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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
das nicht irgend einmal doch von Bedeutung werden kann für das
Verhältnis eines Unterthanen zum Staate, und dann würde, vermöge
der allgemeinen Wirkung des Gesetzes für jeden, den es angeht, so-
fort seine bindende Kraft zum Vorschein kommen19.

Gerade deshalb ist es wohl gethan, dass aller Gesetzesinhalt ohne
Unterschied zu feierlicher Veröffentlichung gelangt, wie es eigentlich
nur für Rechtssätze angemessen und notwendig ist. Wie weit solche
darunter sind, das wird sich zeigen, wenn das wirkliche Leben die
unberechenbare Mannigfaltigkeit seiner Gestaltungen und Verwicklungen
diesen Bestimmungen entgegenwirft. Vorher braucht man es auch
nicht zu wissen.

§ 8.
Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.

Der Rechtsstaat wird dadurch vollendet, dass auch der Ver-
waltungsakt mit seiner bindenden Kraft hineingestellt wird in die
zu ordnenden Verhältnisse zwischen Staat und Unterthan. Unbekannt
der Anschauungsweise des Polizeistaates, nicht ganz Urteil, nicht ganz
Rechtsgeschäft, verlangt der Akt in seiner einheitlichen Eigenart
und Selbständigkeit erfasst zu werden, soll anders das Verwaltungs-
recht der Gegenwart verständlich sein, das er erfüllt.

19 Die Gesetze über den Betrieb von Staatsanstalten, Geschäfte und Geschäfts-
formen der Behörden, von welchen Laband, St.R. I. S. 578, spricht, enthalten
Rechtssätze. Man mache nur die Probe: Jeder, den es angeht, ist in seinen Rechten
verletzt, wenn sie nicht beobachtet werden. Ebenso sind Rechtssätze die Gesetze
über die Behördenorganisation. Laband, der das in St.R. (1. Aufl.) I S. 68 ganz
richtig aufgestellt hatte, hat sich mit Unrecht durch den Widerspruch von Gierke,
Rosin und Seligmann bewegen lassen, es in St.R. (2. Aufl.) I S. 683 Note 2 zurück-
zunehmen. -- Seydel, Bayr. St.R. II S. 261, fasst die Frage am unrichtigen Ende
an, wenn er sagt: es sei klar, dass die Schaffung von Behördenorganisationen nicht
unter den Begriff der Gesetzgebung im materiellen Sinne als Schaffung von Rechts-
normen fällt. Man kann ja darüber streiten, ob die Behördenorganisation zum
Vorbehalte des Gesetzes gehört. Wenn das Gesetz aber die Ordnung gemacht hat,
wirkt sie mit der Kraft des Rechtssatzes. -- Seligmann, Ges. im form. und mat.
Sinne S. 103 ff., hat sich bemüht, die Ausscheidung bezüglich einer Reihe von
Fällen durchzuführen, ob die Gesetze Rechtssätze oder blosse Verwaltungsvorschriften
enthielten. Der unzweifelhafteste Fall einer "Verordnung im materiellen Sinne"
d. h. einer Anordnung, die, auch in Form des Gesetzes erlassen, niemals Rechtssatz
sein kann, ist ihm Bestimmung der Dienststunden einer Behörde (S. 107). Ist das
so sicher? Wenn ich eine Anmeldung zu machen habe in bestimmter Frist, habe
ich da nicht ein Recht auf die Dienststunde?

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
das nicht irgend einmal doch von Bedeutung werden kann für das
Verhältnis eines Unterthanen zum Staate, und dann würde, vermöge
der allgemeinen Wirkung des Gesetzes für jeden, den es angeht, so-
fort seine bindende Kraft zum Vorschein kommen19.

Gerade deshalb ist es wohl gethan, daſs aller Gesetzesinhalt ohne
Unterschied zu feierlicher Veröffentlichung gelangt, wie es eigentlich
nur für Rechtssätze angemessen und notwendig ist. Wie weit solche
darunter sind, das wird sich zeigen, wenn das wirkliche Leben die
unberechenbare Mannigfaltigkeit seiner Gestaltungen und Verwicklungen
diesen Bestimmungen entgegenwirft. Vorher braucht man es auch
nicht zu wissen.

§ 8.
Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.

Der Rechtsstaat wird dadurch vollendet, daſs auch der Ver-
waltungsakt mit seiner bindenden Kraft hineingestellt wird in die
zu ordnenden Verhältnisse zwischen Staat und Unterthan. Unbekannt
der Anschauungsweise des Polizeistaates, nicht ganz Urteil, nicht ganz
Rechtsgeschäft, verlangt der Akt in seiner einheitlichen Eigenart
und Selbständigkeit erfaſst zu werden, soll anders das Verwaltungs-
recht der Gegenwart verständlich sein, das er erfüllt.

