Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
Es ist allezeit sicherer


LVI.
Es ist allezeit sicherer Orginal
als Copey zu seyn.

Predigten helfen würklich nicht! gedruckte Verordnungen
auch nicht, auch keine Satyren von gewisser Art,
welch eine herrschende Thorheit gleichsam anbellen. Es wird
eine feinere Aufmerksamkeit der Landesobrigkeit, ein großes
Exempel, ein vornehmer Ton erfordert, um die stille Größe
zu erheben, und die prächtigen Thoren von dem Thron ihrer
Einbildung zu stürzen. Gewisse fürstliche Kinder durften nur
vor einigen Jahren laut vor Tische beten; ein Monarch
durfte nur alle Nächte bey seiner Gemahlin schlafen; eine
Herzogin durfte ihr Kind nur in der Kirche Taufen lassen ....
sogleich fand die ganze äffende Welt das Gegentheil ärgerlich.
Ich muß Ihnen bey dieser Gelegenheit meine erste Reise nach
Paris erzählen. Wie ich dort ankam, hätte ich mich um
alle Welt nicht in einem deutschen Kleide zeigen mögen, ohn-
erachtet ich die Meinigen in Stille, wo man doch die Mode
täglich aus der Quelle erhält, so ziemlich einstützen lassen. Ich
schickte deswegen nach einen Schneider, und wurde nicht we-
nig betreten, alsbald darauf ein Mann in einem schwarzen
sammeten Kleide, welchen ich aus meinem halb eröfneten Fen-
ster in einer Kutsche ankommen sahe, zu mir ins Zimmer trat,
und mich sogleich von oben bis unten betrachtete. Ich bat
ihn, sich nieder zu lassen, und mir zu sagen, womit ich ihm
dienen könnte, als er mich fragte, ob ich ein Kleid Couleur
du Jour
erlangte? Und noch merkte ich kaum daß dieser Mann
ein Schneider war, der mir bereits mit seinen Augen die Maaße

zum
Es iſt allezeit ſicherer


LVI.
Es iſt allezeit ſicherer Orginal
als Copey zu ſeyn.

Predigten helfen wuͤrklich nicht! gedruckte Verordnungen
auch nicht, auch keine Satyren von gewiſſer Art,
welch eine herrſchende Thorheit gleichſam anbellen. Es wird
eine feinere Aufmerkſamkeit der Landesobrigkeit, ein großes
Exempel, ein vornehmer Ton erfordert, um die ſtille Groͤße
zu erheben, und die praͤchtigen Thoren von dem Thron ihrer
Einbildung zu ſtuͤrzen. Gewiſſe fuͤrſtliche Kinder durften nur
vor einigen Jahren laut vor Tiſche beten; ein Monarch
durfte nur alle Naͤchte bey ſeiner Gemahlin ſchlafen; eine
Herzogin durfte ihr Kind nur in der Kirche Taufen laſſen ....
ſogleich fand die ganze aͤffende Welt das Gegentheil aͤrgerlich.
Ich muß Ihnen bey dieſer Gelegenheit meine erſte Reiſe nach
Paris erzaͤhlen. Wie ich dort ankam, haͤtte ich mich um
alle Welt nicht in einem deutſchen Kleide zeigen moͤgen, ohn-
erachtet ich die Meinigen in Stille, wo man doch die Mode
taͤglich aus der Quelle erhaͤlt, ſo ziemlich einſtuͤtzen laſſen. Ich
ſchickte deswegen nach einen Schneider, und wurde nicht we-
nig betreten, alsbald darauf ein Mann in einem ſchwarzen
ſammeten Kleide, welchen ich aus meinem halb eroͤfneten Fen-
ſter in einer Kutſche ankommen ſahe, zu mir ins Zimmer trat,
und mich ſogleich von oben bis unten betrachtete. Ich bat
ihn, ſich nieder zu laſſen, und mir zu ſagen, womit ich ihm
dienen koͤnnte, als er mich fragte, ob ich ein Kleid Couleur
du Jour
erlangte? Und noch merkte ich kaum daß dieſer Mann
ein Schneider war, der mir bereits mit ſeinen Augen die Maaße

