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Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889.

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39. Der Ballon als Hindernis.

Während man für die Lösung der Flugfrage den wissen-
schaftlich gebildeten und praktisch erfahrenen Mechaniker als
den eigentlich Berufenen bezeichnen muss, beschäftigt das
Fliegeproblem fast ausnahmslos alle Berufsklassen. Die ausser-
ordentliche Tragweite, welche die Erfindung des Fliegens haben
muss, wird von jedermann erkannt, jedermann sieht täglich
an den fliegenden Tieren die Möglichkeit einer praktischen
Fliegekunst, auch hat sich bis jetzt kein Forscher gefunden,
welcher mit überzeugender Schärfe nachweisen könnte, dass
keine Hoffnung für die Nachbildung des Fliegens durch den
Menschen vorhanden sei. Unter solchen Umständen ist es
natürlich, dass das Interesse für die Flugfrage diese Ausdeh-
nung annehmen musste. Auffallend aber bleibt es, dass gerade
die Berufenen diesem Problem gegenüber sich kühler und in-
differenter verhalten, als alle jene, welchen es schwerer wird,
das zu durchschauen, was der Vogel macht, wenn er fliegt.

Die Bethätigung der technischen Kreise für die Flugfrage
ist eine laue und der Wichtigkeit der Sache selbst nicht ent-
sprechende. Während auf allen technischen Gebieten eine
ausgebildete Systematik blüht, herrscht in der Flugtechnik
die grösste Zerfahrenheit; denn der Meinungsaustausch ist
schwach, und -- fast jeder Techniker vertritt über das
Fliegen seine gesonderte Ansicht
.

Die Schuld hieran, wie überhaupt an dem kümmerlichen
Standpunkt der Flugfrage, trägt vielleicht nicht zum geringsten
die Erfindung des Luftballons. So sonderbar es klingen
mag, so ist es doch nicht ganz müssig, sich die Frage vor-
zulegen, was für einen Einfluss es auf das eigentliche Fliege-
problem gehabt hätte, wenn der Luftballon gar nicht erfunden
worden wäre.

Abgesehen davon, dass es bei den Fortschritten der Wissen-
schaft überhaupt nicht denkbar wäre, dass nicht irgend ein
Forscher den Auftrieb leichter Gase in einem Ballon zur An-

39. Der Ballon als Hindernis.

Während man für die Lösung der Flugfrage den wissen-
schaftlich gebildeten und praktisch erfahrenen Mechaniker als
den eigentlich Berufenen bezeichnen muſs, beschäftigt das
Fliegeproblem fast ausnahmslos alle Berufsklassen. Die auſser-
ordentliche Tragweite, welche die Erfindung des Fliegens haben
muſs, wird von jedermann erkannt, jedermann sieht täglich
an den fliegenden Tieren die Möglichkeit einer praktischen
Fliegekunst, auch hat sich bis jetzt kein Forscher gefunden,
welcher mit überzeugender Schärfe nachweisen könnte, daſs
keine Hoffnung für die Nachbildung des Fliegens durch den
Menschen vorhanden sei. Unter solchen Umständen ist es
natürlich, daſs das Interesse für die Flugfrage diese Ausdeh-
nung annehmen muſste. Auffallend aber bleibt es, daſs gerade
die Berufenen diesem Problem gegenüber sich kühler und in-
differenter verhalten, als alle jene, welchen es schwerer wird,
das zu durchschauen, was der Vogel macht, wenn er fliegt.

Die Bethätigung der technischen Kreise für die Flugfrage
ist eine laue und der Wichtigkeit der Sache selbst nicht ent-
sprechende. Während auf allen technischen Gebieten eine
ausgebildete Systematik blüht, herrscht in der Flugtechnik
die gröſste Zerfahrenheit; denn der Meinungsaustausch ist
schwach, und — fast jeder Techniker vertritt über das
Fliegen seine gesonderte Ansicht
.

Die Schuld hieran, wie überhaupt an dem kümmerlichen
Standpunkt der Flugfrage, trägt vielleicht nicht zum geringsten
die Erfindung des Luftballons. So sonderbar es klingen
mag, so ist es doch nicht ganz müſsig, sich die Frage vor-
zulegen, was für einen Einfluſs es auf das eigentliche Fliege-
problem gehabt hätte, wenn der Luftballon gar nicht erfunden
worden wäre.

Abgesehen davon, daſs es bei den Fortschritten der Wissen-
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[155/0171] 39. Der Ballon als Hindernis. Während man für die Lösung der Flugfrage den wissen- schaftlich gebildeten und praktisch erfahrenen Mechaniker als den eigentlich Berufenen bezeichnen muſs, beschäftigt das Fliegeproblem fast ausnahmslos alle Berufsklassen. Die auſser- ordentliche Tragweite, welche die Erfindung des Fliegens haben muſs, wird von jedermann erkannt, jedermann sieht täglich an den fliegenden Tieren die Möglichkeit einer praktischen Fliegekunst, auch hat sich bis jetzt kein Forscher gefunden, welcher mit überzeugender Schärfe nachweisen könnte, daſs keine Hoffnung für die Nachbildung des Fliegens durch den Menschen vorhanden sei. Unter solchen Umständen ist es natürlich, daſs das Interesse für die Flugfrage diese Ausdeh- nung annehmen muſste. Auffallend aber bleibt es, daſs gerade die Berufenen diesem Problem gegenüber sich kühler und in- differenter verhalten, als alle jene, welchen es schwerer wird, das zu durchschauen, was der Vogel macht, wenn er fliegt. Die Bethätigung der technischen Kreise für die Flugfrage ist eine laue und der Wichtigkeit der Sache selbst nicht ent- sprechende. Während auf allen technischen Gebieten eine ausgebildete Systematik blüht, herrscht in der Flugtechnik die gröſste Zerfahrenheit; denn der Meinungsaustausch ist schwach, und — fast jeder Techniker vertritt über das Fliegen seine gesonderte Ansicht. Die Schuld hieran, wie überhaupt an dem kümmerlichen Standpunkt der Flugfrage, trägt vielleicht nicht zum geringsten die Erfindung des Luftballons. So sonderbar es klingen mag, so ist es doch nicht ganz müſsig, sich die Frage vor- zulegen, was für einen Einfluſs es auf das eigentliche Fliege- problem gehabt hätte, wenn der Luftballon gar nicht erfunden worden wäre. Abgesehen davon, daſs es bei den Fortschritten der Wissen- schaft überhaupt nicht denkbar wäre, daſs nicht irgend ein Forscher den Auftrieb leichter Gase in einem Ballon zur An-

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Zitationshilfe: Lilienthal, Otto: Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst. Ein Beitrag zur Systematik der Flugtechnik. Berlin, 1889, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lilienthal_vogelflug_1889/171>, abgerufen am 28.03.2024.