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Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881.

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Der Versuch im positiven Recht. §. 33.

Das RStGB. geht in §. 43 von der Dreiteilung der
strafbaren Handlungen aus:

Der Versuch eines Verbrechens wird immer, der
eines Vergehens ausnahmsweise
in den besonders aus-
gezeichneten Fällen,1 der einer Uebertretung nie ge-
straft
.

Dagegen macht das Gesetz -- im Prinzipe wenigstens --
keinen Unterschied zwischen Geboten und Verboten.2
Daß auch bei der Uebertretung eines Gebotes, also bei dem
sogenannten echten Unterlassungsdelikte, Versuch möglich ist,
soweit es sich um dolose Unterlassung handelt, kann bei rich-
tiger Auffassung der Unterlassungsdelikte (vgl. oben §. 21 II)
keinem Zweifel unlerliegen.3

II. Das positive Recht kann ferner entweder einzelne
Handlungen
, die sich als versuchte Uebertretung einer be-
stimmten Norm darstellen, herausgreifen, und nur diese
Versuchshandlungen mit Strafe bedrohen; oder aber jeden
Versuch der Uebertretung einer bestimmten Norm unter
Strafe stellen. Letzteres ist, seitdem einmal der allgemeine
Begriff des Versuchs durch die italienische Jurisprudenz des
Mittelalters ausgebildet worden war, der regelmäßig von
der Gesetzgebung eingeschlagene Weg. Nur ganz ausnahms-
weise und nur wenn entfernte Versuchshandlungen (sogen.
Vorbereitungshandlungen) in Frage stehen, entschließt sich der
Gesetzgeber dazu, diese Fälle des strafbaren Versuches durch

1 [Spaltenumbruch] Es sind dies §§. 107, 120,
140, 141, 148, 150, 160, 169, 240,
242, 246, 253, 263, 289, 303
--305, 339, 350, 352 StGB.;
Nahrungsmittelgesetz v. 14. Mai
1879 §. 12, Gesetz gegen Rinder-
pest 21. Mai 1878 §. 1, Bank-[Spaltenumbruch] gesetz 14. März 1875 §. 57
Abs. 2.
2 [Spaltenumbruch] Allerdings ist bei keinem
Gebote die versuchte Uebertre-
tung unter Strafe gestellt.
3 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 75.
Der Verſuch im poſitiven Recht. §. 33.

Das RStGB. geht in §. 43 von der Dreiteilung der
ſtrafbaren Handlungen aus:

Der Verſuch eines Verbrechens wird immer, der
eines Vergehens ausnahmsweiſe
in den beſonders aus-
gezeichneten Fällen,1 der einer Uebertretung nie ge-
ſtraft
.

Dagegen macht das Geſetz — im Prinzipe wenigſtens —
keinen Unterſchied zwiſchen Geboten und Verboten.2
Daß auch bei der Uebertretung eines Gebotes, alſo bei dem
ſogenannten echten Unterlaſſungsdelikte, Verſuch möglich iſt,
ſoweit es ſich um doloſe Unterlaſſung handelt, kann bei rich-
tiger Auffaſſung der Unterlaſſungsdelikte (vgl. oben §. 21 II)
keinem Zweifel unlerliegen.3

II. Das poſitive Recht kann ferner entweder einzelne
Handlungen
, die ſich als verſuchte Uebertretung einer be-
ſtimmten Norm darſtellen, herausgreifen, und nur dieſe
Verſuchshandlungen mit Strafe bedrohen; oder aber jeden
Verſuch der Uebertretung einer beſtimmten Norm unter
Strafe ſtellen. Letzteres iſt, ſeitdem einmal der allgemeine
Begriff des Verſuchs durch die italieniſche Jurisprudenz des
Mittelalters ausgebildet worden war, der regelmäßig von
der Geſetzgebung eingeſchlagene Weg. Nur ganz ausnahms-
weiſe und nur wenn entfernte Verſuchshandlungen (ſogen.
Vorbereitungshandlungen) in Frage ſtehen, entſchließt ſich der
Geſetzgeber dazu, dieſe Fälle des ſtrafbaren Verſuches durch

1 [Spaltenumbruch] Es ſind dies §§. 107, 120,
140, 141, 148, 150, 160, 169, 240,
242, 246, 253, 263, 289, 303
—305, 339, 350, 352 StGB.;
Nahrungsmittelgeſetz v. 14. Mai
1879 §. 12, Geſetz gegen Rinder-
peſt 21. Mai 1878 §. 1, Bank-[Spaltenumbruch] geſetz 14. März 1875 §. 57
Abſ. 2.
2 [Spaltenumbruch] Allerdings iſt bei keinem
Gebote die verſuchte Uebertre-
tung unter Strafe geſtellt.
3 [Spaltenumbruch] Lit. bei Binding Grund-
riß S. 75.
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[139/0165] Der Verſuch im poſitiven Recht. §. 33. Das RStGB. geht in §. 43 von der Dreiteilung der ſtrafbaren Handlungen aus: Der Verſuch eines Verbrechens wird immer, der eines Vergehens ausnahmsweiſe in den beſonders aus- gezeichneten Fällen, 1 der einer Uebertretung nie ge- ſtraft. Dagegen macht das Geſetz — im Prinzipe wenigſtens — keinen Unterſchied zwiſchen Geboten und Verboten. 2 Daß auch bei der Uebertretung eines Gebotes, alſo bei dem ſogenannten echten Unterlaſſungsdelikte, Verſuch möglich iſt, ſoweit es ſich um doloſe Unterlaſſung handelt, kann bei rich- tiger Auffaſſung der Unterlaſſungsdelikte (vgl. oben §. 21 II) keinem Zweifel unlerliegen. 3 II. Das poſitive Recht kann ferner entweder einzelne Handlungen, die ſich als verſuchte Uebertretung einer be- ſtimmten Norm darſtellen, herausgreifen, und nur dieſe Verſuchshandlungen mit Strafe bedrohen; oder aber jeden Verſuch der Uebertretung einer beſtimmten Norm unter Strafe ſtellen. Letzteres iſt, ſeitdem einmal der allgemeine Begriff des Verſuchs durch die italieniſche Jurisprudenz des Mittelalters ausgebildet worden war, der regelmäßig von der Geſetzgebung eingeſchlagene Weg. Nur ganz ausnahms- weiſe und nur wenn entfernte Verſuchshandlungen (ſogen. Vorbereitungshandlungen) in Frage ſtehen, entſchließt ſich der Geſetzgeber dazu, dieſe Fälle des ſtrafbaren Verſuches durch 1 Es ſind dies §§. 107, 120, 140, 141, 148, 150, 160, 169, 240, 242, 246, 253, 263, 289, 303 —305, 339, 350, 352 StGB.; Nahrungsmittelgeſetz v. 14. Mai 1879 §. 12, Geſetz gegen Rinder- peſt 21. Mai 1878 §. 1, Bank- geſetz 14. März 1875 §. 57 Abſ. 2. 2 Allerdings iſt bei keinem Gebote die verſuchte Uebertre- tung unter Strafe geſtellt. 3 Lit. bei Binding Grund- riß S. 75.

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das deutsche Reichsstrafrecht. Berlin u. a., 1881, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_reichsstrafrecht_1881/165>, abgerufen am 28.03.2024.