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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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REPUBLIK UND MONARCHIE.
es mit jedem seiner Soldaten auf und sein Schwimmen rettete
ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit
seiner gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen --
das rechte Gegenstück zu der processionsartigen Langsamkeit,
mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte --
war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ur-
sache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein be-
wundernswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der
Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordnungen, selbst wo
er befahl ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtniss
war unvergleichlich und es war ihm geläufig mehrere Geschäfte
mit gleicher Präcision neben einander zu betreiben. Obgleich
Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. So
lange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia --
der Vater starb ihm früh -- die reinste Verehrung; seinen Frauen
und vor allem seiner Tochter Julia widmete er eine ehrliche Zunei-
gung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rück-
wirkung blieb. Mit den sittlichsten und kernigsten Männern sei-
ner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schö-
nen Verhältniss gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art.
Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius kleinmüthi-
ger und gefühlloser Art fallen liess und, nicht bloss aus Berech-
nung, in guter und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt,
so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius
Matius, noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre
Anhänglichkeit bewährt. Wenn in einer so harmonisch organi-
sirten Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch
hervorgehoben werden kann, so ist es die, dass alles Ideale und
alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst,
dass Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leiden-
schaft giebt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war nie-
mals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt und auch in
sein Gemüth waren Lieder, Liebe und Wein in lebendigem Leben
eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den inner-
lichsten Kern seines Wesens. Die Litteratur beschäftigte ihn lange
und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht
schlafen liess, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Be-
trachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und
Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals Jeder, aber sie wa-
ren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische und na-
turwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander
der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärm-

REPUBLIK UND MONARCHIE.
es mit jedem seiner Soldaten auf und sein Schwimmen rettete
ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit
seiner gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen —
das rechte Gegenstück zu der processionsartigen Langsamkeit,
mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte —
war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ur-
sache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein be-
wundernswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der
Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordnungen, selbst wo
er befahl ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtniſs
war unvergleichlich und es war ihm geläufig mehrere Geschäfte
mit gleicher Präcision neben einander zu betreiben. Obgleich
Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. So
lange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia —
der Vater starb ihm früh — die reinste Verehrung; seinen Frauen
und vor allem seiner Tochter Julia widmete er eine ehrliche Zunei-
gung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rück-
wirkung blieb. Mit den sittlichsten und kernigsten Männern sei-
ner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schö-
nen Verhältniſs gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art.
Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius kleinmüthi-
ger und gefühlloser Art fallen lieſs und, nicht bloſs aus Berech-
nung, in guter und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt,
so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius
Matius, noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre
Anhänglichkeit bewährt. Wenn in einer so harmonisch organi-
sirten Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch
hervorgehoben werden kann, so ist es die, daſs alles Ideale und
alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst,
daſs Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leiden-
schaft giebt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war nie-
mals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt und auch in
sein Gemüth waren Lieder, Liebe und Wein in lebendigem Leben
eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den inner-
lichsten Kern seines Wesens. Die Litteratur beschäftigte ihn lange
und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht
schlafen lieſs, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Be-
trachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und
Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals Jeder, aber sie wa-
ren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische und na-
turwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander
der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärm-

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[429/0439] REPUBLIK UND MONARCHIE. es mit jedem seiner Soldaten auf und sein Schwimmen rettete ihm bei Alexandreia das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit seiner gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen — das rechte Gegenstück zu der processionsartigen Langsamkeit, mit der Pompeius sich von einem Ort zum andern bewegte — war das Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ur- sache seiner Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein be- wundernswürdiges Anschauungsvermögen offenbarte sich in der Sicherheit und Ausführbarkeit all seiner Anordnungen, selbst wo er befahl ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtniſs war unvergleichlich und es war ihm geläufig mehrere Geschäfte mit gleicher Präcision neben einander zu betreiben. Obgleich Gentleman, Genie und Monarch hatte er dennoch ein Herz. So lange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia — der Vater starb ihm früh — die reinste Verehrung; seinen Frauen und vor allem seiner Tochter Julia widmete er eine ehrliche Zunei- gung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne Rück- wirkung blieb. Mit den sittlichsten und kernigsten Männern sei- ner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schö- nen Verhältniſs gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie er selbst niemals einen der Seinen in Pompeius kleinmüthi- ger und gefühlloser Art fallen lieſs und, nicht bloſs aus Berech- nung, in guter und böser Zeit ungeirrt an den Freunden festhielt, so haben auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gaius Matius, noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre Anhänglichkeit bewährt. Wenn in einer so harmonisch organi- sirten Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch hervorgehoben werden kann, so ist es die, daſs alles Ideale und alles Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst, daſs Caesar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leiden- schaft giebt es keine Genialität; aber seine Leidenschaft war nie- mals mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt und auch in sein Gemüth waren Lieder, Liebe und Wein in lebendigem Leben eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den inner- lichsten Kern seines Wesens. Die Litteratur beschäftigte ihn lange und ernstlich; aber wenn Alexandern der homerische Achill nicht schlafen lieſs, so stellte Caesar in seinen schlaflosen Stunden Be- trachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals Jeder, aber sie wa- ren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische und na- turwissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durchschwärm-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/439>, abgerufen am 19.04.2024.