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Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909.

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von dem Feuer weltbewegender sittlicher Überzeugungen durch-
leuchtet. Und sie werden noch heute bei den Menschen, die auf
dem Boden dieser Weltanschauung stehen, die in der Gedanken-
welt des deutschen Liberalismus aus der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts zu Hause sind, ihre Werbekraft entfalten.

Aber auch nur bei solchen. Allen anderen gegenüber muß
die Erörterung der Beziehungen zwischen der Frau und dem
politischen Leben heute einen ganz anderen Ausgangspunkt
nehmen, nämlich nicht von Jdeen und sittlichen Überzeugungen,
sondern von konkreten wirtschaftlichen Tatsachen. Das
Bild, das uns die neue Berufsstatistik von der Lage der Frau
in der modernen Volkswirtschaft gibt, redet eine Sprache, die
gar nicht überhört werden kann. Neben diesen wuchtigen, durch
keine Argumentation aus der Welt zu schaffenden Tatsachen
verblaßt das Für und Wider, das sich aus noch so gewichtigen
rein begrifflichen Erörterungen ergibt. Auf diese Tatsachen
müssen wir uns heute vor allen Dingen stützen, wenn wir
von einer Neuordnung des Verhältnisses der Frau zum politischen
Leben reden.

Die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen ist seit der letzten
Berufszählung im Jahre 1895 von etwa 6 1/2 auf 9 1/2 Millionen
gestiegen. 9 1/2 Millionen Frauen, d. h. fast die Hälfte aller
erwachsenen Frauen überhaupt, stehen in irgendeinem Berufe.
Unter den Millionen von Kräften, die in Fabrik, Werkstatt
und Warenhaus, in Feld und Stall und Hof, in den Bureaus
und in den Laboratorien, in der Schule und am Postschalter
unsere Volkswirtschaft im Betrieb erhalten und unsere Kultur-
aufgaben bewältigen, sind ein volles Drittel Frauen. Wenn
wir die unabsehbare Reihe unserer nationalen Arbeitskräfte an
uns vorüberziehen lassen könnten, so würde jeder Dritte in
dieser Reihe eine Frau sein. Diese Zahlen nennen, heißt aus-
sprechen, daß sich die sogenannte weibliche Bestimmung, d. h.
die Summe der Aufgaben, für welche im Arbeitsleben unseres
Volkes die Frauen gebraucht werden, im letzten halben Jahr-
hundert von Grund aus und entscheidend umgewandelt hat.
Nur zur Hälfte fließen die Kräfte der Frauen noch dem Hause

von dem Feuer weltbewegender sittlicher Überzeugungen durch-
leuchtet. Und sie werden noch heute bei den Menschen, die auf
dem Boden dieser Weltanschauung stehen, die in der Gedanken-
welt des deutschen Liberalismus aus der ersten Hälfte des
19. Jahrhunderts zu Hause sind, ihre Werbekraft entfalten.

Aber auch nur bei solchen. Allen anderen gegenüber muß
die Erörterung der Beziehungen zwischen der Frau und dem
politischen Leben heute einen ganz anderen Ausgangspunkt
nehmen, nämlich nicht von Jdeen und sittlichen Überzeugungen,
sondern von konkreten wirtschaftlichen Tatsachen. Das
Bild, das uns die neue Berufsstatistik von der Lage der Frau
in der modernen Volkswirtschaft gibt, redet eine Sprache, die
gar nicht überhört werden kann. Neben diesen wuchtigen, durch
keine Argumentation aus der Welt zu schaffenden Tatsachen
verblaßt das Für und Wider, das sich aus noch so gewichtigen
rein begrifflichen Erörterungen ergibt. Auf diese Tatsachen
müssen wir uns heute vor allen Dingen stützen, wenn wir
von einer Neuordnung des Verhältnisses der Frau zum politischen
Leben reden.

