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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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XXXXII.
Ueber die zu unsern Zeiten verminderte
Schande der Huren und Hurkinder.

Sie haben wohl recht in ihrem letzten Schreiben zu
fragen:
Ob denn der Hurkinder so viel wären und der Ehestand
so wenig Beförderung verdiene, daß andrer ehrlicher
Leute echte und rechte Kinder ihnen zu Gefallen die Werk-
stätten räumen müßten?

Denn seit zehn oder zwanzig Jahren ist in manchen Ländern
für die Huren und ihre Kinder mehr geschehen als in tausend
Jahren für alle Ehegemahlinnen, Ehegattinnen und Ehe-
genoßinnen. Jeder Philosoph, so bald er nur gekonnt, hat
sich gleich bemühet, die unechten Kinder und ihre Mütter so
viel möglich von aller Schande zu befreyen, und sich um das
ganze menschliche Geschlecht verdient gemacht zu haben geglaubt,
wenn er die armen unschuldigen Früchte einer zwar verbote-
nen aber leider allezeit verführischen Liebe von allem Vorwurfe
befreyet. Groß sind unstreitig die Bewegungsgründe dazu
gewesen. Natur, Menschheit, und Menschenliebe haben
laut zum Lobe solcher Anstalten gesprochen. Allein im Grunde
ist es doch die unpolitische Philosophie unsers Jahrhunderts,
welche hier ihre Macht zeiget. Es ist wiederum die neumo-
dische Menschenliebe, welche sich auf Kosten der Bürgerliebe
erhebt. Es ist höchstens die christliche Barmherzigkeit, welche
hier eine Lücke der Civilverfassung ausfüllt, die aber nicht er-

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T 2


XXXXII.
Ueber die zu unſern Zeiten verminderte
Schande der Huren und Hurkinder.

Sie haben wohl recht in ihrem letzten Schreiben zu
fragen:
Ob denn der Hurkinder ſo viel waͤren und der Eheſtand
ſo wenig Befoͤrderung verdiene, daß andrer ehrlicher
Leute echte und rechte Kinder ihnen zu Gefallen die Werk-
ſtaͤtten raͤumen muͤßten?

Denn ſeit zehn oder zwanzig Jahren iſt in manchen Laͤndern
fuͤr die Huren und ihre Kinder mehr geſchehen als in tauſend
Jahren fuͤr alle Ehegemahlinnen, Ehegattinnen und Ehe-
genoßinnen. Jeder Philoſoph, ſo bald er nur gekonnt, hat
ſich gleich bemuͤhet, die unechten Kinder und ihre Muͤtter ſo
viel moͤglich von aller Schande zu befreyen, und ſich um das
ganze menſchliche Geſchlecht verdient gemacht zu haben geglaubt,
wenn er die armen unſchuldigen Fruͤchte einer zwar verbote-
nen aber leider allezeit verfuͤhriſchen Liebe von allem Vorwurfe
befreyet. Groß ſind unſtreitig die Bewegungsgruͤnde dazu
geweſen. Natur, Menſchheit, und Menſchenliebe haben
laut zum Lobe ſolcher Anſtalten geſprochen. Allein im Grunde
iſt es doch die unpolitiſche Philoſophie unſers Jahrhunderts,
welche hier ihre Macht zeiget. Es iſt wiederum die neumo-
diſche Menſchenliebe, welche ſich auf Koſten der Buͤrgerliebe
erhebt. Es iſt hoͤchſtens die chriſtliche Barmherzigkeit, welche
hier eine Luͤcke der Civilverfaſſung ausfuͤllt, die aber nicht er-

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[291/0309] XXXXII. Ueber die zu unſern Zeiten verminderte Schande der Huren und Hurkinder. Sie haben wohl recht in ihrem letzten Schreiben zu fragen: Ob denn der Hurkinder ſo viel waͤren und der Eheſtand ſo wenig Befoͤrderung verdiene, daß andrer ehrlicher Leute echte und rechte Kinder ihnen zu Gefallen die Werk- ſtaͤtten raͤumen muͤßten? Denn ſeit zehn oder zwanzig Jahren iſt in manchen Laͤndern fuͤr die Huren und ihre Kinder mehr geſchehen als in tauſend Jahren fuͤr alle Ehegemahlinnen, Ehegattinnen und Ehe- genoßinnen. Jeder Philoſoph, ſo bald er nur gekonnt, hat ſich gleich bemuͤhet, die unechten Kinder und ihre Muͤtter ſo viel moͤglich von aller Schande zu befreyen, und ſich um das ganze menſchliche Geſchlecht verdient gemacht zu haben geglaubt, wenn er die armen unſchuldigen Fruͤchte einer zwar verbote- nen aber leider allezeit verfuͤhriſchen Liebe von allem Vorwurfe befreyet. Groß ſind unſtreitig die Bewegungsgruͤnde dazu geweſen. Natur, Menſchheit, und Menſchenliebe haben laut zum Lobe ſolcher Anſtalten geſprochen. Allein im Grunde iſt es doch die unpolitiſche Philoſophie unſers Jahrhunderts, welche hier ihre Macht zeiget. Es iſt wiederum die neumo- diſche Menſchenliebe, welche ſich auf Koſten der Buͤrgerliebe erhebt. Es iſt hoͤchſtens die chriſtliche Barmherzigkeit, welche hier eine Luͤcke der Civilverfaſſung ausfuͤllt, die aber nicht er- zwun- T 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/309>, abgerufen am 29.03.2024.