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Marx, Karl: Das Kapital. Bd. 2. Buch II: Der Cirkulationsprocess des Kapitals. Hamburg, 1885.

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Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts herrschte bekannt-
lich die phlogistische Theorie, wonach das Wesen jeder Verbrennung
darin bestand, dass sich von dem verbrennenden Körper ein andrer,
hypothetischer Körper trenne, ein absoluter Brennstoff, der mit dem
Namen Phlogiston bezeichnet wurde. Diese Theorie reichte hin, die
meisten damals bekannten chemischen Erscheinungen zu erklären,
wenn auch in manchen Fällen nicht ohne Anwendung von Gewalt.
Nun stellte 1774 Priestley eine Luftart dar, "die er so rein oder so
frei von Phlogiston fand, dass gewöhnliche Luft im Vergleich damit
schon verdorben erschien." Er nannte sie: dephlogistisirte Luft. Kurz
nachher stellte Scheele in Schweden dieselbe Luftart dar, und wies
deren Vorhandensein in der Atmosphäre nach. Er fand auch, dass
sie verschwindet, wenn man einen Körper in ihr oder in gewöhn-
licher Luft verbrennt, und nannte sie daher Feuerluft. "Aus diesen
Ergebnissen zog er nun den Schluss, dass die Verbindung, welche
bei der Vereinigung von Phlogiston mit einem der Bestandtheile der
Luft" [also bei der Verbrennung] "entstehe, nichts weiter als Feuer
oder Wärme sei, welche durch das Glas entweiche."2)

Priestley wie Scheele hatten den Sauerstoff dargestellt, wussten
aber nicht was sie unter der Hand hatten. Sie "blieben befangen
in den" phlogistischen "Kategorien, wie sie sie vorfanden." Das
Element, das die ganze phlogistische Anschauung umstossen und die
Chemie revolutioniren sollte, war in ihrer Hand mit Unfruchtbarkeit
geschlagen. Aber Priestley hatte seine Entdeckung gleich darauf in
Paris Lavoisier mitgetheilt, und Lavoisier untersuchte nun, an der
Hand dieser neuen Thatsache, die ganze phlogistische Chemie, ent-
deckte erst, dass die neue Luftart ein neues chemisches Element war,
dass in der Verbrennung nicht das geheimnissvolle Phlogiston aus
dem verbrennenden Körper weggeht, sondern dies neue Element
sich mit dem Körper verbindet, und stellte so die ganze Chemie,
die in ihrer phlogistischen Form auf dem Kopf gestanden, erst auf
die Füsse. Und wenn er auch nicht, wie er später behauptet, den
Sauerstoff gleichzeitig mit den Andern, und unabhängig von ihnen
dargestellt hat, so bleibt er dennoch der eigentliche Entdecker des

2) Roscoe-Schorlemmer, Ausführliches Lehrbuch der Chemie. Braun-
schweig 1877, I, p. 13, 18.

Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts herrschte bekannt-
lich die phlogistische Theorie, wonach das Wesen jeder Verbrennung
darin bestand, dass sich von dem verbrennenden Körper ein andrer,
hypothetischer Körper trenne, ein absoluter Brennstoff, der mit dem
Namen Phlogiston bezeichnet wurde. Diese Theorie reichte hin, die
meisten damals bekannten chemischen Erscheinungen zu erklären,
wenn auch in manchen Fällen nicht ohne Anwendung von Gewalt.
Nun stellte 1774 Priestley eine Luftart dar, „die er so rein oder so
frei von Phlogiston fand, dass gewöhnliche Luft im Vergleich damit
schon verdorben erschien.“ Er nannte sie: dephlogistisirte Luft. Kurz
nachher stellte Scheele in Schweden dieselbe Luftart dar, und wies
deren Vorhandensein in der Atmosphäre nach. Er fand auch, dass
sie verschwindet, wenn man einen Körper in ihr oder in gewöhn-
licher Luft verbrennt, und nannte sie daher Feuerluft. „Aus diesen
Ergebnissen zog er nun den Schluss, dass die Verbindung, welche
bei der Vereinigung von Phlogiston mit einem der Bestandtheile der
Luft“ [also bei der Verbrennung] „entstehe, nichts weiter als Feuer
oder Wärme sei, welche durch das Glas entweiche.“2)

