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Luxemburg, Rosa: Frauenwahlrecht und Klassenkampf. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 12. Mai 1912, S. 8–10.

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Frauenwahlrecht
Gesellschaft weiter, nicht etwa deshalb, weil man vergessen
hätte, sie wegzuräumen, nicht aus bloßer Beharrlichkeit und
Trägheit der Zustände. Nein, sie sind noch da, weil beide -
Monarchie wie Rechtlosigkeit der Frau - zu mächtigen Werk-
zeugen volksfeindlicher Jnteressen geworden sind. Hinter dem
Thron und Altar wie hinter der politischen Versklavung des
weiblichen Geschlechts verschanzen sich heute die schlimmsten
und brutalsten Vertreter der Ausbeutung und der Knechtschaft
des Proletariats. Monarchie und Rechtlosigkeit der Frau sind
zu den wichtigsten Werkzeugen der kapitalistischen Klassenherr-
schaft geworden.

Für den heutigen Staat handelt es sich in Wirklichkeit
darum, den arbeitenden Frauen und ihnen allein das Wahl-
recht vorzuenthalten. Von ihnen befürchtet er mit Recht die
Gefährdung aller althergebrachten Einrichtungen der Klassen-
herrschaft. So des Militarismus, dessen Todfeindin jede
denkende Proletarierin sein muß; der Monarchie; des Raub-
systems der Zölle und Steuern auf Lebensmittel usw. Das
Frauenwahlrecht ist für den heutigen kapitalistischen Staat
ein Greuel und Schrecken, weil hinter ihm die Millionen
Frauen stehen, die den inneren Feind, die revolutionäre Sozial-
demokratie stärken würden. Käme es auf die Damen der Bour-
geoisie an, so hätte der kapitalistische Staat von ihnen nur
eine wirksame Unterstützung der Reaktion zu erwarten. Die
meisten bürgerlichen Frauen, die sich im Kampfe gegen "die
Vorrechte der Männer" wie Löwinnen gebärden, würden
im Besitz des Wahlrechts wie fromme Lämmlein mit dem
Troß der konservativen und klerikalen Reaktion gehen. Ja,
sie wären sicher noch um ein Beträchtliches reaktionärer als
der männliche Teil ihrer Klasse. Von der kleinen Zahl Be-
rufstätiger unter ihnen abgesehen, nehmen die Frauen der
Bourgeoisie an der gesellschaftlichen Produktion keinen Anteil,
sie sind bloße Mitverzehrerinnen des Mehrwerts, den ihre
Männer aus dem Proletariat herauspressen, sie sind Para-
siten der Parasiten am Volkskörper. Und Mitverzehrer sind
gewöhnlich noch rabiater und grausamer in der Verteidigung
ihres "Rechts" auf Parasitendasein, als die unmittelbaren
Träger der Klassenherrschaft und der Ausbeutung. Die Ge-[Spaltenumbruch] schichte aller großen Revolutionskämpfe hat dies grauenvoll
bestätigt. Als nach dem Fall der Jakobinerherrschaft in der
großen französischen Revolution der gefesselte Robespierre auf
dem Wagen zum Richtplatz gefahren wurde, da führten die
nackten Lustweiber der siegestrunkenen Bourgeoisie auf den
Straßen einen schamlosen Freudentanz um den gefallenen
Revolutionshelden auf. Und als im Jahre 1871 in Paris
die heldenmütige Arbeiterkommune mit Mitrailleusen besiegt
wurde, da übertrafen die rasenden Weiber der Bourgeoisie in
ihrer blutigen Rache an dem niedergeworfenen Proletariat
noch ihre bestialischen Männer. Die Frauen der besitzenden
Klassen werden stets fanatische Verteidigerinnen der Ausbeu-
tung und Knechtung des arbeitenden Volkes bleiben, von der
sie aus zweiter Hand die Mittel für ihr gesellschaftlich un-
nützes Dasein empfangen.

