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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Vorrede.
Zellen- und Faserbündel entstehen können, verhindern, sich in den
Geschwürsboden zu legen, um sich dort zu normalen Geweben auf-
zubauen.

Von einer vollendeten Durchführung einer solchen Theorie ist
nun allerdings die Wissenschaft und damit unsere Darstellung weit
entfernt, aber trotzdem sind wir nicht minder gehalten, in der Rich-
tung unseres Zieles fortzuschreiten. Denn grundsätzlich verschiedene
Wege können in der Wissenschaft nicht gleichmässig zum Rechten
führen. Der einzige Unterschied, der zwischen heute und einer besseren
Zukunft besteht, kann nur darin gelegen sein, dass wir, statt mit den
einfachsten, mit zusammengesetzten Begriffen zu Werke gehen, indem
wir die Erscheinungen ableiten aus den Eigenschaften complexer
Atome, Formen und Bewegungen, während dieses geschehen sollte
mit Hilfe der elementaren.

Wer nun unserem Ziele die Anerkennung nicht versagt, der wird
auch zugeben müssen, dass im Vortrage, wie in der wissenschaftli-
chen Verfolgung unseres Gegenstandes, keine Willkührlichkeit mehr
herrschen kann. Die häufig umhergetragenen Worte, es sei eine
morphologische im Gegensatze zur chemisch-physikalischen Phy-
siologie, oder auch das Umgekehrte möglich, beruht entweder auf
einem gänzlichen Missverständnisse, oder aber man begreift unter
Physiologie etwas ganz anderes als wir, die wir im Dienste der Arznei-
kunde stehen. Wenn unter den Bedingungen, aus denen die Lebens-
prozesse abzuleiten sind, der Ort eingeht, welchen die Massenelemente
einnehmen, so ist damit ausgesagt, dass der Physiologe ohne die
Kenntniss der Anatomie nicht weiter schreiten könne. Zu gleicher Zeit
weist dieser Ausdruck aber auch darauf hin, wie unvollkommen die
Anatomie ist, welche sich einzig damit befasst, die Anordnung der
Massenelemente an den Grenzen gewisser Atomcomplexe auszumit-
teln, die dem Auge (bewaffnet oder unbewaffnet) zugänglich sind,
dagegen gänzlich vernachlässigt die innere Anatomie jener Massen, die
uns der polarisirte Lichtstrahl, die Leitung der Wärme und Elektri-
zität, die chemische Analyse, die Elastizität, das spez. Gewicht u. s. w.
aufschliesst. Denn wenn z. B. die Lehre von den sichtbaren Grenz-
flächen bestimmter Atomcomplexe von wesentlicher Bedeutung ist für
alle die Bewegungen, welche ebensowohl von jenen Oberflächen ab-

Vorrede.
Zellen- und Faserbündel entstehen können, verhindern, sich in den
Geschwürsboden zu legen, um sich dort zu normalen Geweben auf-
zubauen.

Von einer vollendeten Durchführung einer solchen Theorie ist
nun allerdings die Wissenschaft und damit unsere Darstellung weit
entfernt, aber trotzdem sind wir nicht minder gehalten, in der Rich-
tung unseres Zieles fortzuschreiten. Denn grundsätzlich verschiedene
Wege können in der Wissenschaft nicht gleichmässig zum Rechten
führen. Der einzige Unterschied, der zwischen heute und einer besseren
Zukunft besteht, kann nur darin gelegen sein, dass wir, statt mit den
einfachsten, mit zusammengesetzten Begriffen zu Werke gehen, indem
wir die Erscheinungen ableiten aus den Eigenschaften complexer
Atome, Formen und Bewegungen, während dieses geschehen sollte
mit Hilfe der elementaren.

