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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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verantwortlicheren Anteil gibt. Wenn da beklagt wird, wie die
kulturpolitische Tätigkeit des Staates in einen geisttötenden
Schematismus ausarte, wie wir uns gewöhnt haben, die Ver-
vollkommnung der Dinge an Stelle der Durchbildung der
Persönlichkeit zu setzen, - wenn soziale Humanität, eine
regere Vermittlung geistiger Güter an die unteren Volksschichten,
die Verstärkung der intuitiven an Stelle der analytischen,
verstandesmäßigen Kräfte in unserer Kultur gefordert wird,
so wird in mancher Frau bei diesem Appell die Ahnung
schlummernder Kräfte sich regen, die gerade diese Aufgaben
ergreifen könnten.



Und damit komme ich zum Schluß meiner Ausführungen,
zu der Frage: was nützt dem Staat die bürgerliche Be-
freiung, d. h. eine selbständigere, verantwortlichere Mitarbeit
der Frau an seinen Aufgaben?

Die große Führerin der amerikanischen Frauenstimmrechts-
bewegung, Susan B. Anthony, hat ihr unzählige Male aus-
gesprochenes Glaubensbekenntnis, das Leitmotiv ihres ganzen
Lebens, in den Worten niedergelegt: "Jch glaube fest und ganz
an die Offenbarung, daß das Menschengeschlecht durch die Frau
erlöst werden wird, und auf Grund dieses Glaubens fordere ich
die unbedingte und sofortige Befreiung der Frau von jeder
politischen, industriellen, sozialen und religiösen Hörigkeit".
Wer sie je gesehen hat, versteht vollkommen die tiefe religiöse
Hingebung dieser Worte und den Grund, auf dem ihr diese
Überzeugung erwuchs: aus einem selbstlosen, reinen Herzen,
erfüllt von dem instinktiven Drang zu helfen, den man als
Hauptinhalt des Wortes "weiblich" zu denken gewöhnt ist.

Selbstverständlich ist von keinem Mann zu verlangen, daß
er an dieses Wort glaube. Ja, wir selbst, wir Frauen eines
Volkes mit größerer historischer Bildung, wir Menschen einer
Zeit mit nüchternerem Blick für politische Realitäten, wir ver-
mögen uns vom Frauenstimmrecht ebensowenig den Himmel
auf Erden zu versprechen, als von irgendeiner andern poli-

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verantwortlicheren Anteil gibt. Wenn da beklagt wird, wie die
kulturpolitische Tätigkeit des Staates in einen geisttötenden
Schematismus ausarte, wie wir uns gewöhnt haben, die Ver-
vollkommnung der Dinge an Stelle der Durchbildung der
Persönlichkeit zu setzen, – wenn soziale Humanität, eine
regere Vermittlung geistiger Güter an die unteren Volksschichten,
die Verstärkung der intuitiven an Stelle der analytischen,
verstandesmäßigen Kräfte in unserer Kultur gefordert wird,
so wird in mancher Frau bei diesem Appell die Ahnung
schlummernder Kräfte sich regen, die gerade diese Aufgaben
ergreifen könnten.



Und damit komme ich zum Schluß meiner Ausführungen,
zu der Frage: was nützt dem Staat die bürgerliche Be-
freiung, d. h. eine selbständigere, verantwortlichere Mitarbeit
der Frau an seinen Aufgaben?

Die große Führerin der amerikanischen Frauenstimmrechts-
bewegung, Susan B. Anthony, hat ihr unzählige Male aus-
gesprochenes Glaubensbekenntnis, das Leitmotiv ihres ganzen
Lebens, in den Worten niedergelegt: „Jch glaube fest und ganz
an die Offenbarung, daß das Menschengeschlecht durch die Frau
erlöst werden wird, und auf Grund dieses Glaubens fordere ich
die unbedingte und sofortige Befreiung der Frau von jeder
politischen, industriellen, sozialen und religiösen Hörigkeit“.
Wer sie je gesehen hat, versteht vollkommen die tiefe religiöse
Hingebung dieser Worte und den Grund, auf dem ihr diese
Überzeugung erwuchs: aus einem selbstlosen, reinen Herzen,
erfüllt von dem instinktiven Drang zu helfen, den man als
Hauptinhalt des Wortes „weiblich“ zu denken gewöhnt ist.

Selbstverständlich ist von keinem Mann zu verlangen, daß
er an dieses Wort glaube. Ja, wir selbst, wir Frauen eines
Volkes mit größerer historischer Bildung, wir Menschen einer
Zeit mit nüchternerem Blick für politische Realitäten, wir ver-
mögen uns vom Frauenstimmrecht ebensowenig den Himmel
auf Erden zu versprechen, als von irgendeiner andern poli-

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[19/0025] verantwortlicheren Anteil gibt. Wenn da beklagt wird, wie die kulturpolitische Tätigkeit des Staates in einen geisttötenden Schematismus ausarte, wie wir uns gewöhnt haben, die Ver- vollkommnung der Dinge an Stelle der Durchbildung der Persönlichkeit zu setzen, – wenn soziale Humanität, eine regere Vermittlung geistiger Güter an die unteren Volksschichten, die Verstärkung der intuitiven an Stelle der analytischen, verstandesmäßigen Kräfte in unserer Kultur gefordert wird, so wird in mancher Frau bei diesem Appell die Ahnung schlummernder Kräfte sich regen, die gerade diese Aufgaben ergreifen könnten. Und damit komme ich zum Schluß meiner Ausführungen, zu der Frage: was nützt dem Staat die bürgerliche Be- freiung, d. h. eine selbständigere, verantwortlichere Mitarbeit der Frau an seinen Aufgaben? Die große Führerin der amerikanischen Frauenstimmrechts- bewegung, Susan B. Anthony, hat ihr unzählige Male aus- gesprochenes Glaubensbekenntnis, das Leitmotiv ihres ganzen Lebens, in den Worten niedergelegt: „Jch glaube fest und ganz an die Offenbarung, daß das Menschengeschlecht durch die Frau erlöst werden wird, und auf Grund dieses Glaubens fordere ich die unbedingte und sofortige Befreiung der Frau von jeder politischen, industriellen, sozialen und religiösen Hörigkeit“. Wer sie je gesehen hat, versteht vollkommen die tiefe religiöse Hingebung dieser Worte und den Grund, auf dem ihr diese Überzeugung erwuchs: aus einem selbstlosen, reinen Herzen, erfüllt von dem instinktiven Drang zu helfen, den man als Hauptinhalt des Wortes „weiblich“ zu denken gewöhnt ist. Selbstverständlich ist von keinem Mann zu verlangen, daß er an dieses Wort glaube. Ja, wir selbst, wir Frauen eines Volkes mit größerer historischer Bildung, wir Menschen einer Zeit mit nüchternerem Blick für politische Realitäten, wir ver- mögen uns vom Frauenstimmrecht ebensowenig den Himmel auf Erden zu versprechen, als von irgendeiner andern poli- 2*

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-03-24T10:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/25>, abgerufen am 28.03.2024.