Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dem Ursprung der Amazonen.
leicht ungewisses angeführet hatte, sich bis zu unsern Zeiten
erhalten, und durch die vor einiger Zeit übliche halbmännliche
Tracht allen Menschen bekannt gemacht hat. In der That
aber bedeutet A30 primorem oder einen Fürsten; und Amazo
bezeichnet einen Menschen, der keinen Fürsten über sich er-
kennet, und entweder wie die Nomaden unabhängig für sich,
oder wenigstens in einer Demokratie lebt. Nun hat das
Wort A30 wahrscheinlich eben die Veränderung erlitten, welche
das Wort Mann erlitten hat. Dieses bedeutet nicht blos ei-
nen Menschen männliches Geschlechts, sondern auch einen
Vasallen; und konnte zuerst, da der König der erste war, wel-
cher Vasallen hielt, den primoribus regni eigen seyn. Nach
dieser Voraussetzung brauchte der erste Geschichtschreiber, wel-
cher der Amazonen gedachte, die Begriffe nur zu verwechseln,
um eine Republik ohne Männer herauszubringen. Wir be-
gehen täglich dieselbe Verwechselung, wenn wir Mannlehn
für solche Lehne halten, welche blos auf die Söhne vererben;
da doch ein Frauenzimmer gar wohl ein Mann seyn, oder
welches einerley ist, ein Lehn als Mann oder Dienstmann,
oder a titre d'hommage empfangen kann. Männliches Ge-
schlecht
ist genus ministeriale; das letztere kann man nicht
wohl anders übersetzen, und daher sind viele Frauenzimmer
in Deutschland männlichen Geschlechts. Daß dergleichen
Verwechselungen mehr vorgegangen, beweisen die Arimaspen,
woraus die Griechen einäugige Menschen machten, weil Ari-
ma-spu (ops) einäugig heissen kann. So wie nun diesen die
böse Etymologie ein Auge geraubt hat; so hat sie den Ama-
zonen mehrer Bequemlichkeit halben eine Brust abgeschnitten.



LVI.

Von dem Urſprung der Amazonen.
leicht ungewiſſes angefuͤhret hatte, ſich bis zu unſern Zeiten
erhalten, und durch die vor einiger Zeit uͤbliche halbmaͤnnliche
Tracht allen Menſchen bekannt gemacht hat. In der That
aber bedeutet A30 primorem oder einen Fuͤrſten; und Amazo
bezeichnet einen Menſchen, der keinen Fuͤrſten uͤber ſich er-
kennet, und entweder wie die Nomaden unabhaͤngig fuͤr ſich,
oder wenigſtens in einer Demokratie lebt. Nun hat das
Wort A30 wahrſcheinlich eben die Veraͤnderung erlitten, welche
das Wort Mann erlitten hat. Dieſes bedeutet nicht blos ei-
nen Menſchen maͤnnliches Geſchlechts, ſondern auch einen
Vaſallen; und konnte zuerſt, da der Koͤnig der erſte war, wel-
cher Vaſallen hielt, den primoribus regni eigen ſeyn. Nach
dieſer Vorausſetzung brauchte der erſte Geſchichtſchreiber, wel-
cher der Amazonen gedachte, die Begriffe nur zu verwechſeln,
um eine Republik ohne Maͤnner herauszubringen. Wir be-
gehen taͤglich dieſelbe Verwechſelung, wenn wir Mannlehn
fuͤr ſolche Lehne halten, welche blos auf die Soͤhne vererben;
da doch ein Frauenzimmer gar wohl ein Mann ſeyn, oder
welches einerley iſt, ein Lehn als Mann oder Dienſtmann,
oder a titre d’hommage empfangen kann. Männliches Ge-
ſchlecht
iſt genus miniſteriale; das letztere kann man nicht
wohl anders uͤberſetzen, und daher ſind viele Frauenzimmer
in Deutſchland männlichen Geſchlechts. Daß dergleichen
Verwechſelungen mehr vorgegangen, beweiſen die Arimaſpen,
woraus die Griechen einaͤugige Menſchen machten, weil Ari-
ma-ſpu (ops) einaͤugig heiſſen kann. So wie nun dieſen die
boͤſe Etymologie ein Auge geraubt hat; ſo hat ſie den Ama-
zonen mehrer Bequemlichkeit halben eine Bruſt abgeſchnitten.