Wer nun unserem Ziele die Anerkennung nicht versagt, der wird
auch zugeben müssen, dass im Vortrage, wie in der wissenschaftli-
chen Verfolgung unseres Gegenstandes, keine Willkührlichkeit mehr
herrschen kann. Die häufig umhergetragenen Worte, es sei eine
morphologische im Gegensatze zur chemisch-physikalischen Phy-
siologie, oder auch das Umgekehrte möglich, beruht entweder auf
einem gänzlichen Missverständnisse, oder aber man begreift unter
Physiologie etwas ganz anderes als wir, die wir im Dienste der Arznei-
kunde stehen. Wenn unter den Bedingungen, aus denen die Lebens-
prozesse abzuleiten sind, der Ort eingeht, welchen die Massenelemente
einnehmen, so ist damit ausgesagt, dass der Physiologe ohne die
Kenntniss der Anatomie nicht weiter schreiten könne. Zu gleicher Zeit
weist dieser Ausdruck aber auch darauf hin, wie unvollkommen die
Anatomie ist, welche sich einzig damit befasst, die Anordnung der
Massenelemente an den Grenzen gewisser Atomcomplexe auszumit-
teln, die dem Auge (bewaffnet oder unbewaffnet) zugänglich sind,
dagegen gänzlich vernachlässigt die innere Anatomie jener Massen, die
uns der polarisirte Lichtstrahl, die Leitung der Wärme und Elektri-
zität, die chemische Analyse, die Elastizität, das spez. Gewicht u. s. w.
aufschliesst. Denn wenn z. B. die Lehre von den sichtbaren Grenz-
flächen bestimmter Atomcomplexe von wesentlicher Bedeutung ist für
alle die Bewegungen, welche ebensowohl von jenen Oberflächen ab-

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[IV/0010] Vorrede. Zellen- und Faserbündel entstehen können, verhindern, sich in den Geschwürsboden zu legen, um sich dort zu normalen Geweben auf- zubauen. Von einer vollendeten Durchführung einer solchen Theorie ist nun allerdings die Wissenschaft und damit unsere Darstellung weit entfernt, aber trotzdem sind wir nicht minder gehalten, in der Rich- tung unseres Zieles fortzuschreiten. Denn grundsätzlich verschiedene Wege können in der Wissenschaft nicht gleichmässig zum Rechten führen. Der einzige Unterschied, der zwischen heute und einer besseren Zukunft besteht, kann nur darin gelegen sein, dass wir, statt mit den einfachsten, mit zusammengesetzten Begriffen zu Werke gehen, indem wir die Erscheinungen ableiten aus den Eigenschaften complexer Atome, Formen und Bewegungen, während dieses geschehen sollte mit Hilfe der elementaren. Wer nun unserem Ziele die Anerkennung nicht versagt, der wird auch zugeben müssen, dass im Vortrage, wie in der wissenschaftli- chen Verfolgung unseres Gegenstandes, keine Willkührlichkeit mehr herrschen kann. Die häufig umhergetragenen Worte, es sei eine morphologische im Gegensatze zur chemisch-physikalischen Phy- siologie, oder auch das Umgekehrte möglich, beruht entweder auf einem gänzlichen Missverständnisse, oder aber man begreift unter Physiologie etwas ganz anderes als wir, die wir im Dienste der Arznei- kunde stehen. Wenn unter den Bedingungen, aus denen die Lebens- prozesse abzuleiten sind, der Ort eingeht, welchen die Massenelemente einnehmen, so ist damit ausgesagt, dass der Physiologe ohne die Kenntniss der Anatomie nicht weiter schreiten könne. Zu gleicher Zeit weist dieser Ausdruck aber auch darauf hin, wie unvollkommen die Anatomie ist, welche sich einzig damit befasst, die Anordnung der Massenelemente an den Grenzen gewisser Atomcomplexe auszumit- teln, die dem Auge (bewaffnet oder unbewaffnet) zugänglich sind, dagegen gänzlich vernachlässigt die innere Anatomie jener Massen, die uns der polarisirte Lichtstrahl, die Leitung der Wärme und Elektri- zität, die chemische Analyse, die Elastizität, das spez. Gewicht u. s. w. aufschliesst. Denn wenn z. B. die Lehre von den sichtbaren Grenz- flächen bestimmter Atomcomplexe von wesentlicher Bedeutung ist für alle die Bewegungen, welche ebensowohl von jenen Oberflächen ab-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/10>, abgerufen am 28.03.2024.