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Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779.

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halt geschehen wäre, gewiß nicht würde ent-
gangen seyn? Wahrlich, Cousine, ich ver-
stehs und begreifs nicht, was Sie zu einer
so feindseligen Jnvasion in mein Gebiete
veranlaßt hat! Gränzstrittigkeiten haben wir
doch meines Wissens nicht mit einander;
außer daß wir unter einem Dach wohnen,
haben wir nichts gemein. Unsere Residen-
zen liegen ia weit genug auseinander, und
sind durch feste Scheidewände, auch Schloß
und Riegel abgesondert. Jch gesteh Jhnen
alle Rechte des Eigenthums in Jhrem An-
theil meines Hauses zu, und habe dafür
eben die Achtung, welche die Griechen ehe-
mals in ihren Wohnungen dem Gynäceum
erwiesen. Als die Sophie Jhnen den er-
sten Besuch machte, und Sie beym Weg-
gehen hinter ihr her kehren ließen, wie in
einem Kartheuserkloster, wenn's ein Ketzer
durch seinen profanen Fußtritt entweihet hat:
so klagte das liebe Geschöpf mir diese

Schmach
H 4

halt geſchehen waͤre, gewiß nicht wuͤrde ent-
gangen ſeyn? Wahrlich, Couſine, ich ver-
ſtehs und begreifs nicht, was Sie zu einer
ſo feindſeligen Jnvaſion in mein Gebiete
veranlaßt hat! Graͤnzſtrittigkeiten haben wir
doch meines Wiſſens nicht mit einander;
außer daß wir unter einem Dach wohnen,
haben wir nichts gemein. Unſere Reſiden-
zen liegen ia weit genug auseinander, und
ſind durch feſte Scheidewaͤnde, auch Schloß
und Riegel abgeſondert. Jch geſteh Jhnen
alle Rechte des Eigenthums in Jhrem An-
theil meines Hauſes zu, und habe dafuͤr
eben die Achtung, welche die Griechen ehe-
mals in ihren Wohnungen dem Gynaͤceum
erwieſen. Als die Sophie Jhnen den er-
ſten Beſuch machte, und Sie beym Weg-
gehen hinter ihr her kehren ließen, wie in
einem Kartheuſerkloſter, wenn’s ein Ketzer
durch ſeinen profanen Fußtritt entweihet hat:
ſo klagte das liebe Geſchoͤpf mir dieſe

Schmach
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[119/0127] halt geſchehen waͤre, gewiß nicht wuͤrde ent- gangen ſeyn? Wahrlich, Couſine, ich ver- ſtehs und begreifs nicht, was Sie zu einer ſo feindſeligen Jnvaſion in mein Gebiete veranlaßt hat! Graͤnzſtrittigkeiten haben wir doch meines Wiſſens nicht mit einander; außer daß wir unter einem Dach wohnen, haben wir nichts gemein. Unſere Reſiden- zen liegen ia weit genug auseinander, und ſind durch feſte Scheidewaͤnde, auch Schloß und Riegel abgeſondert. Jch geſteh Jhnen alle Rechte des Eigenthums in Jhrem An- theil meines Hauſes zu, und habe dafuͤr eben die Achtung, welche die Griechen ehe- mals in ihren Wohnungen dem Gynaͤceum erwieſen. Als die Sophie Jhnen den er- ſten Beſuch machte, und Sie beym Weg- gehen hinter ihr her kehren ließen, wie in einem Kartheuſerkloſter, wenn’s ein Ketzer durch ſeinen profanen Fußtritt entweihet hat: ſo klagte das liebe Geſchoͤpf mir dieſe Schmach H 4

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Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Physiognomische Reisen. Bd. 4. Altenburg, 1779, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_reisen04_1779/127>, abgerufen am 28.03.2024.