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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gleich den Kopf abschlagen? Das ist noch der alte Spruch: Aug' um Aug', Zahn um Zahn, der dem altjüdischen Gesetze angehört; eine spätere Zeit denkt bereits milder, und schon Ezechiel sagt: Gott will nicht den Tod des Sünders, er will, daß er sich bessere.

Ihr seid also im Allgemeinen gegen die Todesstrafe, Meister? rief der Krämer herüber. Von einem so gescheidten Manne, wie Ihr, nimmt mich das Wunder.

Ich bin gegen die Todesstrafe, erwiderte Reinbacher. Sie ist eine Gewaltthat, sie ist nicht der Gerechtigkeit entsprungen, sondern der blinden Wuth und Rache der Menschen. Den Ermordeten bringt es nicht wieder zum Leben, daß man ihm den Mörder nachschickt, und daß an einem Menschenleben gefrevelt ward, ist kein Grund, daß man an des Frevlers Leben freveln dürfe. Vor zweitausend Jahren, wie ich in einem Buche gelesen, wurde der Mord von den Verwandten des Todten an dem Thäter mit dem Dolche gerächt. Jetzt stellt man einen Henker an, und der thut es, für die Verwandten, mit kaltem Blute, wie ein Holzspalter, der auf einen Holzblock losschlägt. Ich nenne das abscheulich!

Der Müller hatte kaum zu Ende gesprochen, als gegen solche Milde und solchen Freisinn eine allgemeine Opposition losbrach. Die Humanität, die die Todesstrafe verwirft, ist nämlich von neuestem Datum, und dem verflossenen Jahrhunderte, in welchem noch die

gleich den Kopf abschlagen? Das ist noch der alte Spruch: Aug' um Aug', Zahn um Zahn, der dem altjüdischen Gesetze angehört; eine spätere Zeit denkt bereits milder, und schon Ezechiel sagt: Gott will nicht den Tod des Sünders, er will, daß er sich bessere.

Ihr seid also im Allgemeinen gegen die Todesstrafe, Meister? rief der Krämer herüber. Von einem so gescheidten Manne, wie Ihr, nimmt mich das Wunder.

Ich bin gegen die Todesstrafe, erwiderte Reinbacher. Sie ist eine Gewaltthat, sie ist nicht der Gerechtigkeit entsprungen, sondern der blinden Wuth und Rache der Menschen. Den Ermordeten bringt es nicht wieder zum Leben, daß man ihm den Mörder nachschickt, und daß an einem Menschenleben gefrevelt ward, ist kein Grund, daß man an des Frevlers Leben freveln dürfe. Vor zweitausend Jahren, wie ich in einem Buche gelesen, wurde der Mord von den Verwandten des Todten an dem Thäter mit dem Dolche gerächt. Jetzt stellt man einen Henker an, und der thut es, für die Verwandten, mit kaltem Blute, wie ein Holzspalter, der auf einen Holzblock losschlägt. Ich nenne das abscheulich!

Der Müller hatte kaum zu Ende gesprochen, als gegen solche Milde und solchen Freisinn eine allgemeine Opposition losbrach. Die Humanität, die die Todesstrafe verwirft, ist nämlich von neuestem Datum, und dem verflossenen Jahrhunderte, in welchem noch die

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:41:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:41:19Z)

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/12>, abgerufen am 16.04.2024.