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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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Nun soll endlich einmal Halt gemacht werden. Zugestanden,
die Frauen sind durch die wirtschaftliche Entwicklung - die
tieferliegenden geistigen Faktoren entziehen sich ja mehr der
Wahrnehmung - in das Berufsleben hineingedrängt worden;
sie haben jetzt alle dafür notwendigen Rechte bekommen; nach
dem Erlaß des Reichsvereinsgesetzes bleibt ihnen nichts mehr
zu wünschen übrig. Nun sollen sie einmal zufrieden sein und
Ruhe geben.

Haben sie wirklich alle dafür notwendigen Rechte bekommen?
Die Antwort auf diese Frage ist so unendlich einfach, daß
man kaum versteht, wie man überhaupt fragen kann. Es
sind da zwei Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Der eine
ergibt sich aus der wachsenden Ausdehnung der staatlichen
Regelung des Berufs und Wirtschaftslebens. Nach einer Periode
des laisser faire und des freien Spiels der wirtschaftlichen
Kräfte, der prinzipiellen Zurückhaltung des Staates von jedem
Eingriff in das Erwerbsleben ist jetzt eine Zeit der immer
weiter greifenden staatlichen Sozialpolitik gekommen. Die
Sphäre des privaten Beliebens in jedem einzelnen Berufs-
gebiet schränkt sich immer mehr ein. Der Staat gibt für jedes
Berufsgebiet einen immer weiter ausgeführten Grundriß von
Bestimmungen für Ausbildung und Fortbildung, Arbeitszeit
und Arbeitsweise; er verpflichtet zu gewissen Leistungen für
Alters- und Jnvaliditätsversicherung usw. usw. Jeder Beruf
ruht heute auf der Grundlage gewisser staatlich gegebener Be-
dingungen, die seine Ausübung, seine wirtschaftlichen Chancen
in einen ganz festen Rahmen spannen. Deshalb hat jeder
Berufsangehörige heute ein ganz anderes Jnteresse daran, in
Gesetzgebung und Verwaltung mitsprechen zu dürfen. Jst er
doch in seinem Berufsleben von staatlichen Anordnungen in
ganz anderer Weise abhängig als in früherer Zeit, da der
Staat sich um das Erwerbsleben weniger kümmerte. Aus
dieser außerordentlichen Verstärkung des staatlichen Einflusses
auf die verschiedenen Berufsgebiete sind alle diese Mittel-
instanzen notwendig geworden, die man wohl als gesetzliche
Berufsvertretungen bezeichnet, wie Gewerbe- und Kaufmanns-

Nun soll endlich einmal Halt gemacht werden. Zugestanden,
die Frauen sind durch die wirtschaftliche Entwicklung – die
tieferliegenden geistigen Faktoren entziehen sich ja mehr der
Wahrnehmung – in das Berufsleben hineingedrängt worden;
sie haben jetzt alle dafür notwendigen Rechte bekommen; nach
dem Erlaß des Reichsvereinsgesetzes bleibt ihnen nichts mehr
zu wünschen übrig. Nun sollen sie einmal zufrieden sein und
Ruhe geben.

Haben sie wirklich alle dafür notwendigen Rechte bekommen?
Die Antwort auf diese Frage ist so unendlich einfach, daß
man kaum versteht, wie man überhaupt fragen kann. Es
sind da zwei Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Der eine
ergibt sich aus der wachsenden Ausdehnung der staatlichen
Regelung des Berufs und Wirtschaftslebens. Nach einer Periode
des laisser faire und des freien Spiels der wirtschaftlichen
Kräfte, der prinzipiellen Zurückhaltung des Staates von jedem
Eingriff in das Erwerbsleben ist jetzt eine Zeit der immer
weiter greifenden staatlichen Sozialpolitik gekommen. Die
Sphäre des privaten Beliebens in jedem einzelnen Berufs-
gebiet schränkt sich immer mehr ein. Der Staat gibt für jedes
Berufsgebiet einen immer weiter ausgeführten Grundriß von
Bestimmungen für Ausbildung und Fortbildung, Arbeitszeit
und Arbeitsweise; er verpflichtet zu gewissen Leistungen für
Alters- und Jnvaliditätsversicherung usw. usw. Jeder Beruf
ruht heute auf der Grundlage gewisser staatlich gegebener Be-
dingungen, die seine Ausübung, seine wirtschaftlichen Chancen
in einen ganz festen Rahmen spannen. Deshalb hat jeder
Berufsangehörige heute ein ganz anderes Jnteresse daran, in
Gesetzgebung und Verwaltung mitsprechen zu dürfen. Jst er
doch in seinem Berufsleben von staatlichen Anordnungen in
ganz anderer Weise abhängig als in früherer Zeit, da der
Staat sich um das Erwerbsleben weniger kümmerte. Aus
dieser außerordentlichen Verstärkung des staatlichen Einflusses
auf die verschiedenen Berufsgebiete sind alle diese Mittel-
instanzen notwendig geworden, die man wohl als gesetzliche
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[6/0012] Nun soll endlich einmal Halt gemacht werden. Zugestanden, die Frauen sind durch die wirtschaftliche Entwicklung – die tieferliegenden geistigen Faktoren entziehen sich ja mehr der Wahrnehmung – in das Berufsleben hineingedrängt worden; sie haben jetzt alle dafür notwendigen Rechte bekommen; nach dem Erlaß des Reichsvereinsgesetzes bleibt ihnen nichts mehr zu wünschen übrig. Nun sollen sie einmal zufrieden sein und Ruhe geben. Haben sie wirklich alle dafür notwendigen Rechte bekommen? Die Antwort auf diese Frage ist so unendlich einfach, daß man kaum versteht, wie man überhaupt fragen kann. Es sind da zwei Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen. Der eine ergibt sich aus der wachsenden Ausdehnung der staatlichen Regelung des Berufs und Wirtschaftslebens. Nach einer Periode des laisser faire und des freien Spiels der wirtschaftlichen Kräfte, der prinzipiellen Zurückhaltung des Staates von jedem Eingriff in das Erwerbsleben ist jetzt eine Zeit der immer weiter greifenden staatlichen Sozialpolitik gekommen. Die Sphäre des privaten Beliebens in jedem einzelnen Berufs- gebiet schränkt sich immer mehr ein. Der Staat gibt für jedes Berufsgebiet einen immer weiter ausgeführten Grundriß von Bestimmungen für Ausbildung und Fortbildung, Arbeitszeit und Arbeitsweise; er verpflichtet zu gewissen Leistungen für Alters- und Jnvaliditätsversicherung usw. usw. Jeder Beruf ruht heute auf der Grundlage gewisser staatlich gegebener Be- dingungen, die seine Ausübung, seine wirtschaftlichen Chancen in einen ganz festen Rahmen spannen. Deshalb hat jeder Berufsangehörige heute ein ganz anderes Jnteresse daran, in Gesetzgebung und Verwaltung mitsprechen zu dürfen. Jst er doch in seinem Berufsleben von staatlichen Anordnungen in ganz anderer Weise abhängig als in früherer Zeit, da der Staat sich um das Erwerbsleben weniger kümmerte. Aus dieser außerordentlichen Verstärkung des staatlichen Einflusses auf die verschiedenen Berufsgebiete sind alle diese Mittel- instanzen notwendig geworden, die man wohl als gesetzliche Berufsvertretungen bezeichnet, wie Gewerbe- und Kaufmanns-

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/12>, abgerufen am 23.04.2024.