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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Also kann man der Mode
das Wetter in unsern Köpfen prophezeyen; ich bewieß ihr
aber mit physiognomischen, psychologischen und physiologi-
schen Gründen, wie allenfalls auch diese Windfedern der
menschlichen Gesellschaft mehr Nutzen schaffen würden, als
eine eiserne Haube, welche immer einerley Wetter anzeigte.
Sie versetzte zwar ganz spitzig, unsere heutige ganze Ver-
nunft bestünde in der Wissenschaft, mit jedem Winde zu
segeln. Allein wie ich sie fragte: ob Sie denn immer nur
mit einem segelte? vergaß sie ihren Spott, und erinnerte
sich vermuthlich mit Betrübniß ihres Alters.

Doch was gehen uns die alten Matronen an? Wollen
diese ihre Moden nicht verändern: so mögen sie ihren Ei-
gensinn mit ins Grab nehmen. Sie, meine Theureste!
haben von ihnen kein Exempel zu nehmen, so wenig als wir
verlangen ihnen eines zu geben; sie haben ihr Gutes genos-
sen, und die Reihe ist jetzt an uns. Aber vor allen kein
Gewissen über die vielen und grossen Ausgaben. Diese
fliessen den Fabrikanten und Künstlern zu, und was ist ed-
ler, patriotischer und christlicher, als diese zu unterstützen?
Lassen Sie den Herrn Gemahl immerhin ein bisgen darüber
grämeln, daß ihm die öftern Veränderungen der Moden
zu vieles kosten; eine zur rechten Zeit angewandte Liebko-
sung wird ihn schon besänftigen, und die Sorgen der Nah-
rung gehn ihn allein an. Hat er eine Frau genommen:
so mag er auch sehen, wie er sie nach ihrem Stande un-
terhält; das ist seine Sorge.

Alle Jahr einen neuen Wagen -- Alle Jahr einen
neuen Wagen! -- Nun der Herr Gemahl mag dieses
zweymal oder hundertmal wiederholen; was seyn muß,
das muß doch seyn. Man kann ja nicht ewig in einerley go-
thischen Staatscarosse fahren; und der alte kann ja wieder
verkauft werden. Er ist für einen Amtmann noch immer

gut

Alſo kann man der Mode
das Wetter in unſern Koͤpfen prophezeyen; ich bewieß ihr
aber mit phyſiognomiſchen, pſychologiſchen und phyſiologi-
ſchen Gruͤnden, wie allenfalls auch dieſe Windfedern der
menſchlichen Geſellſchaft mehr Nutzen ſchaffen wuͤrden, als
eine eiſerne Haube, welche immer einerley Wetter anzeigte.
Sie verſetzte zwar ganz ſpitzig, unſere heutige ganze Ver-
nunft beſtuͤnde in der Wiſſenſchaft, mit jedem Winde zu
ſegeln. Allein wie ich ſie fragte: ob Sie denn immer nur
mit einem ſegelte? vergaß ſie ihren Spott, und erinnerte
ſich vermuthlich mit Betruͤbniß ihres Alters.

Doch was gehen uns die alten Matronen an? Wollen
dieſe ihre Moden nicht veraͤndern: ſo moͤgen ſie ihren Ei-
genſinn mit ins Grab nehmen. Sie, meine Theureſte!
haben von ihnen kein Exempel zu nehmen, ſo wenig als wir
verlangen ihnen eines zu geben; ſie haben ihr Gutes genoſ-
ſen, und die Reihe iſt jetzt an uns. Aber vor allen kein
Gewiſſen uͤber die vielen und groſſen Ausgaben. Dieſe
flieſſen den Fabrikanten und Kuͤnſtlern zu, und was iſt ed-
ler, patriotiſcher und chriſtlicher, als dieſe zu unterſtuͤtzen?
Laſſen Sie den Herrn Gemahl immerhin ein bisgen daruͤber
graͤmeln, daß ihm die oͤftern Veraͤnderungen der Moden
zu vieles koſten; eine zur rechten Zeit angewandte Liebko-
ſung wird ihn ſchon beſaͤnftigen, und die Sorgen der Nah-
rung gehn ihn allein an. Hat er eine Frau genommen:
ſo mag er auch ſehen, wie er ſie nach ihrem Stande un-
terhaͤlt; das iſt ſeine Sorge.

Alle Jahr einen neuen Wagen — Alle Jahr einen
neuen Wagen! — Nun der Herr Gemahl mag dieſes
zweymal oder hundertmal wiederholen; was ſeyn muß,
das muß doch ſeyn. Man kann ja nicht ewig in einerley go-
thiſchen Staatscaroſſe fahren; und der alte kann ja wieder
verkauft werden. Er iſt fuͤr einen Amtmann noch immer

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[2/0016] Alſo kann man der Mode das Wetter in unſern Koͤpfen prophezeyen; ich bewieß ihr aber mit phyſiognomiſchen, pſychologiſchen und phyſiologi- ſchen Gruͤnden, wie allenfalls auch dieſe Windfedern der menſchlichen Geſellſchaft mehr Nutzen ſchaffen wuͤrden, als eine eiſerne Haube, welche immer einerley Wetter anzeigte. Sie verſetzte zwar ganz ſpitzig, unſere heutige ganze Ver- nunft beſtuͤnde in der Wiſſenſchaft, mit jedem Winde zu ſegeln. Allein wie ich ſie fragte: ob Sie denn immer nur mit einem ſegelte? vergaß ſie ihren Spott, und erinnerte ſich vermuthlich mit Betruͤbniß ihres Alters. Doch was gehen uns die alten Matronen an? Wollen dieſe ihre Moden nicht veraͤndern: ſo moͤgen ſie ihren Ei- genſinn mit ins Grab nehmen. Sie, meine Theureſte! haben von ihnen kein Exempel zu nehmen, ſo wenig als wir verlangen ihnen eines zu geben; ſie haben ihr Gutes genoſ- ſen, und die Reihe iſt jetzt an uns. Aber vor allen kein Gewiſſen uͤber die vielen und groſſen Ausgaben. Dieſe flieſſen den Fabrikanten und Kuͤnſtlern zu, und was iſt ed- ler, patriotiſcher und chriſtlicher, als dieſe zu unterſtuͤtzen? Laſſen Sie den Herrn Gemahl immerhin ein bisgen daruͤber graͤmeln, daß ihm die oͤftern Veraͤnderungen der Moden zu vieles koſten; eine zur rechten Zeit angewandte Liebko- ſung wird ihn ſchon beſaͤnftigen, und die Sorgen der Nah- rung gehn ihn allein an. Hat er eine Frau genommen: ſo mag er auch ſehen, wie er ſie nach ihrem Stande un- terhaͤlt; das iſt ſeine Sorge. Alle Jahr einen neuen Wagen — Alle Jahr einen neuen Wagen! — Nun der Herr Gemahl mag dieſes zweymal oder hundertmal wiederholen; was ſeyn muß, das muß doch ſeyn. Man kann ja nicht ewig in einerley go- thiſchen Staatscaroſſe fahren; und der alte kann ja wieder verkauft werden. Er iſt fuͤr einen Amtmann noch immer gut

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/16>, abgerufen am 29.03.2024.