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Badener Zeitung. Nr. 27, Baden (Niederösterreich), 04.01.1908.

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Mittwoch Badener Zeitung 1. April 1908. Nr. 27.

[Spaltenumbruch]

schmählich durchfallen. Das ist einmal heute
noch so in Oesterreich und mit dieser Tatsache
muß der ernste Realpolitiker rechnen.

Aber es muß ja doch in einem konstitu-
tionell regierten Staate Staatsgrundgesetze
geben. Jawohl, aber der österreichische Konsti-
tutionalismus ist eben etwas ganz besonderes:
er ist nach der Definition des Grafen Taaffe
eigentlich gar kein Konstitutionalismus und
deshalb hat schon Graf Taaffe die öster-
reichischen Staatsgrundgesetze als ein wertloses
Stück Papier behandelt und alle nachfolgen-
den Regierungen haben so ziemlich das gleiche
getan.

Die Intellektuellen, d. h. jene Staats-
bürger, welche auf einen hohen Standpunkt
der allgemeinen Bildung stehen, sind in allen
Staaten eigentlich nur eine kleine Minorität.
Aber dieser Minorität einen bedeutenden Ein-
fluß auf die Führung der Staatsgeschäfte ein-
zuräumen, ist schließlich eine Notwendigkeit
und in dem Anerkennen dieser Notwendigkeit
liegt die höchste Staatsklugheit. In Oester-
reich ist es nun einmal nicht der Fall; man
will von den Intellektuellen so wenig als
möglich wissen und hat es die Macht der
schwarzen Internationalen zuwege gebracht,
daß dieselben im Abgeordnetenhause recht
gering vertreten sind. Nun werden auf einmal
die Intellektuellen zur höchsten Kraftleistung
aufgefordert, um das Größte zu leisten. Wenn
es nun dieser winzigen Minorität des Abge-
ordnetenhauses gelingen sollte, die schwierigste
Aufgabe Oesterreichs zu leisten, wird diese
Leistung auch irgendwelche wirkliche Bedeu-
tung und Anerkennung haben? Kann diese
winzige Minorität etwas anderes fertig brin-
gen, als ein neues Staatsgrundgesetz? Haben
die Regierungen Oesterreichs aber
nicht seit einem Menschenalter den
Begriff und den Wert der Staats-
grundgesetze irgendwie gepflegt und
deren Bestehen als etwas Unantast-
bares geschützt?

Man hat im Gegenteil eine geradezu
staatsgefährliche Praxis zwar nicht eingeführt,
aber doch geduldet. Man hat geduldet, daß
die Staatsgrundgesetze im Verwaltungswege
umgangen und damit jedem zukünftigen Staats-
grundgesetz die Grundlage benommen werden.
Das ganze große Staatswesen Oesterreichs
kam durch diesen politischen Leichtsinn auf
jene schiefe Ebene, auf welcher heute das
Ministerium Beck steht.

Man wird auch dieser Krise auf die in
Oesterreich üblichen Weise wahrscheinlich den
akuten Charakter benehmen -- aber die
schleichende Krankheit Oesterreichs ku-
riert kein Palliativmittel;
diese Krank-
heit wird sich bei jeder schwierigen Frage
melden. Wenn ein Sprachengesetz wirklich
fertig gestellt werden sollte, wird und kann
dasselbe mit großem Vertrauen aufgenommen
werden? Das ist das wahrheitsgetreue Mo-
mentbild der heutigen politischen Lage.





Gerade als wir vorliegenden Aufsatz
beendet hatten, erhalten wir die heutigen
Zeitungen, aus welchen wir entnehmen, daß
im Budgetausschusse gestern eine neueste po-
litische Situation in der Sprachengesetzfrage
entstanden ist. Selbst ein Sprachengesetz, über
dessen Interpretation zu ihren Gunsten nach
jahrelanger Praxis die Tschechen beruhigt
sein könnten, genügt ihnen nicht mehr. Was
sie aber eigentlich wollen, ist uns im Augen-
blick nicht verständlich, nur das ist wohl ganz
[Spaltenumbruch] klar, daß Herr Kramarsch seinen letzten Trumpf
ausgespielt hat, um die Zügel der Führung
der Tschechen im Abgeordnetenhause wieder
in die Hand zu bekommen. Andererseits
liegen aber wieder Nachrichten vor, daß ein
Kampf zwischen den tschechischen und deutschen
Gerichten zu beginnen scheint. Außerdem ver-
langen die deutschen Rechtsanwälte vor Fer-
tigstellung des Sprachengesetzes gehört zu
werden und drohen mit der Zurückziehung
ihrer Funktionäre aus der Advokatenkammer
in Prag, wo bisher ein verträgliches Einver-
nehmen stattfand.

