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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
schen Küsten und Inseln bestanden, wie zum Beispiel Sinope,
Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios,
Smyrna, Samos, Halikarnassos und unzählige andere. Alle
diese waren im Wesentlichen frei und hatten mit ihren Grund-
herren nichts zu schaffen als die Bestätigung ihrer Privilegien
zu erbitten und höchstens einen mässigen Zins zu entrichten;
gegen etwanige Uebergriffe der Dynasten wusste man bald
schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsächlich
hülfreich hiebei waren die Rhodier, welche zum Beispiel Si-
nope gegen Mithradates von Pontos nachdrücklich unterstütz-
ten. Wie fest die Freiheiten dieser kleinasiatischen Städte
sich unter dem Hader und eben durch die Zwiste der Mo-
narchen gegründet hatten, beweist zum Beispiel, dass einige
Jahre nachher zwischen Antiochos und den Römern nicht
über die Freiheit der Städte selbst gestritten ward, sondern
darüber, ob sie die Bestätigung ihrer Freibriefe vom König
nachzusuchen hätten oder nicht. Dieser Städtebund war eine
förmliche Hansa, eben auch in dieser eigenthümlichen Stel-
lung zu den Landesherren, sein Haupt Rhodos, das in Ver-
trägen für sich und seine Bundesgenossen verhandelte und
stipulirte. Hier ward die städtische Freiheit gegen die mo-
narchischen Interessen vertreten und während um die Mauern
herum die Kriege tobten, blieb hier in verhältnissmässiger
Ruhe Bürgersinn und bürgerlicher Wohlstand heimisch und
Kunst und Wissenschaft gediehen hier, ohne durch wüste
Soldatenwirthschaft zertreten oder von der Hofluft corrumpirt
zu werden.

Also standen die Dinge im Osten, als die politische
Scheidewand zwischen dem Orient und dem Occident fiel,
und die östlichen Mächte, zunächst Philippos von Makedonien
veranlasst wurden in die Verhältnisse des Westens einzugrei-
fen. Wie es geschah und wie der erste makedonische Krieg
(540-548) verlief, ist zum Theil schon erzählt worden. Es
ist angedeutet worden, was Philippos im hannibalischen Kriege
hätte thun können und wie wenig von dem geschah, was Han-
nibal erwartet und berechnet hatte; es hatte wieder einmal
sich gezeigt, dass unter allen Würfelspielen keines verderb-
licher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht
der Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indess war er
keine unbedeutende Natur. Er war ein rechter König, in dem
besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das leb-
hafte Gefühl selbst und allein zu herrschen war der Grund-

DRITTES BUCH. KAPITEL VIII.
schen Küsten und Inseln bestanden, wie zum Beispiel Sinope,
Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios,
Smyrna, Samos, Halikarnassos und unzählige andere. Alle
diese waren im Wesentlichen frei und hatten mit ihren Grund-
herren nichts zu schaffen als die Bestätigung ihrer Privilegien
zu erbitten und höchstens einen mäſsigen Zins zu entrichten;
gegen etwanige Uebergriffe der Dynasten wuſste man bald
schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsächlich
hülfreich hiebei waren die Rhodier, welche zum Beispiel Si-
nope gegen Mithradates von Pontos nachdrücklich unterstütz-
ten. Wie fest die Freiheiten dieser kleinasiatischen Städte
sich unter dem Hader und eben durch die Zwiste der Mo-
narchen gegründet hatten, beweist zum Beispiel, daſs einige
Jahre nachher zwischen Antiochos und den Römern nicht
über die Freiheit der Städte selbst gestritten ward, sondern
darüber, ob sie die Bestätigung ihrer Freibriefe vom König
nachzusuchen hätten oder nicht. Dieser Städtebund war eine
förmliche Hansa, eben auch in dieser eigenthümlichen Stel-
lung zu den Landesherren, sein Haupt Rhodos, das in Ver-
trägen für sich und seine Bundesgenossen verhandelte und
stipulirte. Hier ward die städtische Freiheit gegen die mo-
narchischen Interessen vertreten und während um die Mauern
herum die Kriege tobten, blieb hier in verhältniſsmäſsiger
Ruhe Bürgersinn und bürgerlicher Wohlstand heimisch und
Kunst und Wissenschaft gediehen hier, ohne durch wüste
Soldatenwirthschaft zertreten oder von der Hofluft corrumpirt
zu werden.

