Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

XXVIII.
La Prude & la Coquette
zu deutsch.

Es sind viele der Meinung, daß man den Sinn dieser
beyden Wörter im Deutschen nicht ausdrücken könne.
Mir scheint abrr doch Tugendstolz den Begrif der Prude-
rie
völlig zu erschöpfen.

Der Ahnenstolz bezeichnet einmal den Mann ohne
Verdienste, der sich lediglich auf seine hohe Geburt etwas
zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge-
braucht werden, der alle Verdienste hat, jedoch diese als
ausschliesliche Eigenschaften seines Standes ansieht, und
darauf stolz ist. Eben dieses trift auch bey dem Tugend-
stolze zu, den eine würklich tugendhafte Person, und auch
eine von schlechterm innern Werthe haben kann; und
diese Doppelsinnigkeit entspricht der französischen Bedeu-
tung völlig.

Mit der Coquetterie scheinet es etwas schwerer zu
fallen. Dieses Wort bedeutete zuerst nach dem Mena-
ge
*) die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um
das Huhn hoch einher geht, und ihm seine Neigung zu
erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne
gebraucht, was seinen guten Willen gegen den Hahnen
zu zeigen bemühet ist; (des Poules qui se panardent de-
vant le coq
) und erst sehr spät haben es die Franzosen
in der figürlichen Bedeutung von den Menschen gebraucht,
die auf ähnliche Art entweder das Huhn oder den Hah-
nen spielen. Die Mademoiselle Scudery *) bezeugt, daß

es
*) Dict. Etymol. v. Coquet.
*) Histoire de la Coquetterie T. II. de ses nouvelles Conversa-
tions de morale p.
735.

XXVIII.
La Prude & la Coquette
zu deutſch.

Es ſind viele der Meinung, daß man den Sinn dieſer
beyden Woͤrter im Deutſchen nicht ausdruͤcken koͤnne.
Mir ſcheint abrr doch Tugendſtolz den Begrif der Prude-
rie
voͤllig zu erſchoͤpfen.

Der Ahnenſtolz bezeichnet einmal den Mann ohne
Verdienſte, der ſich lediglich auf ſeine hohe Geburt etwas
zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge-
braucht werden, der alle Verdienſte hat, jedoch dieſe als
ausſchliesliche Eigenſchaften ſeines Standes anſieht, und
darauf ſtolz iſt. Eben dieſes trift auch bey dem Tugend-
ſtolze zu, den eine wuͤrklich tugendhafte Perſon, und auch
eine von ſchlechterm innern Werthe haben kann; und
dieſe Doppelſinnigkeit entſpricht der franzoͤſiſchen Bedeu-
tung voͤllig.

Mit der Coquetterie ſcheinet es etwas ſchwerer zu
fallen. Dieſes Wort bedeutete zuerſt nach dem Mena-
ge
*) die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um
das Huhn hoch einher geht, und ihm ſeine Neigung zu
erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne
gebraucht, was ſeinen guten Willen gegen den Hahnen
zu zeigen bemuͤhet iſt; (des Poules qui ſe panardent de-
vant le coq
) und erſt ſehr ſpaͤt haben es die Franzoſen
in der figuͤrlichen Bedeutung von den Menſchen gebraucht,
die auf aͤhnliche Art entweder das Huhn oder den Hah-
nen ſpielen. Die Mademoiſelle Scudery *) bezeugt, daß