Das ist eine politische Hyperkomplikation,
wie eine solche in einem anderen Staate
wohl kaum denkbar ist. Guter Rat ist da
wirklich unerschwinglich teuer.

X. Y. Z.



Eine mißlungene Sprengung
einer Versammlung der "Freien
Schule".

Vergangenen Sonntag fand in Felixdorf in
Kandler's Restaurationssaal die konstituierende Ver-
sammlung einer Ortsgruppe des Vereines "Freie
Schule" statt, die eine der interessantesten und impo-
santesten in letzterer Zeit war. Der geräumige Saal
war von zirka 500 Personen, zumeist dem Arbeiter-
stande angehörig, besetzt, unter denen sich jedoch auch
ziemlich viele Gegner unter Führung des bekannten
Hetzkaplanes P. Berger aus Wien befanden. Schon
vor Beginn der Versammlung wurde die Absicht
derselben, die Versammlung zu sprengen, bekannt.

Kurz nach 6 Uhr eröffneten die Proponenten die
Versammlung mit einer Begrüßung der Erschienenen,
namentlich der Referenten und Ortsgruppenvertreter,
worauf Prof. Süß aus Baden zum Vorsitzenden
gewählt wurde. Dieser erteilte zunächst dem Referenten
der Wiener Zentrale, Herrn Lehrer Höfer aus
Wien das Wort, der über den "Einfluß des Kleri-
kalismus in der Schule" sprach. Als er hiebei die
Wiener Schulverhältnisse streifte, fiel aus dem Lager
der Gegner der Ruf "Hoch Lueger", der das Signal
zu einem wirren Durcheinander gab. Die Anhänger
der freien Schule ließen sich diese Störung nicht
gefallen und es gab Ausrufe hüben und drüben, und
fast hatte es den Anschein, als ob die Versammlung
resultatlos verlaufen würde. Den Bemühungen der
Ordner und des Vorsitzenden gelang es nach etwa
zehn Minuten andauerndem chaotischen Zustande,
Ordnung zu schaffen und die Versammlung fortzu-
setzen, während ein Teil der Gegner sich aus der-
selben entfernte, nachdem sie eingesehen, daß sie sich
denn doch zu schwach befänden, mit ihrer Absicht
durchzudringen. Nur Kooperator Berger blieb im
Saale zurück. Als der Referent seine oft von dröhnendem
Beifall begleiteten Ausführungen beendet hatte, meldete
er sich zum Worte; der Vorsitzende, der einen dies-
bezüglichen Versammlungsbeschluß einholte, erklärte
jedoch, daß er ihm dies erst, nachdem die angemel-
deten Referenten gesprochen, erteilen könne. Dies war
nun nicht nach dem Geschmacke des Herrn Kooperators
und er protestierte heftig gegen diesen Versamm-
lungsbeschluß;
es mag nun begreiflich erscheinen,
daß die Versammlungsteilnehmer sich gegen diesen
Mißbrauch des als Gast anwesenden geistlichen Herrn
wendeten; während die spärlichen Reste des ihm noch
treugebliebenen Anhanges sich um ihn sammelten,
bestieg dieser einen Stuhl und mit nicht mißzuver-
stehender Handbewegung wollte er in dem Lärm an-
deuten, daß unter diesen Umständen an eine Fort-
setzung der Versammlung nicht zu denken sei. Wirre
Rufe und Pfiffe ertönten durcheinander und es schien
noch einmal, als ob es zu Tätlichkeiten kommen
könnte. Erst als die Ordner wieder kräftig und ent-
schieden eingriffen, trat allmählich wieder Ruhe ein.
Da die Reihen der Gegner, das Nutzlose ihres Be-
ginnens einsehend, sich immer mehr lichteten, konnte
sich auch der Vorsitzende endlich vernehmbar machen;
mit einem kräftigen Appell an die Anhänger des
Vereines, den Gegnern keinen Anlaß zu Störungen
zu geben, konnte die Versammlung wieder weiter
tagen. Der nächste Redner, Ingenieur Hillbrand
aus Leobersdorf, sprach über "die Moral unter dem
Klerus", der sich zum Sittenprediger über andere
aufwerfe, welche Ausführungen er durch treffliche
Beispiele aus der Geschichte illustrierte; Frau In-
genieur Hillbrand wendete sich vornehmlich an
[Spaltenumbruch] die anwesenden Frauen und Mädchen, die sie über
die Methodik des Religionsunterrichtes und über den
Zwang zu religiösen Uebungen aufklärte; Fräulein
Melanie Lautenschläger sprach über das ethische
Moment der freien Schule, wofür beide Damen viel
Applaus ernteten.