zum
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0370" n="352"/>
      <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Es i&#x017F;t allezeit &#x017F;icherer</hi> </fw><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">LVI.</hi><lb/>
Es i&#x017F;t allezeit &#x017F;icherer Orginal<lb/>
als Copey zu &#x017F;eyn.</hi> </head><lb/>
        <p>Predigten helfen wu&#x0364;rklich nicht! gedruckte Verordnungen<lb/>
auch nicht, auch keine Satyren von gewi&#x017F;&#x017F;er Art,<lb/>
welch eine herr&#x017F;chende Thorheit gleich&#x017F;am anbellen. Es wird<lb/>
eine feinere Aufmerk&#x017F;amkeit der Landesobrigkeit, ein großes<lb/>
Exempel, ein vornehmer Ton erfordert, um die &#x017F;tille Gro&#x0364;ße<lb/>
zu erheben, und die pra&#x0364;chtigen Thoren von dem Thron ihrer<lb/>
Einbildung zu &#x017F;tu&#x0364;rzen. Gewi&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;r&#x017F;tliche Kinder durften nur<lb/>
vor einigen Jahren laut vor Ti&#x017F;che beten; ein Monarch<lb/>
durfte nur alle Na&#x0364;chte bey &#x017F;einer Gemahlin &#x017F;chlafen; eine<lb/>
Herzogin durfte ihr Kind nur in der Kirche Taufen la&#x017F;&#x017F;en ....<lb/>
&#x017F;ogleich fand die ganze a&#x0364;ffende Welt das Gegentheil a&#x0364;rgerlich.<lb/>
Ich muß Ihnen bey die&#x017F;er Gelegenheit meine er&#x017F;te Rei&#x017F;e nach<lb/>
Paris erza&#x0364;hlen. Wie ich dort ankam, ha&#x0364;tte ich mich um<lb/>
alle Welt nicht in einem deut&#x017F;chen Kleide zeigen mo&#x0364;gen, ohn-<lb/>
erachtet ich die Meinigen in Stille, wo man doch die Mode<lb/>
ta&#x0364;glich aus der Quelle erha&#x0364;lt, &#x017F;o ziemlich ein&#x017F;tu&#x0364;tzen la&#x017F;&#x017F;en. Ich<lb/>
&#x017F;chickte deswegen nach einen Schneider, und wurde nicht we-<lb/>
nig betreten, alsbald darauf ein Mann in einem &#x017F;chwarzen<lb/>
&#x017F;ammeten Kleide, welchen ich aus meinem halb ero&#x0364;fneten Fen-<lb/>
&#x017F;ter in einer Kut&#x017F;che ankommen &#x017F;ahe, zu mir ins Zimmer trat,<lb/>
und mich &#x017F;ogleich von oben bis unten betrachtete. Ich bat<lb/>
ihn, &#x017F;ich nieder zu la&#x017F;&#x017F;en, und mir zu &#x017F;agen, womit ich ihm<lb/>
dienen ko&#x0364;nnte, als er mich fragte, ob ich ein Kleid <hi rendition="#aq">Couleur<lb/>
du Jour</hi> erlangte? Und noch merkte ich kaum daß die&#x017F;er Mann<lb/>
ein Schneider war, der mir bereits mit &#x017F;einen Augen die Maaße<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zum</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0370] Es iſt allezeit ſicherer LVI. Es iſt allezeit ſicherer Orginal als Copey zu ſeyn. Predigten helfen wuͤrklich nicht! gedruckte Verordnungen auch nicht, auch keine Satyren von gewiſſer Art, welch eine herrſchende Thorheit gleichſam anbellen. Es wird eine feinere Aufmerkſamkeit der Landesobrigkeit, ein großes Exempel, ein vornehmer Ton erfordert, um die ſtille Groͤße zu erheben, und die praͤchtigen Thoren von dem Thron ihrer Einbildung zu ſtuͤrzen. Gewiſſe fuͤrſtliche Kinder durften nur vor einigen Jahren laut vor Tiſche beten; ein Monarch durfte nur alle Naͤchte bey ſeiner Gemahlin ſchlafen; eine Herzogin durfte ihr Kind nur in der Kirche Taufen laſſen .... ſogleich fand die ganze aͤffende Welt das Gegentheil aͤrgerlich. Ich muß Ihnen bey dieſer Gelegenheit meine erſte Reiſe nach Paris erzaͤhlen. Wie ich dort ankam, haͤtte ich mich um alle Welt nicht in einem deutſchen Kleide zeigen moͤgen, ohn- erachtet ich die Meinigen in Stille, wo man doch die Mode taͤglich aus der Quelle erhaͤlt, ſo ziemlich einſtuͤtzen laſſen. Ich ſchickte deswegen nach einen Schneider, und wurde nicht we- nig betreten, alsbald darauf ein Mann in einem ſchwarzen ſammeten Kleide, welchen ich aus meinem halb eroͤfneten Fen- ſter in einer Kutſche ankommen ſahe, zu mir ins Zimmer trat, und mich ſogleich von oben bis unten betrachtete. Ich bat ihn, ſich nieder zu laſſen, und mir zu ſagen, womit ich ihm dienen koͤnnte, als er mich fragte, ob ich ein Kleid Couleur du Jour erlangte? Und noch merkte ich kaum daß dieſer Mann ein Schneider war, der mir bereits mit ſeinen Augen die Maaße zum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/370
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/370>, abgerufen am 29.03.2024.