Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Politik im Unglück.


XII.

Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li-
centiat F ... zu mir; und von einer Thorheit zur
andern gieng ich endlich so weit, daß ich ihm meinen Brief,
den ich an Sie geschrieben hatte, vorlas "Habs lang ge-
sagt, mags aber auch wohl wiederhol'n, fieng er an, wie
ich auf den Onkle Schöps kam, wir sind alle solche Schöps'n.
Wenn ein' unglückliche Person die Mien' hat, daß sie uns
beschwerlich fall'n wird, und diese Mien' hat ein' jede, so
lang' sie ein'n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile überführt:
so will man sie stracks zur Kinderwärterin abwürdigen; 's
ist hier keine Hülfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht,
und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert
werden, als man geben kann. Besser also fluchs als
langsam gebroch'n, und sich Undank erkauft. Mag sie
's doch sich selbst zurechnen, daß man ihr aus dem Gleise
weicht, könnts ja gescheuter anfangen; 'n mal auch wol
zweenmal hilft man ihr wol, aber dann ists auch aus, ihr
Unglück kümmert ein'n weiter nicht. Wenn man aber weiß,
daß die Person ihre tausend und ein Bedürfnisse so gemin-
dert hat, daß sie von dem Krautkopfe, den sie noch übrig
hat, satt wird: o so freut's ein'n zu helfen; man läuft ihr
überall entgeg'n, hält ihr den ofnen Beutel zu, und ist
bey meiner Treu ein großmüthiger Patron. Das Helfen
und Trösten ist dann so süß, das Zutrauen so bequem, alles
was man thut würkt so a propos, Dankbarkeit und Wohl-
thun begegnen sich so herzlich; daß es eine rechte Kraftsuppe
vor mich ist, wenn ich die gröste Wohlthat in eine verfluchte
Schuldigkeit verwandeln kann ...

Ich
Die Politik im Ungluͤck.


XII.

Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li-
centiat F … zu mir; und von einer Thorheit zur
andern gieng ich endlich ſo weit, daß ich ihm meinen Brief,
den ich an Sie geſchrieben hatte, vorlas ”Habs lang ge-
ſagt, mags aber auch wohl wiederhol’n, fieng er an, wie
ich auf den Onkle Schoͤps kam, wir ſind alle ſolche Schoͤpſ’n.
Wenn ein’ ungluͤckliche Perſon die Mien’ hat, daß ſie uns
beſchwerlich fall’n wird, und dieſe Mien’ hat ein’ jede, ſo
lang’ ſie ein’n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile uͤberfuͤhrt:
ſo will man ſie ſtracks zur Kinderwaͤrterin abwuͤrdigen; ’s
iſt hier keine Huͤlfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht,
und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert
werden, als man geben kann. Beſſer alſo fluchs als
langſam gebroch’n, und ſich Undank erkauft. Mag ſie
’s doch ſich ſelbſt zurechnen, daß man ihr aus dem Gleiſe
weicht, koͤnnts ja geſcheuter anfangen; ’n mal auch wol
zweenmal hilft man ihr wol, aber dann iſts auch aus, ihr
Ungluͤck kuͤmmert ein’n weiter nicht. Wenn man aber weiß,
daß die Perſon ihre tauſend und ein Beduͤrfniſſe ſo gemin-
dert hat, daß ſie von dem Krautkopfe, den ſie noch uͤbrig
hat, ſatt wird: o ſo freut’s ein’n zu helfen; man laͤuft ihr
uͤberall entgeg’n, haͤlt ihr den ofnen Beutel zu, und iſt
bey meiner Treu ein großmuͤthiger Patron. Das Helfen
und Troͤſten iſt dann ſo ſuͤß, das Zutrauen ſo bequem, alles
was man thut wuͤrkt ſo a propos, Dankbarkeit und Wohl-
thun begegnen ſich ſo herzlich; daß es eine rechte Kraftſuppe
vor mich iſt, wenn ich die groͤſte Wohlthat in eine verfluchte
Schuldigkeit verwandeln kann …

Ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0050" n="36"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Politik im Unglu&#x0364;ck.</hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">XII.</hi> </head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">H .. den 26 Ma&#x0364;rz 1774.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li-<lb/>
centiat F &#x2026; zu mir; und von einer Thorheit zur<lb/>
andern gieng ich endlich &#x017F;o weit, daß ich ihm meinen Brief,<lb/>
den ich an Sie ge&#x017F;chrieben hatte, vorlas &#x201D;Habs lang ge-<lb/>
&#x017F;agt, mags aber auch wohl wiederhol&#x2019;n, fieng er an, wie<lb/>
ich auf den Onkle Scho&#x0364;ps kam, wir &#x017F;ind alle &#x017F;olche Scho&#x0364;p&#x017F;&#x2019;n.<lb/>
Wenn ein&#x2019; unglu&#x0364;ckliche Per&#x017F;on die Mien&#x2019; hat, daß &#x017F;ie uns<lb/>
be&#x017F;chwerlich fall&#x2019;n wird, und die&#x017F;e Mien&#x2019; hat ein&#x2019; jede, &#x017F;o<lb/>
lang&#x2019; &#x017F;ie ein&#x2019;n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile u&#x0364;berfu&#x0364;hrt:<lb/>
&#x017F;o will man &#x017F;ie &#x017F;tracks zur Kinderwa&#x0364;rterin abwu&#x0364;rdigen; &#x2019;s<lb/>
i&#x017F;t hier keine Hu&#x0364;lfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht,<lb/>
und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert<lb/>
werden, als man geben kann. Be&#x017F;&#x017F;er al&#x017F;o fluchs als<lb/>
lang&#x017F;am gebroch&#x2019;n, und &#x017F;ich Undank erkauft. Mag &#x017F;ie<lb/>
&#x2019;s doch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zurechnen, daß man ihr aus dem Glei&#x017F;e<lb/>
weicht, ko&#x0364;nnts ja ge&#x017F;cheuter anfangen; &#x2019;n mal auch wol<lb/>
zweenmal hilft man ihr wol, aber dann i&#x017F;ts auch aus, ihr<lb/>
Unglu&#x0364;ck ku&#x0364;mmert ein&#x2019;n weiter nicht. Wenn man aber weiß,<lb/>
daß die Per&#x017F;on ihre tau&#x017F;end und ein Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o gemin-<lb/>
dert hat, daß &#x017F;ie von dem Krautkopfe, den &#x017F;ie noch u&#x0364;brig<lb/>
hat, &#x017F;att wird: o &#x017F;o freut&#x2019;s ein&#x2019;n zu helfen; man la&#x0364;uft ihr<lb/>
u&#x0364;berall entgeg&#x2019;n, ha&#x0364;lt ihr den ofnen Beutel zu, und i&#x017F;t<lb/>
bey meiner Treu ein großmu&#x0364;thiger Patron. Das Helfen<lb/>
und Tro&#x0364;&#x017F;ten i&#x017F;t dann &#x017F;o &#x017F;u&#x0364;ß, das Zutrauen &#x017F;o bequem, alles<lb/>
was man thut wu&#x0364;rkt &#x017F;o a propos, Dankbarkeit und Wohl-<lb/>
thun begegnen &#x017F;ich &#x017F;o herzlich; daß es eine rechte Kraft&#x017F;uppe<lb/>
vor mich i&#x017F;t, wenn ich die gro&#x0364;&#x017F;te Wohlthat in eine verfluchte<lb/>
Schuldigkeit verwandeln kann &#x2026;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Ich</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0050] Die Politik im Ungluͤck. XII. H .. den 26 Maͤrz 1774. Wie ich mein letzteres eben endigte, kam mein alter Li- centiat F … zu mir; und von einer Thorheit zur andern gieng ich endlich ſo weit, daß ich ihm meinen Brief, den ich an Sie geſchrieben hatte, vorlas ”Habs lang ge- ſagt, mags aber auch wohl wiederhol’n, fieng er an, wie ich auf den Onkle Schoͤps kam, wir ſind alle ſolche Schoͤpſ’n. Wenn ein’ ungluͤckliche Perſon die Mien’ hat, daß ſie uns beſchwerlich fall’n wird, und dieſe Mien’ hat ein’ jede, ſo lang’ ſie ein’n nicht fingerdeutlich vom Gegentheile uͤberfuͤhrt: ſo will man ſie ſtracks zur Kinderwaͤrterin abwuͤrdigen; ’s iſt hier keine Huͤlfe, denkt man, ein wenigs erkleckt nicht, und nach vielem wird wiederum viel, und mehr erfordert werden, als man geben kann. Beſſer alſo fluchs als langſam gebroch’n, und ſich Undank erkauft. Mag ſie ’s doch ſich ſelbſt zurechnen, daß man ihr aus dem Gleiſe weicht, koͤnnts ja geſcheuter anfangen; ’n mal auch wol zweenmal hilft man ihr wol, aber dann iſts auch aus, ihr Ungluͤck kuͤmmert ein’n weiter nicht. Wenn man aber weiß, daß die Perſon ihre tauſend und ein Beduͤrfniſſe ſo gemin- dert hat, daß ſie von dem Krautkopfe, den ſie noch uͤbrig hat, ſatt wird: o ſo freut’s ein’n zu helfen; man laͤuft ihr uͤberall entgeg’n, haͤlt ihr den ofnen Beutel zu, und iſt bey meiner Treu ein großmuͤthiger Patron. Das Helfen und Troͤſten iſt dann ſo ſuͤß, das Zutrauen ſo bequem, alles was man thut wuͤrkt ſo a propos, Dankbarkeit und Wohl- thun begegnen ſich ſo herzlich; daß es eine rechte Kraftſuppe vor mich iſt, wenn ich die groͤſte Wohlthat in eine verfluchte Schuldigkeit verwandeln kann … Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/50
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/50>, abgerufen am 28.03.2024.