Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedanken über den Verfall
machen glauben, wenn sie eine Handwerks-Gilde gegen die
Krämer schützten, ohne, daß erstere nicht ein Privilegium
aufzuweisen hätte. Und, wer ist denn der Handwerker? Es
ist der Mann, der die Landesprodukten veredelt, an frem-
den und rohen die Früchte des Fleißes gewinnet, und dem
Staate jährlich unsägliche Summen ersparet? Was aber ist
der Krämer? Ein Mann der blos fremde, sie seyn Freunde
oder Feinde, bereichert; die Wollust nähret, einen jeden durch
neue Arten von Versuchungen reitzet, den Handwerker und sei-
nen Markt, durch jede neue Mode, ehe er es sich versieht,
altfränkisch, durch seinen Stolz die Handarbeit verächtlich,
und den Jüngling von Genie zum neuen Krämer macht.

Sind die Handwerker jetzt schlecht; sind sie eigensinnig,
und theuer: so ist dies nur eine Folge des erstern. Bey der
betrübten Aussicht in die vielen Krambuden kann kein Hand-
werker Muth fassen, er kann nichts wagen, er kann nicht im
Großen und mit vielen Händen arbeiten, es verlohnt sich nicht
mehr der Mühe Geschicklichkeit zu haben. Wer Geld hat,
wird kein Handwerker, und, wenn alle Krämer dermaleinst
mit Schuhen handeln werden: so bedarf ein Schuster zuletzt
nichts mehr, als das Altflicken zu lernen. Der prächtigste
Anblick von London zeigt sich im Gegentheil in den Buden
der Handwerker. Jeder Meister handelt mit seiner Waare,
in unsern Landstädten hingegen arbeitet der Meister auf Be-
stellung; und man scheuet sich zu bestellen, weil man oft
etwas schlechtes theuer bezahlen, oder grobe Worte hören muß.
Man lasse sich aber durch diesen Cirkelfehler nicht blenden,
schränke die Krämer ein, und befördere tüchtige Handwerker
in genugsamer Menge: so wird der Staat nur weniger rohen
Materialien bedürfen, den Fremden nicht bereichern, und
wenigstens durch Ersparen gewinnen. Man lasse nur jährlich

von

Gedanken uͤber den Verfall
machen glauben, wenn ſie eine Handwerks-Gilde gegen die
Kraͤmer ſchuͤtzten, ohne, daß erſtere nicht ein Privilegium
aufzuweiſen haͤtte. Und, wer iſt denn der Handwerker? Es
iſt der Mann, der die Landesprodukten veredelt, an frem-
den und rohen die Fruͤchte des Fleißes gewinnet, und dem
Staate jaͤhrlich unſaͤgliche Summen erſparet? Was aber iſt
der Kraͤmer? Ein Mann der blos fremde, ſie ſeyn Freunde
oder Feinde, bereichert; die Wolluſt naͤhret, einen jeden durch
neue Arten von Verſuchungen reitzet, den Handwerker und ſei-
nen Markt, durch jede neue Mode, ehe er es ſich verſieht,
altfraͤnkiſch, durch ſeinen Stolz die Handarbeit veraͤchtlich,
und den Juͤngling von Genie zum neuen Kraͤmer macht.

Sind die Handwerker jetzt ſchlecht; ſind ſie eigenſinnig,
und theuer: ſo iſt dies nur eine Folge des erſtern. Bey der
betruͤbten Ausſicht in die vielen Krambuden kann kein Hand-
werker Muth faſſen, er kann nichts wagen, er kann nicht im
Großen und mit vielen Haͤnden arbeiten, es verlohnt ſich nicht
mehr der Muͤhe Geſchicklichkeit zu haben. Wer Geld hat,
wird kein Handwerker, und, wenn alle Kraͤmer dermaleinſt
mit Schuhen handeln werden: ſo bedarf ein Schuſter zuletzt
nichts mehr, als das Altflicken zu lernen. Der praͤchtigſte
Anblick von London zeigt ſich im Gegentheil in den Buden
der Handwerker. Jeder Meiſter handelt mit ſeiner Waare,
in unſern Landſtaͤdten hingegen arbeitet der Meiſter auf Be-
ſtellung; und man ſcheuet ſich zu beſtellen, weil man oft
etwas ſchlechtes theuer bezahlen, oder grobe Worte hoͤren muß.
Man laſſe ſich aber durch dieſen Cirkelfehler nicht blenden,
ſchraͤnke die Kraͤmer ein, und befoͤrdere tuͤchtige Handwerker
in genugſamer Menge: ſo wird der Staat nur weniger rohen
Materialien beduͤrfen, den Fremden nicht bereichern, und
wenigſtens durch Erſparen gewinnen. Man laſſe nur jaͤhrlich

