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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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Ueber das Kunstgefühl.
die sie sich selbst aus den eingedruckten unbemerkt gezo-
gen hat, müssen in Bewegung und Glut gebracht werden;
sie muß vergleichen, schließen und empfinden, was sie
auf andre Art ewig nicht thun wird, sie muß verliebt
und erhitzt werden gegen ihren großen Gegenstand --
Aber auch für die Liebe giebt es keine Disposition; kaum
weiß man es nachher zu erzählen, wie man von einer
Situation zur andern gekommen ist.


II.
Ueber das Kunstgefühl.
Von einem Weinhändler.

Hiebey übersende ich Jhnen, nebst tausend Danksa-
gungen für Jhre mir letzthin bewiesene viele Freund-
schaft, das Fäßgen, was Sie verlangt haben. Der Wein
ist gut, und wenn er das noch hätte und dieses nicht: so
wäre mir das Stück davon nicht für tausend Gul-
den feil.

Lachen Sie nicht über diese seltsame Sprache; es
hat nicht viel gefehlt, oder ich wäre dadurch bey mei-
ner lezten Durchreise durch D .... zum Mitgliede ei-
nes gelehrten Klubbs aufgenommen worden. Unser gu-
ter Freund der Kanonicus L ... der vermuthlich nicht
wußte wie er den Abend mit einem Weinhändler zubrin-
gen sollte, hatte mich dahin geführt, und ich fand über
zwanzig junge Herrn zusammen, die immer das Wort
Kunstgefühl im Munde hatten, und von dessen Mangel
in gewissen Gegenden ein langes und breites sprachen.
Der eine beschuldigte mit einer viel bedeutenden Mine
das feindselige Klima, der andre schob die Schuld auf

die

Ueber das Kunſtgefuͤhl.
die ſie ſich ſelbſt aus den eingedruckten unbemerkt gezo-
gen hat, muͤſſen in Bewegung und Glut gebracht werden;
ſie muß vergleichen, ſchließen und empfinden, was ſie
auf andre Art ewig nicht thun wird, ſie muß verliebt
und erhitzt werden gegen ihren großen Gegenſtand —
Aber auch fuͤr die Liebe giebt es keine Diſpoſition; kaum
weiß man es nachher zu erzaͤhlen, wie man von einer
Situation zur andern gekommen iſt.


II.
Ueber das Kunſtgefuͤhl.
Von einem Weinhaͤndler.

Hiebey uͤberſende ich Jhnen, nebſt tauſend Dankſa-
gungen fuͤr Jhre mir letzthin bewieſene viele Freund-
ſchaft, das Faͤßgen, was Sie verlangt haben. Der Wein
iſt gut, und wenn er das noch haͤtte und dieſes nicht: ſo
waͤre mir das Stuͤck davon nicht fuͤr tauſend Gul-
den feil.

Lachen Sie nicht uͤber dieſe ſeltſame Sprache; es
hat nicht viel gefehlt, oder ich waͤre dadurch bey mei-
ner lezten Durchreiſe durch D .... zum Mitgliede ei-
nes gelehrten Klubbs aufgenommen worden. Unſer gu-
ter Freund der Kanonicus L … der vermuthlich nicht
wußte wie er den Abend mit einem Weinhaͤndler zubrin-
gen ſollte, hatte mich dahin gefuͤhrt, und ich fand uͤber
zwanzig junge Herrn zuſammen, die immer das Wort
Kunſtgefuͤhl im Munde hatten, und von deſſen Mangel
in gewiſſen Gegenden ein langes und breites ſprachen.
Der eine beſchuldigte mit einer viel bedeutenden Mine
das feindſelige Klima, der andre ſchob die Schuld auf

die
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[8/0020] Ueber das Kunſtgefuͤhl. die ſie ſich ſelbſt aus den eingedruckten unbemerkt gezo- gen hat, muͤſſen in Bewegung und Glut gebracht werden; ſie muß vergleichen, ſchließen und empfinden, was ſie auf andre Art ewig nicht thun wird, ſie muß verliebt und erhitzt werden gegen ihren großen Gegenſtand — Aber auch fuͤr die Liebe giebt es keine Diſpoſition; kaum weiß man es nachher zu erzaͤhlen, wie man von einer Situation zur andern gekommen iſt. II. Ueber das Kunſtgefuͤhl. Von einem Weinhaͤndler. Hiebey uͤberſende ich Jhnen, nebſt tauſend Dankſa- gungen fuͤr Jhre mir letzthin bewieſene viele Freund- ſchaft, das Faͤßgen, was Sie verlangt haben. Der Wein iſt gut, und wenn er das noch haͤtte und dieſes nicht: ſo waͤre mir das Stuͤck davon nicht fuͤr tauſend Gul- den feil. Lachen Sie nicht uͤber dieſe ſeltſame Sprache; es hat nicht viel gefehlt, oder ich waͤre dadurch bey mei- ner lezten Durchreiſe durch D .... zum Mitgliede ei- nes gelehrten Klubbs aufgenommen worden. Unſer gu- ter Freund der Kanonicus L … der vermuthlich nicht wußte wie er den Abend mit einem Weinhaͤndler zubrin- gen ſollte, hatte mich dahin gefuͤhrt, und ich fand uͤber zwanzig junge Herrn zuſammen, die immer das Wort Kunſtgefuͤhl im Munde hatten, und von deſſen Mangel in gewiſſen Gegenden ein langes und breites ſprachen. Der eine beſchuldigte mit einer viel bedeutenden Mine das feindſelige Klima, der andre ſchob die Schuld auf die

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/20>, abgerufen am 29.03.2024.