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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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wie es viele giebt.
"eine Menge Volks um einen grossen Baum versammlet, und
"indem alle sprachen, hörten wir nicht was einer sagte.
"Was ist hier zu thun, sagte ich zu einem Manne der bey
"mir stund, und der, wie es schien, etwas mehr war als
"die andern? O! nichts, war seine Antwort, es ist schon
"fort; und wie ich mich weiter erkundigte, denn ich konnte
"unmöglich glauben, daß man um nichts ein solches Ge-
"schrey gemacht haben würde, siehe da, was meynen sie
"wohl, was es war? Ich will es ihnen nur kurz und gut
"sagen, denn wozu dient die Weitläuftigkeit, es hatte eine
"grosse Eule da gesessen.

So wird der Faden unsrer mehrsten Erzählungen aus-
gesponnen, so die Erwartung gemartert, und so betrogen.
Wahrlich ein grausames Verfahren, da nichts aufrichtiger
ist, als die menschliche Begierde, etwas neues und wun-
derbares zu hören; und es in der That eine Sünde ist, die-
sen edlen und gutherzigen Trieb, da er jetzt die angenehm-
ste Befriedigung seiner Mühe hofft, in einem kalten Schauer
zu ersticken. Geschieht dieses nun vollends bey einer Mahl-
zeit, wo man dem Erzählenden zu Ehren, und um ihm mit
einem unverwandten Auge seine Aufmerksamkeit zu bewei-
sen, den Braten kalt, und den Wein warm werden läßt:
so hat man die Ursache der öftern üblen Verdanungen, der
daraus folgenden Koliken, und anderer gefährlichen Zufälle
lediglich einem solchen Erzähler zuzuschreibe;

Zwar leidet er dafür seine Strafe, wenn die ganze
Gesellschaft, deren Ohren er mit der Witterung seiner Ge-
schichte an sich gezogen hat, auf einmal durch ihr kaltsinni-
ges Schweigen ihren Eckel zu erkennen giebt. Allein man
kommt nicht zusammen, um ein verdrüßliches Strafamt
auszuüben, sondern um sich zu erheitern, und auch wohl
durch eine lehrreiche und scherzhafte Erzählung zu ergötzen.

Also

wie es viele giebt.
„eine Menge Volks um einen groſſen Baum verſammlet, und
„indem alle ſprachen, hoͤrten wir nicht was einer ſagte.
„Was iſt hier zu thun, ſagte ich zu einem Manne der bey
„mir ſtund, und der, wie es ſchien, etwas mehr war als
„die andern? O! nichts, war ſeine Antwort, es iſt ſchon
„fort; und wie ich mich weiter erkundigte, denn ich konnte
„unmoͤglich glauben, daß man um nichts ein ſolches Ge-
„ſchrey gemacht haben wuͤrde, ſiehe da, was meynen ſie
„wohl, was es war? Ich will es ihnen nur kurz und gut
„ſagen, denn wozu dient die Weitlaͤuftigkeit, es hatte eine
„groſſe Eule da geſeſſen.

So wird der Faden unſrer mehrſten Erzaͤhlungen aus-
geſponnen, ſo die Erwartung gemartert, und ſo betrogen.
Wahrlich ein grauſames Verfahren, da nichts aufrichtiger
iſt, als die menſchliche Begierde, etwas neues und wun-
derbares zu hoͤren; und es in der That eine Suͤnde iſt, die-
ſen edlen und gutherzigen Trieb, da er jetzt die angenehm-
ſte Befriedigung ſeiner Muͤhe hofft, in einem kalten Schauer
zu erſticken. Geſchieht dieſes nun vollends bey einer Mahl-
zeit, wo man dem Erzaͤhlenden zu Ehren, und um ihm mit
einem unverwandten Auge ſeine Aufmerkſamkeit zu bewei-
ſen, den Braten kalt, und den Wein warm werden laͤßt:
ſo hat man die Urſache der oͤftern uͤblen Verdanungen, der
daraus folgenden Koliken, und anderer gefaͤhrlichen Zufaͤlle
lediglich einem ſolchen Erzaͤhler zuzuſchreibe;

Zwar leidet er dafuͤr ſeine Strafe, wenn die ganze
Geſellſchaft, deren Ohren er mit der Witterung ſeiner Ge-
ſchichte an ſich gezogen hat, auf einmal durch ihr kaltſinni-
ges Schweigen ihren Eckel zu erkennen giebt. Allein man
kommt nicht zuſammen, um ein verdruͤßliches Strafamt
auszuuͤben, ſondern um ſich zu erheitern, und auch wohl
durch eine lehrreiche und ſcherzhafte Erzaͤhlung zu ergoͤtzen.

Alſo
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[157/0171] wie es viele giebt. „eine Menge Volks um einen groſſen Baum verſammlet, und „indem alle ſprachen, hoͤrten wir nicht was einer ſagte. „Was iſt hier zu thun, ſagte ich zu einem Manne der bey „mir ſtund, und der, wie es ſchien, etwas mehr war als „die andern? O! nichts, war ſeine Antwort, es iſt ſchon „fort; und wie ich mich weiter erkundigte, denn ich konnte „unmoͤglich glauben, daß man um nichts ein ſolches Ge- „ſchrey gemacht haben wuͤrde, ſiehe da, was meynen ſie „wohl, was es war? Ich will es ihnen nur kurz und gut „ſagen, denn wozu dient die Weitlaͤuftigkeit, es hatte eine „groſſe Eule da geſeſſen. So wird der Faden unſrer mehrſten Erzaͤhlungen aus- geſponnen, ſo die Erwartung gemartert, und ſo betrogen. Wahrlich ein grauſames Verfahren, da nichts aufrichtiger iſt, als die menſchliche Begierde, etwas neues und wun- derbares zu hoͤren; und es in der That eine Suͤnde iſt, die- ſen edlen und gutherzigen Trieb, da er jetzt die angenehm- ſte Befriedigung ſeiner Muͤhe hofft, in einem kalten Schauer zu erſticken. Geſchieht dieſes nun vollends bey einer Mahl- zeit, wo man dem Erzaͤhlenden zu Ehren, und um ihm mit einem unverwandten Auge ſeine Aufmerkſamkeit zu bewei- ſen, den Braten kalt, und den Wein warm werden laͤßt: ſo hat man die Urſache der oͤftern uͤblen Verdanungen, der daraus folgenden Koliken, und anderer gefaͤhrlichen Zufaͤlle lediglich einem ſolchen Erzaͤhler zuzuſchreibe; Zwar leidet er dafuͤr ſeine Strafe, wenn die ganze Geſellſchaft, deren Ohren er mit der Witterung ſeiner Ge- ſchichte an ſich gezogen hat, auf einmal durch ihr kaltſinni- ges Schweigen ihren Eckel zu erkennen giebt. Allein man kommt nicht zuſammen, um ein verdruͤßliches Strafamt auszuuͤben, ſondern um ſich zu erheitern, und auch wohl durch eine lehrreiche und ſcherzhafte Erzaͤhlung zu ergoͤtzen. Alſo

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/171>, abgerufen am 29.03.2024.