Wirtschaftlich und sozial stellen die Frauen der ausbeutenden
Klassen keine selbstständige Schicht der Bevölkerung dar. Sie
üben bloß die soziale Funktion als Werkzeuge der natürlichen
Fortpflanzung für die herrschenden Klassen aus. Hingegen sind
die Frauen des Proletariats wirtschaftlich selbstständig, sie sind
für die Gesellschaft produktiv tätig, so gut wie die Männer.
Nicht in dem Sinne, daß sie dem Manne durch häusliche
Arbeit helfen, mit dem kargen Lohn das tägliche Dasein der
Familie zu fristen und Kinder zu erziehen. Diese Arbeit ist
nicht produktiv im Sinne der heutigen kapitalistischen Wirt-
schaftsordnung, und mag sie in tausendfältigen kleinen Mühen
eine Riesenleistung an Selbstaufopferung und Kraftaufwand
ergeben. Sie ist nur eine private Angelegenheit des Prole-
tariers, sein Glück und Segen, und gerade deshalb bloße
Lust für die heutige Gesellschaft. Als produktiv gilt - solange
Kapitalherrschaft und Lohnsystem dauern werden - nur die-
jenige Arbeit, die Mehrwert schafft, die kapitalistischen Profit
erzeugt. Von diesem Standpunkt ist die Tänzerin im Tingel-
tangel, die ihrem Unternehmer mit ihren Beinen Profit in die
Tasche fegt, eine produktive Arbeiterin, während die ganze
Mühsal der Frauen und Mütter des Proletariats in den vier
Wänden ihres Heimes als unproduktive Tätigkeit betrachtet
wird. Das klingt roh und wahnwitzig, entspricht aber genau
[Spaltenumbruch]

Frauenwahlrecht
Gesellschaft weiter, nicht etwa deshalb, weil man vergessen
hätte, sie wegzuräumen, nicht aus bloßer Beharrlichkeit und
Trägheit der Zustände. Nein, sie sind noch da, weil beide –
Monarchie wie Rechtlosigkeit der Frau – zu mächtigen Werk-
zeugen volksfeindlicher Jnteressen geworden sind. Hinter dem
Thron und Altar wie hinter der politischen Versklavung des
weiblichen Geschlechts verschanzen sich heute die schlimmsten
und brutalsten Vertreter der Ausbeutung und der Knechtschaft
des Proletariats. Monarchie und Rechtlosigkeit der Frau sind
zu den wichtigsten Werkzeugen der kapitalistischen Klassenherr-
schaft geworden.

Für den heutigen Staat handelt es sich in Wirklichkeit
darum, den arbeitenden Frauen und ihnen allein das Wahl-
recht vorzuenthalten. Von ihnen befürchtet er mit Recht die
Gefährdung aller althergebrachten Einrichtungen der Klassen-
herrschaft. So des Militarismus, dessen Todfeindin jede
denkende Proletarierin sein muß; der Monarchie; des Raub-
systems der Zölle und Steuern auf Lebensmittel usw. Das
Frauenwahlrecht ist für den heutigen kapitalistischen Staat
ein Greuel und Schrecken, weil hinter ihm die Millionen
Frauen stehen, die den inneren Feind, die revolutionäre Sozial-
demokratie stärken würden. Käme es auf die Damen der Bour-
geoisie an, so hätte der kapitalistische Staat von ihnen nur
eine wirksame Unterstützung der Reaktion zu erwarten. Die
meisten bürgerlichen Frauen, die sich im Kampfe gegen „die
Vorrechte der Männer“ wie Löwinnen gebärden, würden
im Besitz des Wahlrechts wie fromme Lämmlein mit dem
Troß der konservativen und klerikalen Reaktion gehen. Ja,
sie wären sicher noch um ein Beträchtliches reaktionärer als
der männliche Teil ihrer Klasse. Von der kleinen Zahl Be-
rufstätiger unter ihnen abgesehen, nehmen die Frauen der
Bourgeoisie an der gesellschaftlichen Produktion keinen Anteil,
sie sind bloße Mitverzehrerinnen des Mehrwerts, den ihre
Männer aus dem Proletariat herauspressen, sie sind Para-
siten der Parasiten am Volkskörper. Und Mitverzehrer sind
gewöhnlich noch rabiater und grausamer in der Verteidigung
ihres „Rechts“ auf Parasitendasein, als die unmittelbaren
Träger der Klassenherrschaft und der Ausbeutung. Die Ge-[Spaltenumbruch] schichte aller großen Revolutionskämpfe hat dies grauenvoll
bestätigt. Als nach dem Fall der Jakobinerherrschaft in der
großen französischen Revolution der gefesselte Robespierre auf
dem Wagen zum Richtplatz gefahren wurde, da führten die
nackten Lustweiber der siegestrunkenen Bourgeoisie auf den
Straßen einen schamlosen Freudentanz um den gefallenen
Revolutionshelden auf. Und als im Jahre 1871 in Paris
die heldenmütige Arbeiterkommune mit Mitrailleusen besiegt
wurde, da übertrafen die rasenden Weiber der Bourgeoisie in
ihrer blutigen Rache an dem niedergeworfenen Proletariat
noch ihre bestialischen Männer. Die Frauen der besitzenden
Klassen werden stets fanatische Verteidigerinnen der Ausbeu-
tung und Knechtung des arbeitenden Volkes bleiben, von der
sie aus zweiter Hand die Mittel für ihr gesellschaftlich un-
nützes Dasein empfangen.

