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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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ihm vollkommen zufrieden war, als daß sie ihm
dieses Unterpfand ihrer Gnade itzt erst sollte ge-
schenkt haben, da er sich ihrer eben am meisten
verlustig gemacht hatte, und der Fall, sich des-
sen zu gebrauchen, schon wirklich da war. Die-
ser Ring sollte sie erinnern, wie theuer ihr der
Graf damals gewesen, als er ihn von ihr erhal-
ten; und diese Erinnerung sollte ihm alsdann
alle das Verdienst wiedergeben, welches er un-
glücklicher Weise in ihren Augen etwa könnte
verloren haben. Aber was braucht es dieses
Zeichens, dieser Erinnerung von heute bis auf
morgen? Glaubt sie ihrer günstigen Gesinnun-
gen auch auf so wenige Stunden nicht mächtig
zu seyn, daß sie sich mit Fleiß auf eine solche
Art fesseln will? Wenn sie ihm in Ernste ver-
geben hat, wenn ihr wirklich an seinem Leben
gelegen ist: wozu das ganze Spiegelgefechte?
Warum konnte sie es bey den mündlichen Ver-
sicherungen nicht bewenden lassen? Gab sie den
Ring, blos um den Grafen zu beruhigen; so
verbindet er sie, ihm ihr Wort zu halten, er
mag wieder in ihre Hände kommen, oder nicht.
Gab sie ihn aber, um durch die Wiedererhaltung
desselben von der fortdauernden Reue und Unter-
werfung des Grafen versichert zu seyn: wie kann
sie in einer so wichtigen Sache seiner tödlichsten
Feindinn glauben? Und hatte sich die Notting-
ham nicht kurz zuvor gegen sie selbst als eine
solche bewiesen?

So

ihm vollkommen zufrieden war, als daß ſie ihm
dieſes Unterpfand ihrer Gnade itzt erſt ſollte ge-
ſchenkt haben, da er ſich ihrer eben am meiſten
verluſtig gemacht hatte, und der Fall, ſich deſ-
ſen zu gebrauchen, ſchon wirklich da war. Die-
ſer Ring ſollte ſie erinnern, wie theuer ihr der
Graf damals geweſen, als er ihn von ihr erhal-
ten; und dieſe Erinnerung ſollte ihm alsdann
alle das Verdienſt wiedergeben, welches er un-
glücklicher Weiſe in ihren Augen etwa könnte
verloren haben. Aber was braucht es dieſes
Zeichens, dieſer Erinnerung von heute bis auf
morgen? Glaubt ſie ihrer günſtigen Geſinnun-
gen auch auf ſo wenige Stunden nicht mächtig
zu ſeyn, daß ſie ſich mit Fleiß auf eine ſolche
Art feſſeln will? Wenn ſie ihm in Ernſte ver-
geben hat, wenn ihr wirklich an ſeinem Leben
gelegen iſt: wozu das ganze Spiegelgefechte?
Warum konnte ſie es bey den mündlichen Ver-
ſicherungen nicht bewenden laſſen? Gab ſie den
Ring, blos um den Grafen zu beruhigen; ſo
verbindet er ſie, ihm ihr Wort zu halten, er
mag wieder in ihre Hände kommen, oder nicht.
Gab ſie ihn aber, um durch die Wiedererhaltung
deſſelben von der fortdauernden Reue und Unter-
werfung des Grafen verſichert zu ſeyn: wie kann
ſie in einer ſo wichtigen Sache ſeiner tödlichſten
Feindinn glauben? Und hatte ſich die Notting-
ham nicht kurz zuvor gegen ſie ſelbſt als eine
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[20/0026] ihm vollkommen zufrieden war, als daß ſie ihm dieſes Unterpfand ihrer Gnade itzt erſt ſollte ge- ſchenkt haben, da er ſich ihrer eben am meiſten verluſtig gemacht hatte, und der Fall, ſich deſ- ſen zu gebrauchen, ſchon wirklich da war. Die- ſer Ring ſollte ſie erinnern, wie theuer ihr der Graf damals geweſen, als er ihn von ihr erhal- ten; und dieſe Erinnerung ſollte ihm alsdann alle das Verdienſt wiedergeben, welches er un- glücklicher Weiſe in ihren Augen etwa könnte verloren haben. Aber was braucht es dieſes Zeichens, dieſer Erinnerung von heute bis auf morgen? Glaubt ſie ihrer günſtigen Geſinnun- gen auch auf ſo wenige Stunden nicht mächtig zu ſeyn, daß ſie ſich mit Fleiß auf eine ſolche Art feſſeln will? Wenn ſie ihm in Ernſte ver- geben hat, wenn ihr wirklich an ſeinem Leben gelegen iſt: wozu das ganze Spiegelgefechte? Warum konnte ſie es bey den mündlichen Ver- ſicherungen nicht bewenden laſſen? Gab ſie den Ring, blos um den Grafen zu beruhigen; ſo verbindet er ſie, ihm ihr Wort zu halten, er mag wieder in ihre Hände kommen, oder nicht. Gab ſie ihn aber, um durch die Wiedererhaltung deſſelben von der fortdauernden Reue und Unter- werfung des Grafen verſichert zu ſeyn: wie kann ſie in einer ſo wichtigen Sache ſeiner tödlichſten Feindinn glauben? Und hatte ſich die Notting- ham nicht kurz zuvor gegen ſie ſelbſt als eine ſolche bewieſen? So

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/26>, abgerufen am 28.03.2024.