Schließlich kam noch Kooperator Berger zu
Wort. Gleich den früheren Rednern sollte auch er
im voraus die Zeit angeben, welche er zum Sprechen
benötigte, doch hievon wollte er jedoch nichts wissen
und nach einer längeren nutzlosen Auseinandersetzung
mit dem Vorsitzenden wurde ihm eine Sprechzeit von
20 Minuten gewährt, die dann noch um fünf Minuten
verlängert wurde. Aber kaum hatte er einige Sätze
gesprochen, stieß er bei der ohnehin durch sein provo-
katorisches Benehmen erregten Menge auf Widerstand,
der bis zum Schlusse seiner Rede anhielt. Er be-
schäftigte sich vorerst mit seiner Vorrednerin Frau
Ingenieur Hillbrand, von deren Rede er die be-
kannte Erzählung mit dem Wallfisch, der den Jonas
verschluckte, widerlegen wollte. Aus einem theologischen
Werke, dessen Autor er nannte, sei ersichtlich, daß
in der biblischen Geschichte damit nur ein großer
Fisch gemeint sei, und von einem Wallfisch keine
Rede sein könne. (Bemerkt sei hier, daß die Vor-
rednerin mit keinem Worte der Geschichte mit dem
Wallfisch erwähnte; und der Herr Kooperator scheint
es auch absichtlich übersehen zu haben, daß diese
ominöse Wallfischgeschichte bis noch vor kurzem in den
Schulen gelehrt wurde.) Daß er so nebenbei einen
der Zwischenrufer in grober Weise beleidigte, reizte
die Menge nur noch mehr. Im weiteren Verlaufe kam
er auch auf die Wahrmundbroschüre zu sprechen
(stürmische langanhaltende Hochrufe auf Prof. Wahr-
mund) und teilte mit, daß er eine Stelle aus
derselben über den Gottesbegriff seinen
Kindern in der Schule vorgelesen habe,
die unbändig darüber gelacht hätten!

Nachdem der Herr Kooperator sich noch über die an-
gebliche "Freiheit der Meinungsäußerung" in den
Versammlungen der "Freien Schule" beschwerte,
die ihm absichtlich beschnitten worden sei, schloß
er, das Nutzlose seines Beginnens einsehend, seine
Rede. (Der Herr Kooperator scheint der Ansicht zu
sein, daß die Versammlungsteilnehmer regelmäßig
verpflichtet seien, seine öden Dauerreden anzuhören.)

Nachdem noch mehrere Redner kurz dem Herrn
Kooperator in treffender Weise erwiderten, besonders
aber Lehrer Höfer, der einen Sturm von Beifall
auslöste, schloß der Vorsitzende mit einer Aufforderung
zu festem treuen Zusammenstehen aller freisinnigen
Elemente und zum Beitritte in den Verein die Ver-
sammlung, die nach den Mienen und Aeußerungen der
Teilnehmer einen dauernden Eindruck hinterlassen
haben dürfte.

Es wird eine der ersten Aufgaben des neuen
Gauverbandes der an der Südbahnstrecke gelegenen
Ortsgruppen sein, seinen Versammlungen in Hinkunft
einen ruhigen Verlauf zu sichern. So wenig
denunziatorische Charaktere geduldet
werden können,
die auf den wirtschaftlichen Ruin
der Teilnehmer an derselben ausgehen, ebensowenig
wird es geduldet werden können, daß das
Gastrecht in so übermäßiger Weise in
Anspruch genommen, geschweige denn, daß
dieser Gast sich in Beleidigungen gegen
den Hausherrn ergehen kann.




Kommunal-Zeitung.



Zur
Geschichte des Neubaues eines Theaters.