19 Die Gesetze über den Betrieb von Staatsanstalten, Geschäfte und Geschäfts-
formen der Behörden, von welchen Laband, St.R. I. S. 578, spricht, enthalten
Rechtssätze. Man mache nur die Probe: Jeder, den es angeht, ist in seinen Rechten
verletzt, wenn sie nicht beobachtet werden. Ebenso sind Rechtssätze die Gesetze
über die Behördenorganisation. Laband, der das in St.R. (1. Aufl.) I S. 68 ganz
richtig aufgestellt hatte, hat sich mit Unrecht durch den Widerspruch von Gierke,
Rosin und Seligmann bewegen lassen, es in St.R. (2. Aufl.) I S. 683 Note 2 zurück-
zunehmen. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 261, faſst die Frage am unrichtigen Ende
an, wenn er sagt: es sei klar, daſs die Schaffung von Behördenorganisationen nicht
unter den Begriff der Gesetzgebung im materiellen Sinne als Schaffung von Rechts-
normen fällt. Man kann ja darüber streiten, ob die Behördenorganisation zum
Vorbehalte des Gesetzes gehört. Wenn das Gesetz aber die Ordnung gemacht hat,
wirkt sie mit der Kraft des Rechtssatzes. — Seligmann, Ges. im form. und mat.
Sinne S. 103 ff., hat sich bemüht, die Ausscheidung bezüglich einer Reihe von
Fällen durchzuführen, ob die Gesetze Rechtssätze oder bloſse Verwaltungsvorschriften
enthielten. Der unzweifelhafteste Fall einer „Verordnung im materiellen Sinne“
d. h. einer Anordnung, die, auch in Form des Gesetzes erlassen, niemals Rechtssatz
sein kann, ist ihm Bestimmung der Dienststunden einer Behörde (S. 107). Ist das
so sicher? Wenn ich eine Anmeldung zu machen habe in bestimmter Frist, habe
ich da nicht ein Recht auf die Dienststunde?
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[94/0114] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. das nicht irgend einmal doch von Bedeutung werden kann für das Verhältnis eines Unterthanen zum Staate, und dann würde, vermöge der allgemeinen Wirkung des Gesetzes für jeden, den es angeht, so- fort seine bindende Kraft zum Vorschein kommen 19. Gerade deshalb ist es wohl gethan, daſs aller Gesetzesinhalt ohne Unterschied zu feierlicher Veröffentlichung gelangt, wie es eigentlich nur für Rechtssätze angemessen und notwendig ist. Wie weit solche darunter sind, das wird sich zeigen, wenn das wirkliche Leben die unberechenbare Mannigfaltigkeit seiner Gestaltungen und Verwicklungen diesen Bestimmungen entgegenwirft. Vorher braucht man es auch nicht zu wissen. § 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes. Der Rechtsstaat wird dadurch vollendet, daſs auch der Ver- waltungsakt mit seiner bindenden Kraft hineingestellt wird in die zu ordnenden Verhältnisse zwischen Staat und Unterthan. Unbekannt der Anschauungsweise des Polizeistaates, nicht ganz Urteil, nicht ganz Rechtsgeschäft, verlangt der Akt in seiner einheitlichen Eigenart und Selbständigkeit erfaſst zu werden, soll anders das Verwaltungs- recht der Gegenwart verständlich sein, das er erfüllt. 19 Die Gesetze über den Betrieb von Staatsanstalten, Geschäfte und Geschäfts- formen der Behörden, von welchen Laband, St.R. I. S. 578, spricht, enthalten Rechtssätze. Man mache nur die Probe: Jeder, den es angeht, ist in seinen Rechten verletzt, wenn sie nicht beobachtet werden. Ebenso sind Rechtssätze die Gesetze über die Behördenorganisation. Laband, der das in St.R. (1. Aufl.) I S. 68 ganz richtig aufgestellt hatte, hat sich mit Unrecht durch den Widerspruch von Gierke, Rosin und Seligmann bewegen lassen, es in St.R. (2. Aufl.) I S. 683 Note 2 zurück- zunehmen. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 261, faſst die Frage am unrichtigen Ende an, wenn er sagt: es sei klar, daſs die Schaffung von Behördenorganisationen nicht unter den Begriff der Gesetzgebung im materiellen Sinne als Schaffung von Rechts- normen fällt. Man kann ja darüber streiten, ob die Behördenorganisation zum Vorbehalte des Gesetzes gehört. Wenn das Gesetz aber die Ordnung gemacht hat, wirkt sie mit der Kraft des Rechtssatzes. — Seligmann, Ges. im form. und mat. Sinne S. 103 ff., hat sich bemüht, die Ausscheidung bezüglich einer Reihe von Fällen durchzuführen, ob die Gesetze Rechtssätze oder bloſse Verwaltungsvorschriften enthielten. Der unzweifelhafteste Fall einer „Verordnung im materiellen Sinne“ d. h. einer Anordnung, die, auch in Form des Gesetzes erlassen, niemals Rechtssatz sein kann, ist ihm Bestimmung der Dienststunden einer Behörde (S. 107). Ist das so sicher? Wenn ich eine Anmeldung zu machen habe in bestimmter Frist, habe ich da nicht ein Recht auf die Dienststunde?

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/114>, abgerufen am 19.04.2024.