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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
sprochen wird33, mag dieses Ergebnis allerdings etwas geringfügig
vorkommen. Aber man denkt sich da eben die Verwaltungsrechts-
pflege immer schon verbunden mit den sonstigen guten Einrichtungen,
die in der Wirklichkeit regelmässig dazu kommen: Unabhängigkeit
der erkennenden Behörde, gesetzlich geregeltes Verfahren u. s. w.,
fasst sie auch in ihrer lohnendsten Aufgabe, wo sie die Form giebt
für die Nachprüfung behördlicher Thätigkeit, die ein Recht des
Einzelnen oder die Rechtsordnung selbst verletzt haben soll. Das
alles giebt es auch ausserhalb der Verwaltungsrechtspflege; sie giebt
nur einen einzigen, wenn auch vielleicht besonders kennzeichnenden
Punkt dazu, der allein ihr eigentümliches Wesen ausmacht. Das Lob,
das das Ganze verdient, häuft sich alsdann für die gemeine Anschauung
auf ihren Namen. Aber für den juristischen Begriff muss die Scheidung
in aller Schärfe bestehen bleiben.

§ 14.
Fortsetzung; Arten der Verwaltungsstreitsachen.

Die Verhältnisse, welche in Form der Verwaltungsrechtspflege zu
behandeln sind, nennen wir Verwaltungsstreitsachen. Das
Gesetz bestimmt, welche das seien1. Manche Gesetzgebungen be-
dienen sich dafür eines stehenden Ausdruckes2. Im übrigen ist es
Sache der Auslegung, ob das Gesetz das gewollt hat. Insbesondere
kann es entnommen werden aus der Zuweisung einer Sache an ein
Verwaltungsgericht d. h. an eine Behörde, welche eigens dazu

33 Sie soll sein "ein Schutz gegen die absolute Monarchie oder ein Korrektiv
des parlamentarischen Parteiregiments" (Jolly in Tüb. Ztschft. 1879 S. 578),
"eine Schöpfung vorzugsweise germanischer Auffassung von Staat und Recht"
(Gneist in Holtzendorffs Rechtslex. III S. 1113), "eines der grossen Principien,
auf welchen die Wohlfahrt und Freiheit der Staaten beruhen" (v. Stein, V.Lehre
I, 1 S. 374), u. s. w.
1 Nur so kann ein Recht des Einzelnen dabei entstehen. Das schliesst nicht
aus, dass das Gesetz, welches die Verwaltungsrechtspflege ordnet, althergebrachte
Begriffe von Verwaltungsstreitsachen stillschweigend übernimmt. Ein hervorragendes
Beispiel bietet der acte du contentieux des französischen Rechts (Theorie des
Franz. V.R. S. 103).
2 Die Preuss. Gesetzgebung hat z. B. die Ausdrucksweise durchgeführt, dass
Verwaltungsrechtspflege gemeint sein soll, wenn es heisst, die Behörde "entscheidet"
darüber, nicht Verwaltungsrechtspflege dagegen, wenn es heisst, die Behörde "be-
schliesst." Das Bayr. Gesetz bezeichnet die Zugehörigkeit einer Sache zur Ver-
waltungsrechtspflege durch den Namen "Verwaltungsrechtssache".

Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
sprochen wird33, mag dieses Ergebnis allerdings etwas geringfügig
vorkommen. Aber man denkt sich da eben die Verwaltungsrechts-
pflege immer schon verbunden mit den sonstigen guten Einrichtungen,
die in der Wirklichkeit regelmäſsig dazu kommen: Unabhängigkeit
der erkennenden Behörde, gesetzlich geregeltes Verfahren u. s. w.,
faſst sie auch in ihrer lohnendsten Aufgabe, wo sie die Form giebt
für die Nachprüfung behördlicher Thätigkeit, die ein Recht des
Einzelnen oder die Rechtsordnung selbst verletzt haben soll. Das
alles giebt es auch auſserhalb der Verwaltungsrechtspflege; sie giebt
nur einen einzigen, wenn auch vielleicht besonders kennzeichnenden
Punkt dazu, der allein ihr eigentümliches Wesen ausmacht. Das Lob,
das das Ganze verdient, häuft sich alsdann für die gemeine Anschauung
auf ihren Namen. Aber für den juristischen Begriff muſs die Scheidung
in aller Schärfe bestehen bleiben.

§ 14.
Fortsetzung; Arten der Verwaltungsstreitsachen.