Die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen ist seit der letzten
Berufszählung im Jahre 1895 von etwa 6 ½ auf 9 ½ Millionen
gestiegen. 9 ½ Millionen Frauen, d. h. fast die Hälfte aller
erwachsenen Frauen überhaupt, stehen in irgendeinem Berufe.
Unter den Millionen von Kräften, die in Fabrik, Werkstatt
und Warenhaus, in Feld und Stall und Hof, in den Bureaus
und in den Laboratorien, in der Schule und am Postschalter
unsere Volkswirtschaft im Betrieb erhalten und unsere Kultur-
aufgaben bewältigen, sind ein volles Drittel Frauen. Wenn
wir die unabsehbare Reihe unserer nationalen Arbeitskräfte an
uns vorüberziehen lassen könnten, so würde jeder Dritte in
dieser Reihe eine Frau sein. Diese Zahlen nennen, heißt aus-
sprechen, daß sich die sogenannte weibliche Bestimmung, d. h.
die Summe der Aufgaben, für welche im Arbeitsleben unseres
Volkes die Frauen gebraucht werden, im letzten halben Jahr-
hundert von Grund aus und entscheidend umgewandelt hat.
Nur zur Hälfte fließen die Kräfte der Frauen noch dem Hause

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[2/0008] von dem Feuer weltbewegender sittlicher Überzeugungen durch- leuchtet. Und sie werden noch heute bei den Menschen, die auf dem Boden dieser Weltanschauung stehen, die in der Gedanken- welt des deutschen Liberalismus aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Hause sind, ihre Werbekraft entfalten. Aber auch nur bei solchen. Allen anderen gegenüber muß die Erörterung der Beziehungen zwischen der Frau und dem politischen Leben heute einen ganz anderen Ausgangspunkt nehmen, nämlich nicht von Jdeen und sittlichen Überzeugungen, sondern von konkreten wirtschaftlichen Tatsachen. Das Bild, das uns die neue Berufsstatistik von der Lage der Frau in der modernen Volkswirtschaft gibt, redet eine Sprache, die gar nicht überhört werden kann. Neben diesen wuchtigen, durch keine Argumentation aus der Welt zu schaffenden Tatsachen verblaßt das Für und Wider, das sich aus noch so gewichtigen rein begrifflichen Erörterungen ergibt. Auf diese Tatsachen müssen wir uns heute vor allen Dingen stützen, wenn wir von einer Neuordnung des Verhältnisses der Frau zum politischen Leben reden. Die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen ist seit der letzten Berufszählung im Jahre 1895 von etwa 6 ½ auf 9 ½ Millionen gestiegen. 9 ½ Millionen Frauen, d. h. fast die Hälfte aller erwachsenen Frauen überhaupt, stehen in irgendeinem Berufe. Unter den Millionen von Kräften, die in Fabrik, Werkstatt und Warenhaus, in Feld und Stall und Hof, in den Bureaus und in den Laboratorien, in der Schule und am Postschalter unsere Volkswirtschaft im Betrieb erhalten und unsere Kultur- aufgaben bewältigen, sind ein volles Drittel Frauen. Wenn wir die unabsehbare Reihe unserer nationalen Arbeitskräfte an uns vorüberziehen lassen könnten, so würde jeder Dritte in dieser Reihe eine Frau sein. Diese Zahlen nennen, heißt aus- sprechen, daß sich die sogenannte weibliche Bestimmung, d. h. die Summe der Aufgaben, für welche im Arbeitsleben unseres Volkes die Frauen gebraucht werden, im letzten halben Jahr- hundert von Grund aus und entscheidend umgewandelt hat. Nur zur Hälfte fließen die Kräfte der Frauen noch dem Hause

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2022-03-24T10:53:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt, Dennis Dietrich: Bearbeitung der digitalen Edition. (2022-03-24T10:53:44Z)

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Zitationshilfe: Lange, Helene: Die Frauen und das politische Leben. Berlin, 1909, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_frauen_1909/8>, abgerufen am 29.03.2024.