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0040" n="22"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedanken u&#x0364;ber den Verfall</hi></fw><lb/>
machen glauben, wenn &#x017F;ie eine Handwerks-Gilde gegen die<lb/>
Kra&#x0364;mer &#x017F;chu&#x0364;tzten, ohne, daß er&#x017F;tere nicht ein Privilegium<lb/>
aufzuwei&#x017F;en ha&#x0364;tte. Und, wer i&#x017F;t denn der Handwerker? Es<lb/>
i&#x017F;t der Mann, der die Landesprodukten veredelt, an frem-<lb/>
den und rohen die Fru&#x0364;chte des Fleißes gewinnet, und dem<lb/>
Staate ja&#x0364;hrlich un&#x017F;a&#x0364;gliche Summen er&#x017F;paret? Was aber i&#x017F;t<lb/>
der Kra&#x0364;mer? Ein Mann der blos fremde, &#x017F;ie &#x017F;eyn Freunde<lb/>
oder Feinde, bereichert; die Wollu&#x017F;t na&#x0364;hret, einen jeden durch<lb/>
neue Arten von Ver&#x017F;uchungen reitzet, den Handwerker und &#x017F;ei-<lb/>
nen Markt, durch jede neue Mode, ehe er es &#x017F;ich ver&#x017F;ieht,<lb/>
altfra&#x0364;nki&#x017F;ch, durch &#x017F;einen Stolz die Handarbeit vera&#x0364;chtlich,<lb/>
und den Ju&#x0364;ngling von Genie zum neuen Kra&#x0364;mer macht.</p><lb/>
        <p>Sind die Handwerker jetzt &#x017F;chlecht; &#x017F;ind &#x017F;ie eigen&#x017F;innig,<lb/>
und theuer: &#x017F;o i&#x017F;t dies nur eine Folge des er&#x017F;tern. Bey der<lb/>
betru&#x0364;bten Aus&#x017F;icht in die vielen Krambuden kann kein Hand-<lb/>
werker Muth fa&#x017F;&#x017F;en, er kann nichts wagen, er kann nicht im<lb/>
Großen und mit vielen Ha&#x0364;nden arbeiten, es verlohnt &#x017F;ich nicht<lb/>
mehr der Mu&#x0364;he Ge&#x017F;chicklichkeit zu haben. Wer Geld hat,<lb/>
wird kein Handwerker, und, wenn alle Kra&#x0364;mer dermalein&#x017F;t<lb/>
mit Schuhen handeln werden: &#x017F;o bedarf ein Schu&#x017F;ter zuletzt<lb/>
nichts mehr, als das Altflicken zu lernen. Der pra&#x0364;chtig&#x017F;te<lb/>
Anblick von London zeigt &#x017F;ich im Gegentheil in den Buden<lb/>
der Handwerker. Jeder Mei&#x017F;ter handelt mit &#x017F;einer Waare,<lb/>
in un&#x017F;ern Land&#x017F;ta&#x0364;dten hingegen arbeitet der Mei&#x017F;ter auf Be-<lb/>
&#x017F;tellung; und man &#x017F;cheuet &#x017F;ich zu be&#x017F;tellen, weil man oft<lb/>
etwas &#x017F;chlechtes theuer bezahlen, oder grobe Worte ho&#x0364;ren muß.<lb/>
Man la&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ich aber durch die&#x017F;en Cirkelfehler nicht blenden,<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nke die Kra&#x0364;mer ein, und befo&#x0364;rdere tu&#x0364;chtige Handwerker<lb/>
in genug&#x017F;amer Menge: &#x017F;o wird der Staat nur weniger rohen<lb/>
Materialien bedu&#x0364;rfen, den Fremden nicht bereichern, und<lb/>
wenig&#x017F;tens durch Er&#x017F;paren gewinnen. Man la&#x017F;&#x017F;e nur ja&#x0364;hrlich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0040] Gedanken uͤber den Verfall machen glauben, wenn ſie eine Handwerks-Gilde gegen die Kraͤmer ſchuͤtzten, ohne, daß erſtere nicht ein Privilegium aufzuweiſen haͤtte. Und, wer iſt denn der Handwerker? Es iſt der Mann, der die Landesprodukten veredelt, an frem- den und rohen die Fruͤchte des Fleißes gewinnet, und dem Staate jaͤhrlich unſaͤgliche Summen erſparet? Was aber iſt der Kraͤmer? Ein Mann der blos fremde, ſie ſeyn Freunde oder Feinde, bereichert; die Wolluſt naͤhret, einen jeden durch neue Arten von Verſuchungen reitzet, den Handwerker und ſei- nen Markt, durch jede neue Mode, ehe er es ſich verſieht, altfraͤnkiſch, durch ſeinen Stolz die Handarbeit veraͤchtlich, und den Juͤngling von Genie zum neuen Kraͤmer macht. Sind die Handwerker jetzt ſchlecht; ſind ſie eigenſinnig, und theuer: ſo iſt dies nur eine Folge des erſtern. Bey der betruͤbten Ausſicht in die vielen Krambuden kann kein Hand- werker Muth faſſen, er kann nichts wagen, er kann nicht im Großen und mit vielen Haͤnden arbeiten, es verlohnt ſich nicht mehr der Muͤhe Geſchicklichkeit zu haben. Wer Geld hat, wird kein Handwerker, und, wenn alle Kraͤmer dermaleinſt mit Schuhen handeln werden: ſo bedarf ein Schuſter zuletzt nichts mehr, als das Altflicken zu lernen. Der praͤchtigſte Anblick von London zeigt ſich im Gegentheil in den Buden der Handwerker. Jeder Meiſter handelt mit ſeiner Waare, in unſern Landſtaͤdten hingegen arbeitet der Meiſter auf Be- ſtellung; und man ſcheuet ſich zu beſtellen, weil man oft etwas ſchlechtes theuer bezahlen, oder grobe Worte hoͤren muß. Man laſſe ſich aber durch dieſen Cirkelfehler nicht blenden, ſchraͤnke die Kraͤmer ein, und befoͤrdere tuͤchtige Handwerker in genugſamer Menge: ſo wird der Staat nur weniger rohen Materialien beduͤrfen, den Fremden nicht bereichern, und wenigſtens durch Erſparen gewinnen. Man laſſe nur jaͤhrlich von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/40
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/40>, abgerufen am 25.04.2024.