Priestley wie Scheele hatten den Sauerstoff dargestellt, wussten
aber nicht was sie unter der Hand hatten. Sie „blieben befangen
in den“ phlogistischen „Kategorien, wie sie sie vorfanden.“ Das
Element, das die ganze phlogistische Anschauung umstossen und die
Chemie revolutioniren sollte, war in ihrer Hand mit Unfruchtbarkeit
geschlagen. Aber Priestley hatte seine Entdeckung gleich darauf in
Paris Lavoisier mitgetheilt, und Lavoisier untersuchte nun, an der
Hand dieser neuen Thatsache, die ganze phlogistische Chemie, ent-
deckte erst, dass die neue Luftart ein neues chemisches Element war,
dass in der Verbrennung nicht das geheimnissvolle Phlogiston aus
dem verbrennenden Körper weggeht, sondern dies neue Element
sich mit dem Körper verbindet, und stellte so die ganze Chemie,
die in ihrer phlogistischen Form auf dem Kopf gestanden, erst auf
die Füsse. Und wenn er auch nicht, wie er später behauptet, den
Sauerstoff gleichzeitig mit den Andern, und unabhängig von ihnen
dargestellt hat, so bleibt er dennoch der eigentliche Entdecker des

2) Roscoe-Schorlemmer, Ausführliches Lehrbuch der Chemie. Braun-
schweig 1877, I, p. 13, 18.
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[XVIII/0024] Noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts herrschte bekannt- lich die phlogistische Theorie, wonach das Wesen jeder Verbrennung darin bestand, dass sich von dem verbrennenden Körper ein andrer, hypothetischer Körper trenne, ein absoluter Brennstoff, der mit dem Namen Phlogiston bezeichnet wurde. Diese Theorie reichte hin, die meisten damals bekannten chemischen Erscheinungen zu erklären, wenn auch in manchen Fällen nicht ohne Anwendung von Gewalt. Nun stellte 1774 Priestley eine Luftart dar, „die er so rein oder so frei von Phlogiston fand, dass gewöhnliche Luft im Vergleich damit schon verdorben erschien.“ Er nannte sie: dephlogistisirte Luft. Kurz nachher stellte Scheele in Schweden dieselbe Luftart dar, und wies deren Vorhandensein in der Atmosphäre nach. Er fand auch, dass sie verschwindet, wenn man einen Körper in ihr oder in gewöhn- licher Luft verbrennt, und nannte sie daher Feuerluft. „Aus diesen Ergebnissen zog er nun den Schluss, dass die Verbindung, welche bei der Vereinigung von Phlogiston mit einem der Bestandtheile der Luft“ [also bei der Verbrennung] „entstehe, nichts weiter als Feuer oder Wärme sei, welche durch das Glas entweiche.“ 2) Priestley wie Scheele hatten den Sauerstoff dargestellt, wussten aber nicht was sie unter der Hand hatten. Sie „blieben befangen in den“ phlogistischen „Kategorien, wie sie sie vorfanden.“ Das Element, das die ganze phlogistische Anschauung umstossen und die Chemie revolutioniren sollte, war in ihrer Hand mit Unfruchtbarkeit geschlagen. Aber Priestley hatte seine Entdeckung gleich darauf in Paris Lavoisier mitgetheilt, und Lavoisier untersuchte nun, an der Hand dieser neuen Thatsache, die ganze phlogistische Chemie, ent- deckte erst, dass die neue Luftart ein neues chemisches Element war, dass in der Verbrennung nicht das geheimnissvolle Phlogiston aus dem verbrennenden Körper weggeht, sondern dies neue Element sich mit dem Körper verbindet, und stellte so die ganze Chemie, die in ihrer phlogistischen Form auf dem Kopf gestanden, erst auf die Füsse. Und wenn er auch nicht, wie er später behauptet, den Sauerstoff gleichzeitig mit den Andern, und unabhängig von ihnen dargestellt hat, so bleibt er dennoch der eigentliche Entdecker des 2) Roscoe-Schorlemmer, Ausführliches Lehrbuch der Chemie. Braun- schweig 1877, I, p. 13, 18.

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Bd. 2. Buch II: Der Cirkulationsprocess des Kapitals. Hamburg, 1885, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital02_1885/24>, abgerufen am 28.03.2024.