Wirtschaftlich und sozial stellen die Frauen der ausbeutenden
Klassen keine selbstständige Schicht der Bevölkerung dar. Sie
üben bloß die soziale Funktion als Werkzeuge der natürlichen
Fortpflanzung für die herrschenden Klassen aus. Hingegen sind
die Frauen des Proletariats wirtschaftlich selbstständig, sie sind
für die Gesellschaft produktiv tätig, so gut wie die Männer.
Nicht in dem Sinne, daß sie dem Manne durch häusliche
Arbeit helfen, mit dem kargen Lohn das tägliche Dasein der
Familie zu fristen und Kinder zu erziehen. Diese Arbeit ist
nicht produktiv im Sinne der heutigen kapitalistischen Wirt-
schaftsordnung, und mag sie in tausendfältigen kleinen Mühen
eine Riesenleistung an Selbstaufopferung und Kraftaufwand
ergeben. Sie ist nur eine private Angelegenheit des Prole-
tariers, sein Glück und Segen, und gerade deshalb bloße
Lust für die heutige Gesellschaft. Als produktiv gilt – solange
Kapitalherrschaft und Lohnsystem dauern werden – nur die-
jenige Arbeit, die Mehrwert schafft, die kapitalistischen Profit
erzeugt. Von diesem Standpunkt ist die Tänzerin im Tingel-
tangel, die ihrem Unternehmer mit ihren Beinen Profit in die
Tasche fegt, eine produktive Arbeiterin, während die ganze
Mühsal der Frauen und Mütter des Proletariats in den vier
Wänden ihres Heimes als unproduktive Tätigkeit betrachtet
wird. Das klingt roh und wahnwitzig, entspricht aber genau
[Spaltenumbruch]