Also standen die Dinge im Osten, als die politische
Scheidewand zwischen dem Orient und dem Occident fiel,
und die östlichen Mächte, zunächst Philippos von Makedonien
veranlaſst wurden in die Verhältnisse des Westens einzugrei-
fen. Wie es geschah und wie der erste makedonische Krieg
(540-548) verlief, ist zum Theil schon erzählt worden. Es
ist angedeutet worden, was Philippos im hannibalischen Kriege
hätte thun können und wie wenig von dem geschah, was Han-
nibal erwartet und berechnet hatte; es hatte wieder einmal
sich gezeigt, daſs unter allen Würfelspielen keines verderb-
licher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht
der Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indeſs war er
keine unbedeutende Natur. Er war ein rechter König, in dem
besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das leb-
hafte Gefühl selbst und allein zu herrschen war der Grund-

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[510/0524] DRITTES BUCH. KAPITEL VIII. schen Küsten und Inseln bestanden, wie zum Beispiel Sinope, Herakleia Pontike, Kios, Lampsakos, Abydos, Mytilene, Chios, Smyrna, Samos, Halikarnassos und unzählige andere. Alle diese waren im Wesentlichen frei und hatten mit ihren Grund- herren nichts zu schaffen als die Bestätigung ihrer Privilegien zu erbitten und höchstens einen mäſsigen Zins zu entrichten; gegen etwanige Uebergriffe der Dynasten wuſste man bald schmiegsam, bald energisch sich zu wehren. Hauptsächlich hülfreich hiebei waren die Rhodier, welche zum Beispiel Si- nope gegen Mithradates von Pontos nachdrücklich unterstütz- ten. Wie fest die Freiheiten dieser kleinasiatischen Städte sich unter dem Hader und eben durch die Zwiste der Mo- narchen gegründet hatten, beweist zum Beispiel, daſs einige Jahre nachher zwischen Antiochos und den Römern nicht über die Freiheit der Städte selbst gestritten ward, sondern darüber, ob sie die Bestätigung ihrer Freibriefe vom König nachzusuchen hätten oder nicht. Dieser Städtebund war eine förmliche Hansa, eben auch in dieser eigenthümlichen Stel- lung zu den Landesherren, sein Haupt Rhodos, das in Ver- trägen für sich und seine Bundesgenossen verhandelte und stipulirte. Hier ward die städtische Freiheit gegen die mo- narchischen Interessen vertreten und während um die Mauern herum die Kriege tobten, blieb hier in verhältniſsmäſsiger Ruhe Bürgersinn und bürgerlicher Wohlstand heimisch und Kunst und Wissenschaft gediehen hier, ohne durch wüste Soldatenwirthschaft zertreten oder von der Hofluft corrumpirt zu werden. Also standen die Dinge im Osten, als die politische Scheidewand zwischen dem Orient und dem Occident fiel, und die östlichen Mächte, zunächst Philippos von Makedonien veranlaſst wurden in die Verhältnisse des Westens einzugrei- fen. Wie es geschah und wie der erste makedonische Krieg (540-548) verlief, ist zum Theil schon erzählt worden. Es ist angedeutet worden, was Philippos im hannibalischen Kriege hätte thun können und wie wenig von dem geschah, was Han- nibal erwartet und berechnet hatte; es hatte wieder einmal sich gezeigt, daſs unter allen Würfelspielen keines verderb- licher ist als die absolute Erbmonarchie. Philippos war nicht der Mann, dessen Makedonien damals bedurfte; indeſs war er keine unbedeutende Natur. Er war ein rechter König, in dem besten und dem schlimmsten Sinne des Wortes. Das leb- hafte Gefühl selbst und allein zu herrschen war der Grund-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 510. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/524>, abgerufen am 25.04.2024.