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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der indische Ocean.

Aber schon gegen Ende des XVI. Jahrhunderts brach das pon-
tifical-spanisch-portugiesische System der Oceansperre haltlos in sich
zusammen. Holländer, Engländer, Franzosen drangen unaufhaltsam
auch in den indischen Ocean ein. Das völkerrechtliche System des
"mare liberum" -- Freiheit des Meeres in Krieg und Frieden --
gewann die Oberhand.

Das Uebergewicht der Holländer und späterhin der Engländer
beruhte nicht auf Verträgen und künstlichen Veranstaltungen, sondern
auf ihrer natürlichen reellen Ueberlegenheit. Im Laufe des XVIII. Jahr-
hunderts überholten die Engländer alle ihre Nebenbuhler, besonders
die Franzosen, welche von ihnen aus Nordamerika und Ostindien
verdrängt wurden. Gleichzeitig eilte die englische Industrie durch
technische Erfindungen und Organisation des Grossbetriebes den
Industrien des Continentes um ein halbes Jahrhundert voraus. Als
nun in Frankreich das alte Regime seiner politischen Misserfolge
wegen von der Revolution gestürzt worden war, bildete die Be-
kämpfung des seegewaltigen Britanniens, die Zerstörung seiner
commerciellen Vorherrschaft den Kerngedanken des neuen kriegerisch-
politischen Systems. Die Fleischwerdung dieses Gedankens hiess
Napoleon Bonaparte. Von überschwenglichen Phantasien erfüllt,
unternahm der junge Corse seinen denkwürdigen Alexanderzug nach
Indien. Freilich, das Schicksal donnerte ihm schon in Syrien ein
Halt entgegen, allein das berühmte Wort Napoleons: "Aegypten
ist der Schlüssel Indiens", bildet den Keim der sogenannten Orient-
frage, welche heute und wohl noch für lange Zeit den Cardinalpunkt
der grossen europäischen Politik bildet, und in Bonaparte's Um-
gebung entstand der fruchtbare Zukunftsgedanke einer Durchstechung
des Isthmus von Suez. Erst unter Napoleon III. sollte das Werk
zur Ausführung kommen, mit welchem die jüngste Phase in der Ge-
schichte des indischen Oceans anfängt (1869). Wenn sich die stille
Hoffnung der Franzosen und vielleicht auch anderer Handelsstaaten
am Mittelmeer daran geknüpft hat, der englischen Präponderanz in
Süd- und Ostasien einen tödtlichen Schlag beigebracht zu haben,
so ist sie nicht in Erfüllung gegangen. Durch Vermehrung ihrer
Positionen im Mittelmeer, durch geschickte finanzielle Operationen,
durch die erhöhte Aufmerksamkeit, welche den australischen und
afrikanischen Colonial- und Schutzgebieten zugewendet worden, hat
England im Ganzen seine frühere Stellung behauptet.

Im Vergleiche zur reichen Nordküste ist der ostafrikanische
buchten- und hafenarme Küstensaum des indischen Oceans nach jeder

Der indische Ocean.

Aber schon gegen Ende des XVI. Jahrhunderts brach das pon-
tifical-spanisch-portugiesische System der Oceansperre haltlos in sich
zusammen. Holländer, Engländer, Franzosen drangen unaufhaltsam
auch in den indischen Ocean ein. Das völkerrechtliche System des
mare liberum“ — Freiheit des Meeres in Krieg und Frieden —
gewann die Oberhand.

