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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Es gibt schlechte Principien, die sich in der Li¬
teratur aussprechen, und jede Partei hält die entge¬
gengesetzte für schlecht. Aber jede hat die Befugniß,
sich auszusprechen, und das schlechteste Princip kann
noch auf geniale Weise und zum Glanze der Litera¬
tur vertheidigt werden. Ein ganzer Teufel ist noch
immer interessanter, als ein halber, matter, trivia¬
ler Engel. Nicht schlechte Principien, sondern schlechte
Kräfte sind Schuld am Verderben der Literatur wie
des Lebens. Die Mittelmäßigkeit, die Geistlosigkeit,
die Schwäche, die Furcht vor dem Genie, der Haß
gegen die Größe, die Unverschämtheit und die An¬
maßung des literarischen Pöbels und die stillschwei¬
gende oder prahlerische Demagogie gegen die Aristo¬
kratie der großen Geister, kurz die Gemeinheit der
Schriftsteller ist die Erbsünde der Literatur. Unbe¬
merkt haben die Menschen die Grundsätze ersetzt und
an ihre Stelle sich geschoben, wie in der französischen
Revolution. Statt der feindseligen Principien ver¬
schiedner Parteien kämpfen die Edlen und Schlechten
von allen Parteien. Es gibt wenig gute Bücher,
aber von jeder Partei, und unzählige schlechte wie¬
der von jeder. Während die Massen um ihre Grund¬
sätze und Meinungen zanken, erheben sich die weni¬
gen wahrhaft Gebildeten immer nur gegen die Ge¬
meinheit der Massen. Sie ehren jede Kraft, selbst
die feindliche; nur die Halbheit, Falschheit, Ohn¬
macht ist ihr unversöhnlicher Feind.

Es gibt ſchlechte Principien, die ſich in der Li¬
teratur ausſprechen, und jede Partei haͤlt die entge¬
gengeſetzte fuͤr ſchlecht. Aber jede hat die Befugniß,
ſich auszuſprechen, und das ſchlechteſte Princip kann
noch auf geniale Weiſe und zum Glanze der Litera¬
tur vertheidigt werden. Ein ganzer Teufel iſt noch
immer intereſſanter, als ein halber, matter, trivia¬
ler Engel. Nicht ſchlechte Principien, ſondern ſchlechte
Kraͤfte ſind Schuld am Verderben der Literatur wie
des Lebens. Die Mittelmaͤßigkeit, die Geiſtloſigkeit,
die Schwaͤche, die Furcht vor dem Genie, der Haß
gegen die Groͤße, die Unverſchaͤmtheit und die An¬
maßung des literariſchen Poͤbels und die ſtillſchwei¬
gende oder prahleriſche Demagogie gegen die Ariſto¬
kratie der großen Geiſter, kurz die Gemeinheit der
Schriftſteller iſt die Erbſuͤnde der Literatur. Unbe¬
merkt haben die Menſchen die Grundſaͤtze erſetzt und
an ihre Stelle ſich geſchoben, wie in der franzoͤſiſchen
Revolution. Statt der feindſeligen Principien ver¬
ſchiedner Parteien kaͤmpfen die Edlen und Schlechten
von allen Parteien. Es gibt wenig gute Buͤcher,
aber von jeder Partei, und unzaͤhlige ſchlechte wie¬
der von jeder. Waͤhrend die Maſſen um ihre Grund¬
ſaͤtze und Meinungen zanken, erheben ſich die weni¬
gen wahrhaft Gebildeten immer nur gegen die Ge¬
meinheit der Maſſen. Sie ehren jede Kraft, ſelbſt
die feindliche; nur die Halbheit, Falſchheit, Ohn¬
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[68/0078] Es gibt ſchlechte Principien, die ſich in der Li¬ teratur ausſprechen, und jede Partei haͤlt die entge¬ gengeſetzte fuͤr ſchlecht. Aber jede hat die Befugniß, ſich auszuſprechen, und das ſchlechteſte Princip kann noch auf geniale Weiſe und zum Glanze der Litera¬ tur vertheidigt werden. Ein ganzer Teufel iſt noch immer intereſſanter, als ein halber, matter, trivia¬ ler Engel. Nicht ſchlechte Principien, ſondern ſchlechte Kraͤfte ſind Schuld am Verderben der Literatur wie des Lebens. Die Mittelmaͤßigkeit, die Geiſtloſigkeit, die Schwaͤche, die Furcht vor dem Genie, der Haß gegen die Groͤße, die Unverſchaͤmtheit und die An¬ maßung des literariſchen Poͤbels und die ſtillſchwei¬ gende oder prahleriſche Demagogie gegen die Ariſto¬ kratie der großen Geiſter, kurz die Gemeinheit der Schriftſteller iſt die Erbſuͤnde der Literatur. Unbe¬ merkt haben die Menſchen die Grundſaͤtze erſetzt und an ihre Stelle ſich geſchoben, wie in der franzoͤſiſchen Revolution. Statt der feindſeligen Principien ver¬ ſchiedner Parteien kaͤmpfen die Edlen und Schlechten von allen Parteien. Es gibt wenig gute Buͤcher, aber von jeder Partei, und unzaͤhlige ſchlechte wie¬ der von jeder. Waͤhrend die Maſſen um ihre Grund¬ ſaͤtze und Meinungen zanken, erheben ſich die weni¬ gen wahrhaft Gebildeten immer nur gegen die Ge¬ meinheit der Maſſen. Sie ehren jede Kraft, ſelbſt die feindliche; nur die Halbheit, Falſchheit, Ohn¬ macht iſt ihr unverſoͤhnlicher Feind.

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/78>, abgerufen am 23.04.2024.