LVI.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0342" n="324"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dem Ur&#x017F;prung der Amazonen.</hi></fw><lb/>
leicht ungewi&#x017F;&#x017F;es angefu&#x0364;hret hatte, &#x017F;ich bis zu un&#x017F;ern Zeiten<lb/>
erhalten, und durch die vor einiger Zeit u&#x0364;bliche halbma&#x0364;nnliche<lb/>
Tracht allen Men&#x017F;chen bekannt gemacht hat. In der That<lb/>
aber bedeutet A30 <hi rendition="#aq">primorem</hi> oder einen Fu&#x0364;r&#x017F;ten; und <hi rendition="#aq">Amazo</hi><lb/>
bezeichnet einen Men&#x017F;chen, der keinen Fu&#x0364;r&#x017F;ten u&#x0364;ber &#x017F;ich er-<lb/>
kennet, und entweder wie die Nomaden unabha&#x0364;ngig fu&#x0364;r &#x017F;ich,<lb/>
oder wenig&#x017F;tens in einer Demokratie lebt. Nun hat das<lb/>
Wort A30 wahr&#x017F;cheinlich eben die Vera&#x0364;nderung erlitten, welche<lb/>
das Wort <hi rendition="#fr">Mann</hi> erlitten hat. Die&#x017F;es bedeutet nicht blos ei-<lb/>
nen Men&#x017F;chen ma&#x0364;nnliches Ge&#x017F;chlechts, &#x017F;ondern auch einen<lb/>
Va&#x017F;allen; und konnte zuer&#x017F;t, da der Ko&#x0364;nig der er&#x017F;te war, wel-<lb/>
cher Va&#x017F;allen hielt, den <hi rendition="#aq">primoribus regni</hi> eigen &#x017F;eyn. Nach<lb/>
die&#x017F;er Voraus&#x017F;etzung brauchte der er&#x017F;te Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber, wel-<lb/>
cher der Amazonen gedachte, die Begriffe nur zu verwech&#x017F;eln,<lb/>
um eine Republik ohne Ma&#x0364;nner herauszubringen. Wir be-<lb/>
gehen ta&#x0364;glich die&#x017F;elbe Verwech&#x017F;elung, wenn wir Mannlehn<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;olche Lehne halten, welche blos auf die So&#x0364;hne vererben;<lb/>
da doch ein Frauenzimmer gar wohl ein <hi rendition="#fr">Mann</hi> &#x017F;eyn, oder<lb/>
welches einerley i&#x017F;t, ein Lehn als Mann oder Dien&#x017F;tmann,<lb/>
oder <hi rendition="#aq">a titre d&#x2019;hommage</hi> empfangen kann. <hi rendition="#fr">Männliches Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht</hi> i&#x017F;t <hi rendition="#aq">genus mini&#x017F;teriale;</hi> das letztere kann man nicht<lb/>
wohl anders u&#x0364;ber&#x017F;etzen, und daher &#x017F;ind viele Frauenzimmer<lb/>
in Deut&#x017F;chland <hi rendition="#fr">männlichen Ge&#x017F;chlechts.</hi> Daß dergleichen<lb/>
Verwech&#x017F;elungen mehr vorgegangen, bewei&#x017F;en die <hi rendition="#fr">Arima&#x017F;pen,</hi><lb/>
woraus die Griechen eina&#x0364;ugige Men&#x017F;chen machten, weil Ari-<lb/>
ma-&#x017F;pu (ops) eina&#x0364;ugig hei&#x017F;&#x017F;en kann. So wie nun die&#x017F;en die<lb/>
bo&#x0364;&#x017F;e Etymologie ein Auge geraubt hat; &#x017F;o hat &#x017F;ie den Ama-<lb/>
zonen mehrer Bequemlichkeit halben eine Bru&#x017F;t abge&#x017F;chnitten.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b">LVI.</hi> </hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0342] Von dem Urſprung der Amazonen. leicht ungewiſſes angefuͤhret hatte, ſich bis zu unſern Zeiten erhalten, und durch die vor einiger Zeit uͤbliche halbmaͤnnliche Tracht allen Menſchen bekannt gemacht hat. In der That aber bedeutet A30 primorem oder einen Fuͤrſten; und Amazo bezeichnet einen Menſchen, der keinen Fuͤrſten uͤber ſich er- kennet, und entweder wie die Nomaden unabhaͤngig fuͤr ſich, oder wenigſtens in einer Demokratie lebt. Nun hat das Wort A30 wahrſcheinlich eben die Veraͤnderung erlitten, welche das Wort Mann erlitten hat. Dieſes bedeutet nicht blos ei- nen Menſchen maͤnnliches Geſchlechts, ſondern auch einen Vaſallen; und konnte zuerſt, da der Koͤnig der erſte war, wel- cher Vaſallen hielt, den primoribus regni eigen ſeyn. Nach dieſer Vorausſetzung brauchte der erſte Geſchichtſchreiber, wel- cher der Amazonen gedachte, die Begriffe nur zu verwechſeln, um eine Republik ohne Maͤnner herauszubringen. Wir be- gehen taͤglich dieſelbe Verwechſelung, wenn wir Mannlehn fuͤr ſolche Lehne halten, welche blos auf die Soͤhne vererben; da doch ein Frauenzimmer gar wohl ein Mann ſeyn, oder welches einerley iſt, ein Lehn als Mann oder Dienſtmann, oder a titre d’hommage empfangen kann. Männliches Ge- ſchlecht iſt genus miniſteriale; das letztere kann man nicht wohl anders uͤberſetzen, und daher ſind viele Frauenzimmer in Deutſchland männlichen Geſchlechts. Daß dergleichen Verwechſelungen mehr vorgegangen, beweiſen die Arimaſpen, woraus die Griechen einaͤugige Menſchen machten, weil Ari- ma-ſpu (ops) einaͤugig heiſſen kann. So wie nun dieſen die boͤſe Etymologie ein Auge geraubt hat; ſo hat ſie den Ama- zonen mehrer Bequemlichkeit halben eine Bruſt abgeſchnitten. LVI.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/342
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/342>, abgerufen am 28.03.2024.