Das Uebergewicht der Holländer und späterhin der Engländer
beruhte nicht auf Verträgen und künstlichen Veranstaltungen, sondern
auf ihrer natürlichen reellen Ueberlegenheit. Im Laufe des XVIII. Jahr-
hunderts überholten die Engländer alle ihre Nebenbuhler, besonders
die Franzosen, welche von ihnen aus Nordamerika und Ostindien
verdrängt wurden. Gleichzeitig eilte die englische Industrie durch
technische Erfindungen und Organisation des Grossbetriebes den
Industrien des Continentes um ein halbes Jahrhundert voraus. Als
nun in Frankreich das alte Regime seiner politischen Misserfolge
wegen von der Revolution gestürzt worden war, bildete die Be-
kämpfung des seegewaltigen Britanniens, die Zerstörung seiner
commerciellen Vorherrschaft den Kerngedanken des neuen kriegerisch-
politischen Systems. Die Fleischwerdung dieses Gedankens hiess
Napoleon Bonaparte. Von überschwenglichen Phantasien erfüllt,
unternahm der junge Corse seinen denkwürdigen Alexanderzug nach
Indien. Freilich, das Schicksal donnerte ihm schon in Syrien ein
Halt entgegen, allein das berühmte Wort Napoleons: „Aegypten
ist der Schlüssel Indiens“, bildet den Keim der sogenannten Orient-
frage, welche heute und wohl noch für lange Zeit den Cardinalpunkt
der grossen europäischen Politik bildet, und in Bonaparte’s Um-
gebung entstand der fruchtbare Zukunftsgedanke einer Durchstechung
des Isthmus von Suez. Erst unter Napoleon III. sollte das Werk
zur Ausführung kommen, mit welchem die jüngste Phase in der Ge-
schichte des indischen Oceans anfängt (1869). Wenn sich die stille
Hoffnung der Franzosen und vielleicht auch anderer Handelsstaaten
am Mittelmeer daran geknüpft hat, der englischen Präponderanz in
Süd- und Ostasien einen tödtlichen Schlag beigebracht zu haben,
so ist sie nicht in Erfüllung gegangen. Durch Vermehrung ihrer
Positionen im Mittelmeer, durch geschickte finanzielle Operationen,
durch die erhöhte Aufmerksamkeit, welche den australischen und
afrikanischen Colonial- und Schutzgebieten zugewendet worden, hat
England im Ganzen seine frühere Stellung behauptet.

Im Vergleiche zur reichen Nordküste ist der ostafrikanische
buchten- und hafenarme Küstensaum des indischen Oceans nach jeder

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[535/0551] Der indische Ocean. Aber schon gegen Ende des XVI. Jahrhunderts brach das pon- tifical-spanisch-portugiesische System der Oceansperre haltlos in sich zusammen. Holländer, Engländer, Franzosen drangen unaufhaltsam auch in den indischen Ocean ein. Das völkerrechtliche System des „mare liberum“ — Freiheit des Meeres in Krieg und Frieden — gewann die Oberhand. Das Uebergewicht der Holländer und späterhin der Engländer beruhte nicht auf Verträgen und künstlichen Veranstaltungen, sondern auf ihrer natürlichen reellen Ueberlegenheit. Im Laufe des XVIII. Jahr- hunderts überholten die Engländer alle ihre Nebenbuhler, besonders die Franzosen, welche von ihnen aus Nordamerika und Ostindien verdrängt wurden. Gleichzeitig eilte die englische Industrie durch technische Erfindungen und Organisation des Grossbetriebes den Industrien des Continentes um ein halbes Jahrhundert voraus. Als nun in Frankreich das alte Regime seiner politischen Misserfolge wegen von der Revolution gestürzt worden war, bildete die Be- kämpfung des seegewaltigen Britanniens, die Zerstörung seiner commerciellen Vorherrschaft den Kerngedanken des neuen kriegerisch- politischen Systems. Die Fleischwerdung dieses Gedankens hiess Napoleon Bonaparte. Von überschwenglichen Phantasien erfüllt, unternahm der junge Corse seinen denkwürdigen Alexanderzug nach Indien. Freilich, das Schicksal donnerte ihm schon in Syrien ein Halt entgegen, allein das berühmte Wort Napoleons: „Aegypten ist der Schlüssel Indiens“, bildet den Keim der sogenannten Orient- frage, welche heute und wohl noch für lange Zeit den Cardinalpunkt der grossen europäischen Politik bildet, und in Bonaparte’s Um- gebung entstand der fruchtbare Zukunftsgedanke einer Durchstechung des Isthmus von Suez. Erst unter Napoleon III. sollte das Werk zur Ausführung kommen, mit welchem die jüngste Phase in der Ge- schichte des indischen Oceans anfängt (1869). Wenn sich die stille Hoffnung der Franzosen und vielleicht auch anderer Handelsstaaten am Mittelmeer daran geknüpft hat, der englischen Präponderanz in Süd- und Ostasien einen tödtlichen Schlag beigebracht zu haben, so ist sie nicht in Erfüllung gegangen. Durch Vermehrung ihrer Positionen im Mittelmeer, durch geschickte finanzielle Operationen, durch die erhöhte Aufmerksamkeit, welche den australischen und afrikanischen Colonial- und Schutzgebieten zugewendet worden, hat England im Ganzen seine frühere Stellung behauptet. Im Vergleiche zur reichen Nordküste ist der ostafrikanische buchten- und hafenarme Küstensaum des indischen Oceans nach jeder

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/551>, abgerufen am 29.03.2024.