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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Der alte Rath.
Zimmer trat, erzählte er ihr die Geschichte von seiner Brille,
und das mit einem solchen Eyfer, daß das arme Mädgen das
Herz nicht hatte ihres Anliegens zu gedenken. Als sie endlich
traurig weggehen wollte, rief er ihr nach: A propos! Cousine,
eure Hochzeit wird bald seyn, hier habt ihr was ich euch vor-
erst mitzugeben gedenke, aber nun laßt mich mit allen Anstal-
ten ungeschoren. Macht alles so gut wie ihr könnt und wollt,
ich will es bezahlen, aber nun nichts mehr davon hören. Ver-
steht ihr mich? Die arme Hexe gieng furchtsam weg, sahe
daß ihr der gute Onkte zehntausend Thaler zum Brautschatze
geschenkt hatte, und durfte es doch nicht wagen ihm dafür zu
danken. Beym Abendessen faßte sie seine Hand und benetzte
solche mit einer dankbaren Thräne. Zum Unglück für sie war
er eben in ein wichtiges Project vertieft; er fuhr also auf,
und wie er ihre Rührung sahe, sagte er ihr weiter nichts als:
Mach ich es denn immer Unrecht? In der Eilfettigkeit wo-
mit sie sich zurück zog, wurf sie ein Glas Wein um, das vor
ihr auf dem Tische stand. Hier forschte er mit der größten
Sorgfalt nach, ob sie sich auch erschrocken, oder Schaden ge-
than hätte, beruhigte sie mit den freundschaftlichsten Worten,
und erzählte ihr um sie zu trösten, wie es ihm heute eben so
mit der Brille ergangen wäre ..... der alte gute Rath.



XCI.
Der junge Rath.

Die feine Welt hat eine gewisse allgemeine Sprache,
worinn sie sich bey jeder Gelegenheit etwas angeneh-
mes und gefälliges sagt. Der Einfältige spricht sie so gut wie
der Witzige, und man umarmt einen Feind wie einen Freund

mit

Der alte Rath.
Zimmer trat, erzaͤhlte er ihr die Geſchichte von ſeiner Brille,
und das mit einem ſolchen Eyfer, daß das arme Maͤdgen das
Herz nicht hatte ihres Anliegens zu gedenken. Als ſie endlich
traurig weggehen wollte, rief er ihr nach: A propos! Couſine,
eure Hochzeit wird bald ſeyn, hier habt ihr was ich euch vor-
erſt mitzugeben gedenke, aber nun laßt mich mit allen Anſtal-
ten ungeſchoren. Macht alles ſo gut wie ihr koͤnnt und wollt,
ich will es bezahlen, aber nun nichts mehr davon hoͤren. Ver-
ſteht ihr mich? Die arme Hexe gieng furchtſam weg, ſahe
daß ihr der gute Onkte zehntauſend Thaler zum Brautſchatze
geſchenkt hatte, und durfte es doch nicht wagen ihm dafuͤr zu
danken. Beym Abendeſſen faßte ſie ſeine Hand und benetzte
ſolche mit einer dankbaren Thraͤne. Zum Ungluͤck fuͤr ſie war
er eben in ein wichtiges Project vertieft; er fuhr alſo auf,
und wie er ihre Ruͤhrung ſahe, ſagte er ihr weiter nichts als:
Mach ich es denn immer Unrecht? In der Eilfettigkeit wo-
mit ſie ſich zuruͤck zog, wurf ſie ein Glas Wein um, das vor
ihr auf dem Tiſche ſtand. Hier forſchte er mit der groͤßten
Sorgfalt nach, ob ſie ſich auch erſchrocken, oder Schaden ge-
than haͤtte, beruhigte ſie mit den freundſchaftlichſten Worten,
und erzaͤhlte ihr um ſie zu troͤſten, wie es ihm heute eben ſo
mit der Brille ergangen waͤre ..... der alte gute Rath.



XCI.
Der junge Rath.

Die feine Welt hat eine gewiſſe allgemeine Sprache,
worinn ſie ſich bey jeder Gelegenheit etwas angeneh-
mes und gefaͤlliges ſagt. Der Einfaͤltige ſpricht ſie ſo gut wie
der Witzige, und man umarmt einen Feind wie einen Freund

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[486/0504] Der alte Rath. Zimmer trat, erzaͤhlte er ihr die Geſchichte von ſeiner Brille, und das mit einem ſolchen Eyfer, daß das arme Maͤdgen das Herz nicht hatte ihres Anliegens zu gedenken. Als ſie endlich traurig weggehen wollte, rief er ihr nach: A propos! Couſine, eure Hochzeit wird bald ſeyn, hier habt ihr was ich euch vor- erſt mitzugeben gedenke, aber nun laßt mich mit allen Anſtal- ten ungeſchoren. Macht alles ſo gut wie ihr koͤnnt und wollt, ich will es bezahlen, aber nun nichts mehr davon hoͤren. Ver- ſteht ihr mich? Die arme Hexe gieng furchtſam weg, ſahe daß ihr der gute Onkte zehntauſend Thaler zum Brautſchatze geſchenkt hatte, und durfte es doch nicht wagen ihm dafuͤr zu danken. Beym Abendeſſen faßte ſie ſeine Hand und benetzte ſolche mit einer dankbaren Thraͤne. Zum Ungluͤck fuͤr ſie war er eben in ein wichtiges Project vertieft; er fuhr alſo auf, und wie er ihre Ruͤhrung ſahe, ſagte er ihr weiter nichts als: Mach ich es denn immer Unrecht? In der Eilfettigkeit wo- mit ſie ſich zuruͤck zog, wurf ſie ein Glas Wein um, das vor ihr auf dem Tiſche ſtand. Hier forſchte er mit der groͤßten Sorgfalt nach, ob ſie ſich auch erſchrocken, oder Schaden ge- than haͤtte, beruhigte ſie mit den freundſchaftlichſten Worten, und erzaͤhlte ihr um ſie zu troͤſten, wie es ihm heute eben ſo mit der Brille ergangen waͤre ..... der alte gute Rath. XCI. Der junge Rath. Die feine Welt hat eine gewiſſe allgemeine Sprache, worinn ſie ſich bey jeder Gelegenheit etwas angeneh- mes und gefaͤlliges ſagt. Der Einfaͤltige ſpricht ſie ſo gut wie der Witzige, und man umarmt einen Feind wie einen Freund mit

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/504>, abgerufen am 28.03.2024.