei vor eine bei der
Flüssigkeit der Grenzen zwischen den drei genannten Begriffen
äußerst schwierige Entscheidung gestellt werden. Jn den be-
teiligten Kreisen würde man bestrebt sein, den Worten des
Gesetzes eine möglichst weite Auslegung zu geben und den
Frauen Rechte zuzusprechen, die ihnen zu gewähren nicht die
Absicht des Gesetzgebers gewesen ist.“

Vielleicht haben viele, die den Beschluß der braun-
schweigischen Regierung engherzig fanden, den „fortschrittlichen“
Jdeen des Grafen Posadowsky beifällig zugestimmt. Und doch
war die braunschweigische Regierung logisch und Graf Posa-
dowsky unlogisch; in einer Weise unlogisch, die ihm nie durch-
gegangen wäre ohne die reservatio mentalis, die man immer
noch zu machen pflegt, wenn es sich um Fraueninteressen
handelt. Man stelle sich nur einmal den Sturm vor, der sich
erheben würde, wenn jemand behaupten wollte, die Landwirte
können ihre Berufsinteressen vertreten, dazu genügt ihre
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[4/0010] die Hand weglassen“, fügte er, sicher mit dem vollen Bewußt- sein, ein aufgeklärter und moderner Mann zu sein, hinzu: „Jch bin durchaus dafür, daß man den Frauen möglichst viel Gelegenheit gibt, sich selbst im Leben ihr Brot zu erwerben, und ich bin auch der Ansicht, daß man es den Frauen nicht erschweren solle, öffentlich ihr Recht in bezug auf die Ausübung ihres Berufes zu vertreten“. Ungefähr zu gleicher Zeit lehnte die braunschweigische Regierung den Antrag des Landtages, den Frauen die korporative Pflege ihrer Berufsinteressen zu ge- statten, mit folgender Begründung ab: „Der Ausschluß der Frauen von der Politik wäre praktisch nicht durchführbar, wenn man ihnen das Feld der beruflichen Jnteressen öffnete; die Unbestimmbarkeit und Dehnbarkeit dieses Ausdrucks macht eine bestimmte Abgrenzung unmöglich. Jn einer großen An- zahl, vielleicht in der Mehrzahl der Fälle wird die Wahr- nehmung beruflicher Jnteressen auf das sozialpolitische, ja sogar auf das rein politische Gebiet übergreifen müssen; in allen solchen Fällen würde die Polizei vor eine bei der Flüssigkeit der Grenzen zwischen den drei genannten Begriffen äußerst schwierige Entscheidung gestellt werden. Jn den be- teiligten Kreisen würde man bestrebt sein, den Worten des Gesetzes eine möglichst weite Auslegung zu geben und den Frauen Rechte zuzusprechen, die ihnen zu gewähren nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen ist.“ Vielleicht haben viele, die den Beschluß der braun- schweigischen Regierung engherzig fanden, den „fortschrittlichen“ Jdeen des Grafen Posadowsky beifällig zugestimmt. Und doch war die braunschweigische Regierung logisch und Graf Posa- dowsky unlogisch; in einer Weise unlogisch, die ihm nie durch- gegangen wäre ohne die reservatio mentalis, die man immer noch zu machen pflegt, wenn es sich um Fraueninteressen handelt. Man stelle sich nur einmal den Sturm vor, der sich erheben würde, wenn jemand behaupten wollte, die Landwirte können ihre Berufsinteressen vertreten, dazu genügt ihre Organisation im Bund der Landwirte; politische Rechte sind ihnen dazu nicht nötig; von Politik sollen sie die Hand weg-

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/10>, abgerufen am 19.04.2024.