Seit längerer Zeit versuchte ich es, unter dem
Pseudonym "Ein treuer Badener" oder "Ein Wohl-
meinender" die in den hiesigen Lokalblättern teils in
ganzen Artikeln, teils in der Form von "Einge-
sendet" veröffentlichten Argumente zu widerlegen, mit
welchen sich die bezüglichen Herren Verfasser die
Mühe gaben, gegen den Bau eines neuen Theaters
anzukämpfen. Jene geehrten Leser dieser Lokalblätter,
welche den betreffenden Veröffentlichungen einige
Aufmerksamkeit schenkten, werden bei billiger und
objektiver Beurteilung meiner versuchten Widerlegungen
mir zugestehen, daß ich jeder Polemik auszuweichen
bestrebt war und nie persönlich, sondern stets nur
sachlich geblieben bin. Wenn man jahrelang im öffent-
lichen Leben gestanden und auch gewirkt hat, wird
es zur zweiten Natur, sich auch dann noch, wenn
man schon das Bedürfnis nach Ruhe fühlt, sich mit
den die Oeffentlichkeit berührenden Angelegenheiten

Mittwoch Badener Zeitung 1. April 1908. Nr. 27.

[Spaltenumbruch]

ſchmählich durchfallen. Das iſt einmal heute
noch ſo in Oeſterreich und mit dieſer Tatſache
muß der ernſte Realpolitiker rechnen.

Aber es muß ja doch in einem konſtitu-
tionell regierten Staate Staatsgrundgeſetze
geben. Jawohl, aber der öſterreichiſche Konſti-
tutionalismus iſt eben etwas ganz beſonderes:
er iſt nach der Definition des Grafen Taaffe
eigentlich gar kein Konſtitutionalismus und
deshalb hat ſchon Graf Taaffe die öſter-
reichiſchen Staatsgrundgeſetze als ein wertloſes
Stück Papier behandelt und alle nachfolgen-
den Regierungen haben ſo ziemlich das gleiche
getan.

Die Intellektuellen, d. h. jene Staats-
bürger, welche auf einen hohen Standpunkt
der allgemeinen Bildung ſtehen, ſind in allen
Staaten eigentlich nur eine kleine Minorität.
Aber dieſer Minorität einen bedeutenden Ein-
fluß auf die Führung der Staatsgeſchäfte ein-
zuräumen, iſt ſchließlich eine Notwendigkeit
und in dem Anerkennen dieſer Notwendigkeit
liegt die höchſte Staatsklugheit. In Oeſter-
reich iſt es nun einmal nicht der Fall; man
will von den Intellektuellen ſo wenig als
möglich wiſſen und hat es die Macht der
ſchwarzen Internationalen zuwege gebracht,
daß dieſelben im Abgeordnetenhauſe recht
gering vertreten ſind. Nun werden auf einmal
die Intellektuellen zur höchſten Kraftleiſtung
aufgefordert, um das Größte zu leiſten. Wenn
es nun dieſer winzigen Minorität des Abge-
ordnetenhauſes gelingen ſollte, die ſchwierigſte
Aufgabe Oeſterreichs zu leiſten, wird dieſe
Leiſtung auch irgendwelche wirkliche Bedeu-
tung und Anerkennung haben? Kann dieſe
winzige Minorität etwas anderes fertig brin-
gen, als ein neues Staatsgrundgeſetz? Haben
die Regierungen Oeſterreichs aber
nicht ſeit einem Menſchenalter den
Begriff und den Wert der Staats-
grundgeſetze irgendwie gepflegt und
deren Beſtehen als etwas Unantaſt-
bares geſchützt?

Man hat im Gegenteil eine geradezu
ſtaatsgefährliche Praxis zwar nicht eingeführt,
aber doch geduldet. Man hat geduldet, daß
die Staatsgrundgeſetze im Verwaltungswege
umgangen und damit jedem zukünftigen Staats-
grundgeſetz die Grundlage benommen werden.
Das ganze große Staatsweſen Oeſterreichs
kam durch dieſen politiſchen Leichtſinn auf
jene ſchiefe Ebene, auf welcher heute das
Miniſterium Beck ſteht.

Man wird auch dieſer Kriſe auf die in
Oeſterreich üblichen Weiſe wahrſcheinlich den
akuten Charakter benehmen — aber die
ſchleichende Krankheit Oeſterreichs ku-
riert kein Palliativmittel;
dieſe Krank-
heit wird ſich bei jeder ſchwierigen Frage
melden. Wenn ein Sprachengeſetz wirklich
fertig geſtellt werden ſollte, wird und kann
dasſelbe mit großem Vertrauen aufgenommen
werden? Das iſt das wahrheitsgetreue Mo-
mentbild der heutigen politiſchen Lage.





