LX. Schreiben über ein Project unserer Nachbaren Colonisten in Westphalen zu ziehen.
O mein werthster Freund! lassen Sie doch den Gedan- ken von neuen Colonien in Westphalen fahren. Coloni- sten aus andern und besonders aus bessern Gegenden werden auf unsern Heiden nie einschlagen; und Neubauer, die ihre Nah- rung aus dem Boden ziehen sollen, werden bey uns allezeit in Bettler ausarten. Ueberhaupt habe ich kein Zutrauen zu den sogenannten Einigranten. Es ist entweder Faulheit und Ungeschicklichkeit, oder aber eine zu schwere Steuer, die sie aus ihrer Heymath treibt. Ist es das erste: so werden sie auf unsern Heiden gewiß kein weicher Lager finden; und die Steuer, welche ihnen hier die Natur auflegt, indem der hie- sige Acker für doppelte Arbeit nur halben Lohn bezahlt, ist schwerer als alles, was in andern Ländern die Herrschaft for- dern kann. Laßt uns zum Exempel nur eine Vergleichung zwischen den Ländern am Rheine und den hiesigen anstellen; und dann urtheilen, ob ein Colonist vom Rheine jemals da- hier gedeihen werde?
Der Landmann am Rheine pflügt mit einem Ochsen 2 bis 3 Zoll tief; und der Halm auf seinen Acker ist höher als ein Reuter zu Pferde. Hier im Stifte pflügt man hingegen nach dem Unterschiede des Bodens mit 2 oder 4 Pferden 8 bis 10 Zoll tief; und der Halm bleibt in den besten Gegenden um ein Drittel; in den schlechtern aber um 2/3 kürzer, ohne daß ihn der beste Wirth mit der ordentlichen Kraft höher trei- ben kann. In jenen Gegenden kann man ein Wagenrad ge-
gen
Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbaren
LX. Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbaren Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen.
O mein werthſter Freund! laſſen Sie doch den Gedan- ken von neuen Colonien in Weſtphalen fahren. Coloni- ſten aus andern und beſonders aus beſſern Gegenden werden auf unſern Heiden nie einſchlagen; und Neubauer, die ihre Nah- rung aus dem Boden ziehen ſollen, werden bey uns allezeit in Bettler ausarten. Ueberhaupt habe ich kein Zutrauen zu den ſogenannten Einigranten. Es iſt entweder Faulheit und Ungeſchicklichkeit, oder aber eine zu ſchwere Steuer, die ſie aus ihrer Heymath treibt. Iſt es das erſte: ſo werden ſie auf unſern Heiden gewiß kein weicher Lager finden; und die Steuer, welche ihnen hier die Natur auflegt, indem der hie- ſige Acker fuͤr doppelte Arbeit nur halben Lohn bezahlt, iſt ſchwerer als alles, was in andern Laͤndern die Herrſchaft for- dern kann. Laßt uns zum Exempel nur eine Vergleichung zwiſchen den Laͤndern am Rheine und den hieſigen anſtellen; und dann urtheilen, ob ein Coloniſt vom Rheine jemals da- hier gedeihen werde?
Der Landmann am Rheine pfluͤgt mit einem Ochſen 2 bis 3 Zoll tief; und der Halm auf ſeinen Acker iſt hoͤher als ein Reuter zu Pferde. Hier im Stifte pfluͤgt man hingegen nach dem Unterſchiede des Bodens mit 2 oder 4 Pferden 8 bis 10 Zoll tief; und der Halm bleibt in den beſten Gegenden um ein Drittel; in den ſchlechtern aber um ⅔ kuͤrzer, ohne daß ihn der beſte Wirth mit der ordentlichen Kraft hoͤher trei- ben kann. In jenen Gegenden kann man ein Wagenrad ge-
gen
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Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbaren
LX.
Schreiben uͤber ein Project unſerer Nachbaren
Coloniſten in Weſtphalen zu ziehen.
O mein werthſter Freund! laſſen Sie doch den Gedan-
ken von neuen Colonien in Weſtphalen fahren. Coloni-
ſten aus andern und beſonders aus beſſern Gegenden werden auf
unſern Heiden nie einſchlagen; und Neubauer, die ihre Nah-
rung aus dem Boden ziehen ſollen, werden bey uns allezeit
in Bettler ausarten. Ueberhaupt habe ich kein Zutrauen zu
den ſogenannten Einigranten. Es iſt entweder Faulheit und
Ungeſchicklichkeit, oder aber eine zu ſchwere Steuer, die ſie
aus ihrer Heymath treibt. Iſt es das erſte: ſo werden ſie
auf unſern Heiden gewiß kein weicher Lager finden; und die
Steuer, welche ihnen hier die Natur auflegt, indem der hie-
ſige Acker fuͤr doppelte Arbeit nur halben Lohn bezahlt, iſt
ſchwerer als alles, was in andern Laͤndern die Herrſchaft for-
dern kann. Laßt uns zum Exempel nur eine Vergleichung
zwiſchen den Laͤndern am Rheine und den hieſigen anſtellen;
und dann urtheilen, ob ein Coloniſt vom Rheine jemals da-
hier gedeihen werde?
Der Landmann am Rheine pfluͤgt mit einem Ochſen 2
bis 3 Zoll tief; und der Halm auf ſeinen Acker iſt hoͤher als
ein Reuter zu Pferde. Hier im Stifte pfluͤgt man hingegen
nach dem Unterſchiede des Bodens mit 2 oder 4 Pferden 8
bis 10 Zoll tief; und der Halm bleibt in den beſten Gegenden
um ein Drittel; in den ſchlechtern aber um ⅔ kuͤrzer, ohne
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/362>, abgerufen am 24.04.2024.
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