es
*) Dict. Etymol. v. Coquet.
*) Hiſtoire de la Coquetterie T. II. de ſes nouvelles Converſa-
tions de morale p.
735.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0119" n="107"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">XXVIII.<lb/>
La Prude &amp; la Coquette</hi> zu deut&#x017F;ch.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">E</hi>s &#x017F;ind viele der Meinung, daß man den Sinn die&#x017F;er<lb/>
beyden Wo&#x0364;rter im Deut&#x017F;chen nicht ausdru&#x0364;cken ko&#x0364;nne.<lb/>
Mir &#x017F;cheint abrr doch <hi rendition="#fr">Tugend&#x017F;tolz</hi> den Begrif der <hi rendition="#aq">Prude-<lb/>
rie</hi> vo&#x0364;llig zu er&#x017F;cho&#x0364;pfen.</p><lb/>
          <p>Der <hi rendition="#fr">Ahnen&#x017F;tolz</hi> bezeichnet einmal den Mann ohne<lb/>
Verdien&#x017F;te, der &#x017F;ich lediglich auf &#x017F;eine hohe Geburt etwas<lb/>
zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge-<lb/>
braucht werden, der alle Verdien&#x017F;te hat, jedoch die&#x017F;e als<lb/>
aus&#x017F;chliesliche Eigen&#x017F;chaften &#x017F;eines Standes an&#x017F;ieht, und<lb/>
darauf &#x017F;tolz i&#x017F;t. Eben die&#x017F;es trift auch bey dem Tugend-<lb/>
&#x017F;tolze zu, den eine wu&#x0364;rklich tugendhafte Per&#x017F;on, und auch<lb/>
eine von &#x017F;chlechterm innern Werthe haben kann; und<lb/>
die&#x017F;e Doppel&#x017F;innigkeit ent&#x017F;pricht der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Bedeu-<lb/>
tung vo&#x0364;llig.</p><lb/>
          <p>Mit der <hi rendition="#aq">Coquetterie</hi> &#x017F;cheinet es etwas &#x017F;chwerer zu<lb/>
fallen. Die&#x017F;es Wort bedeutete zuer&#x017F;t nach dem <hi rendition="#fr">Mena-<lb/>
ge</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Dict. Etymol. v. Coquet.</hi></note> die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um<lb/>
das Huhn hoch einher geht, und ihm &#x017F;eine Neigung zu<lb/>
erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne<lb/>
gebraucht, was &#x017F;einen guten Willen gegen den Hahnen<lb/>
zu zeigen bemu&#x0364;het i&#x017F;t; (<hi rendition="#aq">des Poules qui &#x017F;e panardent de-<lb/>
vant le coq</hi>) und er&#x017F;t &#x017F;ehr &#x017F;pa&#x0364;t haben es die Franzo&#x017F;en<lb/>
in der figu&#x0364;rlichen Bedeutung von den Men&#x017F;chen gebraucht,<lb/>
die auf a&#x0364;hnliche Art entweder das Huhn oder den Hah-<lb/>
nen &#x017F;pielen. Die Mademoi&#x017F;elle <hi rendition="#fr">Scudery</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Hi&#x017F;toire de la Coquetterie T. II. de &#x017F;es nouvelles Conver&#x017F;a-<lb/>
tions de morale p.</hi> 735.</note> bezeugt, daß<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0119] XXVIII. La Prude & la Coquette zu deutſch. Es ſind viele der Meinung, daß man den Sinn dieſer beyden Woͤrter im Deutſchen nicht ausdruͤcken koͤnne. Mir ſcheint abrr doch Tugendſtolz den Begrif der Prude- rie voͤllig zu erſchoͤpfen. Der Ahnenſtolz bezeichnet einmal den Mann ohne Verdienſte, der ſich lediglich auf ſeine hohe Geburt etwas zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge- braucht werden, der alle Verdienſte hat, jedoch dieſe als ausſchliesliche Eigenſchaften ſeines Standes anſieht, und darauf ſtolz iſt. Eben dieſes trift auch bey dem Tugend- ſtolze zu, den eine wuͤrklich tugendhafte Perſon, und auch eine von ſchlechterm innern Werthe haben kann; und dieſe Doppelſinnigkeit entſpricht der franzoͤſiſchen Bedeu- tung voͤllig. Mit der Coquetterie ſcheinet es etwas ſchwerer zu fallen. Dieſes Wort bedeutete zuerſt nach dem Mena- ge *) die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um das Huhn hoch einher geht, und ihm ſeine Neigung zu erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne gebraucht, was ſeinen guten Willen gegen den Hahnen zu zeigen bemuͤhet iſt; (des Poules qui ſe panardent de- vant le coq) und erſt ſehr ſpaͤt haben es die Franzoſen in der figuͤrlichen Bedeutung von den Menſchen gebraucht, die auf aͤhnliche Art entweder das Huhn oder den Hah- nen ſpielen. Die Mademoiſelle Scudery *) bezeugt, daß es *) Dict. Etymol. v. Coquet. *) Hiſtoire de la Coquetterie T. II. de ſes nouvelles Converſa- tions de morale p. 735.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/119
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/119>, abgerufen am 28.03.2024.