Gerade als wir vorliegenden Aufſatz
beendet hatten, erhalten wir die heutigen
Zeitungen, aus welchen wir entnehmen, daß
im Budgetausſchuſſe geſtern eine neueſte po-
litiſche Situation in der Sprachengeſetzfrage
entſtanden iſt. Selbſt ein Sprachengeſetz, über
deſſen Interpretation zu ihren Gunſten nach
jahrelanger Praxis die Tſchechen beruhigt
ſein könnten, genügt ihnen nicht mehr. Was
ſie aber eigentlich wollen, iſt uns im Augen-
blick nicht verſtändlich, nur das iſt wohl ganz
[Spaltenumbruch] klar, daß Herr Kramarſch ſeinen letzten Trumpf
ausgeſpielt hat, um die Zügel der Führung
der Tſchechen im Abgeordnetenhauſe wieder
in die Hand zu bekommen. Andererſeits
liegen aber wieder Nachrichten vor, daß ein
Kampf zwiſchen den tſchechiſchen und deutſchen
Gerichten zu beginnen ſcheint. Außerdem ver-
langen die deutſchen Rechtsanwälte vor Fer-
tigſtellung des Sprachengeſetzes gehört zu
werden und drohen mit der Zurückziehung
ihrer Funktionäre aus der Advokatenkammer
in Prag, wo bisher ein verträgliches Einver-
nehmen ſtattfand.

Das iſt eine politiſche Hyperkomplikation,
wie eine ſolche in einem anderen Staate
wohl kaum denkbar iſt. Guter Rat iſt da
wirklich unerſchwinglich teuer.

X. Y. Z.



Eine mißlungene Sprengung
einer Verſammlung der „Freien
Schule“.

Vergangenen Sonntag fand in Felixdorf in
Kandler’s Reſtaurationsſaal die konſtituierende Ver-
ſammlung einer Ortsgruppe des Vereines „Freie
Schule“ ſtatt, die eine der intereſſanteſten und impo-
ſanteſten in letzterer Zeit war. Der geräumige Saal
war von zirka 500 Perſonen, zumeiſt dem Arbeiter-
ſtande angehörig, beſetzt, unter denen ſich jedoch auch
ziemlich viele Gegner unter Führung des bekannten
Hetzkaplanes P. Berger aus Wien befanden. Schon
vor Beginn der Verſammlung wurde die Abſicht
derſelben, die Verſammlung zu ſprengen, bekannt.

Kurz nach 6 Uhr eröffneten die Proponenten die
Verſammlung mit einer Begrüßung der Erſchienenen,
namentlich der Referenten und Ortsgruppenvertreter,
worauf Prof. Süß aus Baden zum Vorſitzenden
gewählt wurde. Dieſer erteilte zunächſt dem Referenten
der Wiener Zentrale, Herrn Lehrer Höfer aus
Wien das Wort, der über den „Einfluß des Kleri-
kalismus in der Schule“ ſprach. Als er hiebei die
Wiener Schulverhältniſſe ſtreifte, fiel aus dem Lager
der Gegner der Ruf „Hoch Lueger“, der das Signal
zu einem wirren Durcheinander gab. Die Anhänger
der freien Schule ließen ſich dieſe Störung nicht
gefallen und es gab Ausrufe hüben und drüben, und
faſt hatte es den Anſchein, als ob die Verſammlung
reſultatlos verlaufen würde. Den Bemühungen der
Ordner und des Vorſitzenden gelang es nach etwa
zehn Minuten andauerndem chaotiſchen Zuſtande,
Ordnung zu ſchaffen und die Verſammlung fortzu-
ſetzen, während ein Teil der Gegner ſich aus der-
ſelben entfernte, nachdem ſie eingeſehen, daß ſie ſich
denn doch zu ſchwach befänden, mit ihrer Abſicht
durchzudringen. Nur Kooperator Berger blieb im
Saale zurück. Als der Referent ſeine oft von dröhnendem
Beifall begleiteten Ausführungen beendet hatte, meldete
er ſich zum Worte; der Vorſitzende, der einen dies-
bezüglichen Verſammlungsbeſchluß einholte, erklärte
jedoch, daß er ihm dies erſt, nachdem die angemel-
deten Referenten geſprochen, erteilen könne. Dies war
nun nicht nach dem Geſchmacke des Herrn Kooperators
und er proteſtierte heftig gegen dieſen Verſamm-
lungsbeſchluß;
es mag nun begreiflich erſcheinen,
daß die Verſammlungsteilnehmer ſich gegen dieſen
Mißbrauch des als Gaſt anweſenden geiſtlichen Herrn
wendeten; während die ſpärlichen Reſte des ihm noch
treugebliebenen Anhanges ſich um ihn ſammelten,
beſtieg dieſer einen Stuhl und mit nicht mißzuver-
ſtehender Handbewegung wollte er in dem Lärm an-
deuten, daß unter dieſen Umſtänden an eine Fort-
ſetzung der Verſammlung nicht zu denken ſei. Wirre
Rufe und Pfiffe ertönten durcheinander und es ſchien
noch einmal, als ob es zu Tätlichkeiten kommen
könnte. Erſt als die Ordner wieder kräftig und ent-
ſchieden eingriffen, trat allmählich wieder Ruhe ein.
Da die Reihen der Gegner, das Nutzloſe ihres Be-
ginnens einſehend, ſich immer mehr lichteten, konnte
ſich auch der Vorſitzende endlich vernehmbar machen;
mit einem kräftigen Appell an die Anhänger des
Vereines, den Gegnern keinen Anlaß zu Störungen
zu geben, konnte die Verſammlung wieder weiter
tagen. Der nächſte Redner, Ingenieur Hillbrand
aus Leobersdorf, ſprach über „die Moral unter dem
Klerus“, der ſich zum Sittenprediger über andere
aufwerfe, welche Ausführungen er durch treffliche
Beiſpiele aus der Geſchichte illuſtrierte; Frau In-
genieur Hillbrand wendete ſich vornehmlich an
[Spaltenumbruch] die anweſenden Frauen und Mädchen, die ſie über
die Methodik des Religionsunterrichtes und über den
Zwang zu religiöſen Uebungen aufklärte; Fräulein
Melanie Lautenſchläger ſprach über das ethiſche
Moment der freien Schule, wofür beide Damen viel
Applaus ernteten.