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[9/0002] Frauenwahlrecht Gesellschaft weiter, nicht etwa deshalb, weil man vergessen hätte, sie wegzuräumen, nicht aus bloßer Beharrlichkeit und Trägheit der Zustände. Nein, sie sind noch da, weil beide – Monarchie wie Rechtlosigkeit der Frau – zu mächtigen Werk- zeugen volksfeindlicher Jnteressen geworden sind. Hinter dem Thron und Altar wie hinter der politischen Versklavung des weiblichen Geschlechts verschanzen sich heute die schlimmsten und brutalsten Vertreter der Ausbeutung und der Knechtschaft des Proletariats. Monarchie und Rechtlosigkeit der Frau sind zu den wichtigsten Werkzeugen der kapitalistischen Klassenherr- schaft geworden. Für den heutigen Staat handelt es sich in Wirklichkeit darum, den arbeitenden Frauen und ihnen allein das Wahl- recht vorzuenthalten. Von ihnen befürchtet er mit Recht die Gefährdung aller althergebrachten Einrichtungen der Klassen- herrschaft. So des Militarismus, dessen Todfeindin jede denkende Proletarierin sein muß; der Monarchie; des Raub- systems der Zölle und Steuern auf Lebensmittel usw. Das Frauenwahlrecht ist für den heutigen kapitalistischen Staat ein Greuel und Schrecken, weil hinter ihm die Millionen Frauen stehen, die den inneren Feind, die revolutionäre Sozial- demokratie stärken würden. Käme es auf die Damen der Bour- geoisie an, so hätte der kapitalistische Staat von ihnen nur eine wirksame Unterstützung der Reaktion zu erwarten. Die meisten bürgerlichen Frauen, die sich im Kampfe gegen „die Vorrechte der Männer“ wie Löwinnen gebärden, würden im Besitz des Wahlrechts wie fromme Lämmlein mit dem Troß der konservativen und klerikalen Reaktion gehen. Ja, sie wären sicher noch um ein Beträchtliches reaktionärer als der männliche Teil ihrer Klasse. Von der kleinen Zahl Be- rufstätiger unter ihnen abgesehen, nehmen die Frauen der Bourgeoisie an der gesellschaftlichen Produktion keinen Anteil, sie sind bloße Mitverzehrerinnen des Mehrwerts, den ihre Männer aus dem Proletariat herauspressen, sie sind Para- siten der Parasiten am Volkskörper. Und Mitverzehrer sind gewöhnlich noch rabiater und grausamer in der Verteidigung ihres „Rechts“ auf Parasitendasein, als die unmittelbaren Träger der Klassenherrschaft und der Ausbeutung. Die Ge- schichte aller großen Revolutionskämpfe hat dies grauenvoll bestätigt. Als nach dem Fall der Jakobinerherrschaft in der großen französischen Revolution der gefesselte Robespierre auf dem Wagen zum Richtplatz gefahren wurde, da führten die nackten Lustweiber der siegestrunkenen Bourgeoisie auf den Straßen einen schamlosen Freudentanz um den gefallenen Revolutionshelden auf. Und als im Jahre 1871 in Paris die heldenmütige Arbeiterkommune mit Mitrailleusen besiegt wurde, da übertrafen die rasenden Weiber der Bourgeoisie in ihrer blutigen Rache an dem niedergeworfenen Proletariat noch ihre bestialischen Männer. Die Frauen der besitzenden Klassen werden stets fanatische Verteidigerinnen der Ausbeu- tung und Knechtung des arbeitenden Volkes bleiben, von der sie aus zweiter Hand die Mittel für ihr gesellschaftlich un- nützes Dasein empfangen. Wirtschaftlich und sozial stellen die Frauen der ausbeutenden Klassen keine selbstständige Schicht der Bevölkerung dar. Sie üben bloß die soziale Funktion als Werkzeuge der natürlichen Fortpflanzung für die herrschenden Klassen aus. Hingegen sind die Frauen des Proletariats wirtschaftlich selbstständig, sie sind für die Gesellschaft produktiv tätig, so gut wie die Männer. Nicht in dem Sinne, daß sie dem Manne durch häusliche Arbeit helfen, mit dem kargen Lohn das tägliche Dasein der Familie zu fristen und Kinder zu erziehen. Diese Arbeit ist nicht produktiv im Sinne der heutigen kapitalistischen Wirt- schaftsordnung, und mag sie in tausendfältigen kleinen Mühen eine Riesenleistung an Selbstaufopferung und Kraftaufwand ergeben. Sie ist nur eine private Angelegenheit des Prole- tariers, sein Glück und Segen, und gerade deshalb bloße Lust für die heutige Gesellschaft. Als produktiv gilt – solange Kapitalherrschaft und Lohnsystem dauern werden – nur die- jenige Arbeit, die Mehrwert schafft, die kapitalistischen Profit erzeugt. Von diesem Standpunkt ist die Tänzerin im Tingel- tangel, die ihrem Unternehmer mit ihren Beinen Profit in die Tasche fegt, eine produktive Arbeiterin, während die ganze Mühsal der Frauen und Mütter des Proletariats in den vier Wänden ihres Heimes als unproduktive Tätigkeit betrachtet wird. Das klingt roh und wahnwitzig, entspricht aber genau

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-09-28T08:14:08Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-09-28T08:14:08Z)

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Zitationshilfe: Luxemburg, Rosa: Frauenwahlrecht und Klassenkampf. In: Frauenwahlrecht! Hrsg. zum Zweiten Sozialdemokratischen Frauentag von Clara Zetkin. 12. Mai 1912, S. 8–10, hier S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/luxemburg_frauenwahlrecht_1912/2>, abgerufen am 25.04.2024.