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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779.

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ner hinging und untersucht, ob Gaßners
Wesen wahr Mirakel sey, wollt er sechs
neue Louisd'or aus seinem Beutel dran spen-
diren. Da haben ihm nun die Spitzköpf'
die Berliner drauf geantwortet, daß es mit
dieser Untersuchung der Thatsach' so viel als
nichts sey, und der Forscher so klug wieder
heimkehren werd, als er ausgereißt sey:
Ursache des, weil aus der Thatsach' nicht
zu erhärten stünd, ob die Krankheiten die
Gaßner heilt', und seine Heilungsmethod'
natürlich oder übernatürlich wären.

Jst im Grund ganz richtig; aber warum
nicht zu erhärten? Da liegt der Knoten,
den ich mir physiognomisch zu lösen getrau'.
Nämlich: weil alles was inwendig im
Menschen ist, sich auf die Oberfläche des
Angesichts aufs deutlichste, gleichsam als
auf einem Spiegel zeichnet: so muß ein-
folglich auch, wo der Teufel innen sizt, dies
sich in gewissen Lineamenten absonderlich,
oder in der Harmonie aller zusammen verof-
fenbaren, und ist kein Zweifel, daß der
Buchstab' der Verteufelung eben so gewiß
als der Buchstab' des Verstandes und des
Genies im physiognomischen Alphabet vor-
handen sey; aber wer kann ihn aufsagen?

Er
D 4

ner hinging und unterſucht, ob Gaßners
Weſen wahr Mirakel ſey, wollt er ſechs
neue Louisd’or aus ſeinem Beutel dran ſpen-
diren. Da haben ihm nun die Spitzkoͤpf’
die Berliner drauf geantwortet, daß es mit
dieſer Unterſuchung der Thatſach’ ſo viel als
nichts ſey, und der Forſcher ſo klug wieder
heimkehren werd, als er ausgereißt ſey:
Urſache des, weil aus der Thatſach’ nicht
zu erhaͤrten ſtuͤnd, ob die Krankheiten die
Gaßner heilt’, und ſeine Heilungsmethod’
natuͤrlich oder uͤbernatuͤrlich waͤren.

Jſt im Grund ganz richtig; aber warum
nicht zu erhaͤrten? Da liegt der Knoten,
den ich mir phyſiognomiſch zu loͤſen getrau’.
Naͤmlich: weil alles was inwendig im
Menſchen iſt, ſich auf die Oberflaͤche des
Angeſichts aufs deutlichſte, gleichſam als
auf einem Spiegel zeichnet: ſo muß ein-
folglich auch, wo der Teufel innen ſizt, dies
ſich in gewiſſen Lineamenten abſonderlich,
oder in der Harmonie aller zuſammen verof-
fenbaren, und iſt kein Zweifel, daß der
Buchſtab’ der Verteufelung eben ſo gewiß
als der Buchſtab’ des Verſtandes und des
Genies im phyſiognomiſchen Alphabet vor-
handen ſey; aber wer kann ihn aufſagen?

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[55/0061] ner hinging und unterſucht, ob Gaßners Weſen wahr Mirakel ſey, wollt er ſechs neue Louisd’or aus ſeinem Beutel dran ſpen- diren. Da haben ihm nun die Spitzkoͤpf’ die Berliner drauf geantwortet, daß es mit dieſer Unterſuchung der Thatſach’ ſo viel als nichts ſey, und der Forſcher ſo klug wieder heimkehren werd, als er ausgereißt ſey: Urſache des, weil aus der Thatſach’ nicht zu erhaͤrten ſtuͤnd, ob die Krankheiten die Gaßner heilt’, und ſeine Heilungsmethod’ natuͤrlich oder uͤbernatuͤrlich waͤren. Jſt im Grund ganz richtig; aber warum nicht zu erhaͤrten? Da liegt der Knoten, den ich mir phyſiognomiſch zu loͤſen getrau’. Naͤmlich: weil alles was inwendig im Menſchen iſt, ſich auf die Oberflaͤche des Angeſichts aufs deutlichſte, gleichſam als auf einem Spiegel zeichnet: ſo muß ein- folglich auch, wo der Teufel innen ſizt, dies ſich in gewiſſen Lineamenten abſonderlich, oder in der Harmonie aller zuſammen verof- fenbaren, und iſt kein Zweifel, daß der Buchſtab’ der Verteufelung eben ſo gewiß als der Buchſtab’ des Verſtandes und des Genies im phyſiognomiſchen Alphabet vor- handen ſey; aber wer kann ihn aufſagen? Er D 4

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 1, 2. Aufl. Altenburg, 1779, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen01_1779/61>, abgerufen am 28.03.2024.