Die Verhältnisse, welche in Form der Verwaltungsrechtspflege zu
behandeln sind, nennen wir Verwaltungsstreitsachen. Das
Gesetz bestimmt, welche das seien1. Manche Gesetzgebungen be-
dienen sich dafür eines stehenden Ausdruckes2. Im übrigen ist es
Sache der Auslegung, ob das Gesetz das gewollt hat. Insbesondere
kann es entnommen werden aus der Zuweisung einer Sache an ein
Verwaltungsgericht d. h. an eine Behörde, welche eigens dazu

33 Sie soll sein „ein Schutz gegen die absolute Monarchie oder ein Korrektiv
des parlamentarischen Parteiregiments“ (Jolly in Tüb. Ztschft. 1879 S. 578),
„eine Schöpfung vorzugsweise germanischer Auffassung von Staat und Recht“
(Gneist in Holtzendorffs Rechtslex. III S. 1113), „eines der groſsen Principien,
auf welchen die Wohlfahrt und Freiheit der Staaten beruhen“ (v. Stein, V.Lehre
I, 1 S. 374), u. s. w.
1 Nur so kann ein Recht des Einzelnen dabei entstehen. Das schlieſst nicht
aus, daſs das Gesetz, welches die Verwaltungsrechtspflege ordnet, althergebrachte
Begriffe von Verwaltungsstreitsachen stillschweigend übernimmt. Ein hervorragendes
Beispiel bietet der acte du contentieux des französischen Rechts (Theorie des
Franz. V.R. S. 103).
2 Die Preuſs. Gesetzgebung hat z. B. die Ausdrucksweise durchgeführt, daſs
Verwaltungsrechtspflege gemeint sein soll, wenn es heiſst, die Behörde „entscheidet“
darüber, nicht Verwaltungsrechtspflege dagegen, wenn es heiſst, die Behörde „be-
schlieſst.“ Das Bayr. Gesetz bezeichnet die Zugehörigkeit einer Sache zur Ver-
waltungsrechtspflege durch den Namen „Verwaltungsrechtssache“.
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[178/0198] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. sprochen wird 33, mag dieses Ergebnis allerdings etwas geringfügig vorkommen. Aber man denkt sich da eben die Verwaltungsrechts- pflege immer schon verbunden mit den sonstigen guten Einrichtungen, die in der Wirklichkeit regelmäſsig dazu kommen: Unabhängigkeit der erkennenden Behörde, gesetzlich geregeltes Verfahren u. s. w., faſst sie auch in ihrer lohnendsten Aufgabe, wo sie die Form giebt für die Nachprüfung behördlicher Thätigkeit, die ein Recht des Einzelnen oder die Rechtsordnung selbst verletzt haben soll. Das alles giebt es auch auſserhalb der Verwaltungsrechtspflege; sie giebt nur einen einzigen, wenn auch vielleicht besonders kennzeichnenden Punkt dazu, der allein ihr eigentümliches Wesen ausmacht. Das Lob, das das Ganze verdient, häuft sich alsdann für die gemeine Anschauung auf ihren Namen. Aber für den juristischen Begriff muſs die Scheidung in aller Schärfe bestehen bleiben. § 14. Fortsetzung; Arten der Verwaltungsstreitsachen. Die Verhältnisse, welche in Form der Verwaltungsrechtspflege zu behandeln sind, nennen wir Verwaltungsstreitsachen. Das Gesetz bestimmt, welche das seien 1. Manche Gesetzgebungen be- dienen sich dafür eines stehenden Ausdruckes 2. Im übrigen ist es Sache der Auslegung, ob das Gesetz das gewollt hat. Insbesondere kann es entnommen werden aus der Zuweisung einer Sache an ein Verwaltungsgericht d. h. an eine Behörde, welche eigens dazu 33 Sie soll sein „ein Schutz gegen die absolute Monarchie oder ein Korrektiv des parlamentarischen Parteiregiments“ (Jolly in Tüb. Ztschft. 1879 S. 578), „eine Schöpfung vorzugsweise germanischer Auffassung von Staat und Recht“ (Gneist in Holtzendorffs Rechtslex. III S. 1113), „eines der groſsen Principien, auf welchen die Wohlfahrt und Freiheit der Staaten beruhen“ (v. Stein, V.Lehre I, 1 S. 374), u. s. w. 1 Nur so kann ein Recht des Einzelnen dabei entstehen. Das schlieſst nicht aus, daſs das Gesetz, welches die Verwaltungsrechtspflege ordnet, althergebrachte Begriffe von Verwaltungsstreitsachen stillschweigend übernimmt. Ein hervorragendes Beispiel bietet der acte du contentieux des französischen Rechts (Theorie des Franz. V.R. S. 103). 2 Die Preuſs. Gesetzgebung hat z. B. die Ausdrucksweise durchgeführt, daſs Verwaltungsrechtspflege gemeint sein soll, wenn es heiſst, die Behörde „entscheidet“ darüber, nicht Verwaltungsrechtspflege dagegen, wenn es heiſst, die Behörde „be- schlieſst.“ Das Bayr. Gesetz bezeichnet die Zugehörigkeit einer Sache zur Ver- waltungsrechtspflege durch den Namen „Verwaltungsrechtssache“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/198>, abgerufen am 16.04.2024.