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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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VII.

In der Mühle hatten sich seit jener Nacht, in welcher die Leiche des Kornergeorg fortgebracht wurde, die Stimmung und Haltung zweier Bewohner sehr verändert. Der Müller und der sonst so lustige Wendelin gingen ernst und beinahe düster umher; den Müller besonders sah man oft lange sinnend am Fenster stehen oder brütend auf einem Stuhle sitzen, was er früher bei seiner Gewohnheit, sich stets zu beschäftigen, nie gethan. Er hatte wohl seit jeher eine Anlage zum schwärmerischen Nachdenken und den verlockenden Hang, sich in sich selbst zu vertiefen. Jetzt artete Beides augenscheinlich in Tiefsinn und Schwermuth aus. Er empfand eigentlich keine Reue über feine rasche, blutige That, denn er glaubte zu ihr vollkommen berechtigt gewesen zu sein; wohl aber erfüllte ihn eine Art von Zorn über den Weltlauf, der eine wohlgemeinte, aus dem edelsten Gefühle hervorgegangene That mit Grauen weiter geführt und eines rechtschaffenen Mannes Hand plötzlich mit Blut befleckt hatte. Nicht der Todtschlag war es, den er beklagte, so oft sich in das unheimliche Gewühl seiner Empfindungen ein schweres, stechendes Reuegefühl mischte. Er bereuete nichts, als daß er, von einer fast schwärmerischen Herzensgüte verführt, an einem elenden, verworfenen Gesellen gut wie ein Vater hatte handeln wollen. So oft er sich dessen erinnerte, stieg sein Blut kochend em-

VII.

In der Mühle hatten sich seit jener Nacht, in welcher die Leiche des Kornergeorg fortgebracht wurde, die Stimmung und Haltung zweier Bewohner sehr verändert. Der Müller und der sonst so lustige Wendelin gingen ernst und beinahe düster umher; den Müller besonders sah man oft lange sinnend am Fenster stehen oder brütend auf einem Stuhle sitzen, was er früher bei seiner Gewohnheit, sich stets zu beschäftigen, nie gethan. Er hatte wohl seit jeher eine Anlage zum schwärmerischen Nachdenken und den verlockenden Hang, sich in sich selbst zu vertiefen. Jetzt artete Beides augenscheinlich in Tiefsinn und Schwermuth aus. Er empfand eigentlich keine Reue über feine rasche, blutige That, denn er glaubte zu ihr vollkommen berechtigt gewesen zu sein; wohl aber erfüllte ihn eine Art von Zorn über den Weltlauf, der eine wohlgemeinte, aus dem edelsten Gefühle hervorgegangene That mit Grauen weiter geführt und eines rechtschaffenen Mannes Hand plötzlich mit Blut befleckt hatte. Nicht der Todtschlag war es, den er beklagte, so oft sich in das unheimliche Gewühl seiner Empfindungen ein schweres, stechendes Reuegefühl mischte. Er bereuete nichts, als daß er, von einer fast schwärmerischen Herzensgüte verführt, an einem elenden, verworfenen Gesellen gut wie ein Vater hatte handeln wollen. So oft er sich dessen erinnerte, stieg sein Blut kochend em-

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[0049] VII. In der Mühle hatten sich seit jener Nacht, in welcher die Leiche des Kornergeorg fortgebracht wurde, die Stimmung und Haltung zweier Bewohner sehr verändert. Der Müller und der sonst so lustige Wendelin gingen ernst und beinahe düster umher; den Müller besonders sah man oft lange sinnend am Fenster stehen oder brütend auf einem Stuhle sitzen, was er früher bei seiner Gewohnheit, sich stets zu beschäftigen, nie gethan. Er hatte wohl seit jeher eine Anlage zum schwärmerischen Nachdenken und den verlockenden Hang, sich in sich selbst zu vertiefen. Jetzt artete Beides augenscheinlich in Tiefsinn und Schwermuth aus. Er empfand eigentlich keine Reue über feine rasche, blutige That, denn er glaubte zu ihr vollkommen berechtigt gewesen zu sein; wohl aber erfüllte ihn eine Art von Zorn über den Weltlauf, der eine wohlgemeinte, aus dem edelsten Gefühle hervorgegangene That mit Grauen weiter geführt und eines rechtschaffenen Mannes Hand plötzlich mit Blut befleckt hatte. Nicht der Todtschlag war es, den er beklagte, so oft sich in das unheimliche Gewühl seiner Empfindungen ein schweres, stechendes Reuegefühl mischte. Er bereuete nichts, als daß er, von einer fast schwärmerischen Herzensgüte verführt, an einem elenden, verworfenen Gesellen gut wie ein Vater hatte handeln wollen. So oft er sich dessen erinnerte, stieg sein Blut kochend em-

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/49>, abgerufen am 29.03.2024.