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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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Sprache und ein gewisses Sylbenmaaß, als noth-
wendige Eigenschaften eines Gedichtes betrachtet:
so kann ich seiner Meinung nicht seyn. -- Ich wer-
de mich weiter unten hierüber ausführlicher er-
klären.

Eine Regel? (Precepte) -- Dieses Wort ist
nichts bestimmter, als das Wort Lehre des de la
Motte
. Alle Künste, alle Wissenschaften haben
Regeln, haben Vorschriften. Die Fabel aber stehet
einzig und allein der Moral zu. Von einer andern
Seite hingegen betrachtet, ist Regel oder Vor-
schrift
hier so gar noch schlechter als Lehre; weil
man unter Regel und Vorschrift eigentlich nur solche
Sätze verstehet, die unmittelbar auf die Bestim-
mung unsers Thuns und Lassens gehen. Von die-
ser Art aber sind nicht alle moralische Lehrsätze der
Fabel. Ein grosser Theil derselben sind Erfahrungs-
sätze, die uns nicht sowohl von dem, was geschehen
sollte, als vielmehr von dem, was wirklich geschie-
het, unterrichten. Ist die Sentenz:

In principatu commutando civium
Nil praeter domini nomen mutant pauperes;

eine
J 3

Sprache und ein gewiſſes Sylbenmaaß, als noth-
wendige Eigenſchaften eines Gedichtes betrachtet:
ſo kann ich ſeiner Meinung nicht ſeyn. — Ich wer-
de mich weiter unten hierüber ausführlicher er-
klären.

Eine Regel? (Precepte) — Dieſes Wort iſt
nichts beſtimmter, als das Wort Lehre des de la
Motte
. Alle Künſte, alle Wiſſenſchaften haben
Regeln, haben Vorſchriften. Die Fabel aber ſtehet
einzig und allein der Moral zu. Von einer andern
Seite hingegen betrachtet, iſt Regel oder Vor-
ſchrift
hier ſo gar noch ſchlechter als Lehre; weil
man unter Regel und Vorſchrift eigentlich nur ſolche
Sätze verſtehet, die unmittelbar auf die Beſtim-
mung unſers Thuns und Laſſens gehen. Von die-
ſer Art aber ſind nicht alle moraliſche Lehrſätze der
Fabel. Ein groſſer Theil derſelben ſind Erfahrungs-
ſätze, die uns nicht ſowohl von dem, was geſchehen
ſollte, als vielmehr von dem, was wirklich geſchie-
het, unterrichten. Iſt die Sentenz:

In principatu commutando civium
Nil præter domini nomen mutant pauperes;

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J 3
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[133/0153] Sprache und ein gewiſſes Sylbenmaaß, als noth- wendige Eigenſchaften eines Gedichtes betrachtet: ſo kann ich ſeiner Meinung nicht ſeyn. — Ich wer- de mich weiter unten hierüber ausführlicher er- klären. Eine Regel? (Precepte) — Dieſes Wort iſt nichts beſtimmter, als das Wort Lehre des de la Motte. Alle Künſte, alle Wiſſenſchaften haben Regeln, haben Vorſchriften. Die Fabel aber ſtehet einzig und allein der Moral zu. Von einer andern Seite hingegen betrachtet, iſt Regel oder Vor- ſchrift hier ſo gar noch ſchlechter als Lehre; weil man unter Regel und Vorſchrift eigentlich nur ſolche Sätze verſtehet, die unmittelbar auf die Beſtim- mung unſers Thuns und Laſſens gehen. Von die- ſer Art aber ſind nicht alle moraliſche Lehrſätze der Fabel. Ein groſſer Theil derſelben ſind Erfahrungs- ſätze, die uns nicht ſowohl von dem, was geſchehen ſollte, als vielmehr von dem, was wirklich geſchie- het, unterrichten. Iſt die Sentenz: In principatu commutando civium Nil præter domini nomen mutant pauperes; eine J 3

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/153>, abgerufen am 18.04.2024.