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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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werden können, als durch solche Worte aus der Sprache
der Menschen, die unter allen möglichen am besten ge-
schickt wären, die Sache selbst unserer Vorstellung so
nahe zu bringen, als es möglich wäre. Nun müßten
wir uns aber hüten, daß wie nicht diese Worte, in der
ganzen Ausdehnung ihrer Begriffe und mit allen ihren
Nebenbegriffen, auf die geoffenbahrte Wahrheit anwen-
deten. Wer diese Vorsicht nicht brauchte, der fände in
den Geheimnissen der christlichen Religion Widersprüche,
die doch in ihnen selbst nicht vorhanden wären.

Sechste Unterredung, den 12ten März.

Jch führte nun den Grafen Struensee zu der zwoten
Hauptquelle seiner Vergehungen, welche ich in sei-
nem Ehrgeiz entdeckt zu haben glaubte. Wir legten die-
sen Begriff des Ehrgeizes zum Grunde: er bestehe in
einer unmäßigen Begierde nach äußerlicher Ehre, und
also auch nach allem, was die äußerliche Ehre befördern
kann, ohne von der Tugend, dem einzigen würdigen
Mittel wahrer Ehre abzuhängen, z. Ex. Gewalt, Pracht,
hohen Ehrenstellen u. s. w. Die Unmäßigkeit dieser Be-
gierde bestimmen wir nach eben den Regeln, nach wel-
chen vorher die Unmäßigkeit der Begierde nach sinnlichen
Vergnügungen beurtheilt worden war. Jch überließ es
ihm nun selbst zu entscheiden, ob ihn nicht diese seine un-
glückliche Neigung, besonders in den letzten Jahren sei-
nes Lebens, zu folgenden Vergehungen gegen Gott, die
menschliche Gesellschaft, und sich selbst verleitet habe.

Sie haben sich zu hohe Vorstellungen von Jh-
rem Verstande und von der Güte Jhrer Absichten ge-
macht, welche Sie doch nur am Ende als Mittel Jhrer
Hauptleidenschaft begehrten. "Er sey so thöricht gewe-
sen, sich von jemand, der zu viel auf ihn gehalten habe,

über



werden koͤnnen, als durch ſolche Worte aus der Sprache
der Menſchen, die unter allen moͤglichen am beſten ge-
ſchickt waͤren, die Sache ſelbſt unſerer Vorſtellung ſo
nahe zu bringen, als es moͤglich waͤre. Nun muͤßten
wir uns aber huͤten, daß wie nicht dieſe Worte, in der
ganzen Ausdehnung ihrer Begriffe und mit allen ihren
Nebenbegriffen, auf die geoffenbahrte Wahrheit anwen-
deten. Wer dieſe Vorſicht nicht brauchte, der faͤnde in
den Geheimniſſen der chriſtlichen Religion Widerſpruͤche,
die doch in ihnen ſelbſt nicht vorhanden waͤren.

Sechſte Unterredung, den 12ten Maͤrz.

Jch fuͤhrte nun den Grafen Struenſee zu der zwoten
Hauptquelle ſeiner Vergehungen, welche ich in ſei-
nem Ehrgeiz entdeckt zu haben glaubte. Wir legten die-
ſen Begriff des Ehrgeizes zum Grunde: er beſtehe in
einer unmaͤßigen Begierde nach aͤußerlicher Ehre, und
alſo auch nach allem, was die aͤußerliche Ehre befoͤrdern
kann, ohne von der Tugend, dem einzigen wuͤrdigen
Mittel wahrer Ehre abzuhaͤngen, z. Ex. Gewalt, Pracht,
hohen Ehrenſtellen u. ſ. w. Die Unmaͤßigkeit dieſer Be-
gierde beſtimmen wir nach eben den Regeln, nach wel-
chen vorher die Unmaͤßigkeit der Begierde nach ſinnlichen
Vergnuͤgungen beurtheilt worden war. Jch uͤberließ es
ihm nun ſelbſt zu entſcheiden, ob ihn nicht dieſe ſeine un-
gluͤckliche Neigung, beſonders in den letzten Jahren ſei-
nes Lebens, zu folgenden Vergehungen gegen Gott, die
menſchliche Geſellſchaft, und ſich ſelbſt verleitet habe.

Sie haben ſich zu hohe Vorſtellungen von Jh-
rem Verſtande und von der Guͤte Jhrer Abſichten ge-
macht, welche Sie doch nur am Ende als Mittel Jhrer
Hauptleidenſchaft begehrten. “Er ſey ſo thoͤricht gewe-
ſen, ſich von jemand, der zu viel auf ihn gehalten habe,

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[66/0078] werden koͤnnen, als durch ſolche Worte aus der Sprache der Menſchen, die unter allen moͤglichen am beſten ge- ſchickt waͤren, die Sache ſelbſt unſerer Vorſtellung ſo nahe zu bringen, als es moͤglich waͤre. Nun muͤßten wir uns aber huͤten, daß wie nicht dieſe Worte, in der ganzen Ausdehnung ihrer Begriffe und mit allen ihren Nebenbegriffen, auf die geoffenbahrte Wahrheit anwen- deten. Wer dieſe Vorſicht nicht brauchte, der faͤnde in den Geheimniſſen der chriſtlichen Religion Widerſpruͤche, die doch in ihnen ſelbſt nicht vorhanden waͤren. Sechſte Unterredung, den 12ten Maͤrz. Jch fuͤhrte nun den Grafen Struenſee zu der zwoten Hauptquelle ſeiner Vergehungen, welche ich in ſei- nem Ehrgeiz entdeckt zu haben glaubte. Wir legten die- ſen Begriff des Ehrgeizes zum Grunde: er beſtehe in einer unmaͤßigen Begierde nach aͤußerlicher Ehre, und alſo auch nach allem, was die aͤußerliche Ehre befoͤrdern kann, ohne von der Tugend, dem einzigen wuͤrdigen Mittel wahrer Ehre abzuhaͤngen, z. Ex. Gewalt, Pracht, hohen Ehrenſtellen u. ſ. w. Die Unmaͤßigkeit dieſer Be- gierde beſtimmen wir nach eben den Regeln, nach wel- chen vorher die Unmaͤßigkeit der Begierde nach ſinnlichen Vergnuͤgungen beurtheilt worden war. Jch uͤberließ es ihm nun ſelbſt zu entſcheiden, ob ihn nicht dieſe ſeine un- gluͤckliche Neigung, beſonders in den letzten Jahren ſei- nes Lebens, zu folgenden Vergehungen gegen Gott, die menſchliche Geſellſchaft, und ſich ſelbſt verleitet habe. Sie haben ſich zu hohe Vorſtellungen von Jh- rem Verſtande und von der Guͤte Jhrer Abſichten ge- macht, welche Sie doch nur am Ende als Mittel Jhrer Hauptleidenſchaft begehrten. “Er ſey ſo thoͤricht gewe- ſen, ſich von jemand, der zu viel auf ihn gehalten habe, uͤber

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/78>, abgerufen am 28.03.2024.