Schließlich kam noch Kooperator Berger zu
Wort. Gleich den früheren Rednern ſollte auch er
im voraus die Zeit angeben, welche er zum Sprechen
benötigte, doch hievon wollte er jedoch nichts wiſſen
und nach einer längeren nutzloſen Auseinanderſetzung
mit dem Vorſitzenden wurde ihm eine Sprechzeit von
20 Minuten gewährt, die dann noch um fünf Minuten
verlängert wurde. Aber kaum hatte er einige Sätze
geſprochen, ſtieß er bei der ohnehin durch ſein provo-
katoriſches Benehmen erregten Menge auf Widerſtand,
der bis zum Schluſſe ſeiner Rede anhielt. Er be-
ſchäftigte ſich vorerſt mit ſeiner Vorrednerin Frau
Ingenieur Hillbrand, von deren Rede er die be-
kannte Erzählung mit dem Wallfiſch, der den Jonas
verſchluckte, widerlegen wollte. Aus einem theologiſchen
Werke, deſſen Autor er nannte, ſei erſichtlich, daß
in der bibliſchen Geſchichte damit nur ein großer
Fiſch gemeint ſei, und von einem Wallfiſch keine
Rede ſein könne. (Bemerkt ſei hier, daß die Vor-
rednerin mit keinem Worte der Geſchichte mit dem
Wallfiſch erwähnte; und der Herr Kooperator ſcheint
es auch abſichtlich überſehen zu haben, daß dieſe
ominöſe Wallfiſchgeſchichte bis noch vor kurzem in den
Schulen gelehrt wurde.) Daß er ſo nebenbei einen
der Zwiſchenrufer in grober Weiſe beleidigte, reizte
die Menge nur noch mehr. Im weiteren Verlaufe kam
er auch auf die Wahrmundbroſchüre zu ſprechen
(ſtürmiſche langanhaltende Hochrufe auf Prof. Wahr-
mund) und teilte mit, daß er eine Stelle aus
derſelben über den Gottesbegriff ſeinen
Kindern in der Schule vorgeleſen habe,
die unbändig darüber gelacht hätten!

Nachdem der Herr Kooperator ſich noch über die an-
gebliche „Freiheit der Meinungsäußerung“ in den
Verſammlungen der „Freien Schule“ beſchwerte,
die ihm abſichtlich beſchnitten worden ſei, ſchloß
er, das Nutzloſe ſeines Beginnens einſehend, ſeine
Rede. (Der Herr Kooperator ſcheint der Anſicht zu
ſein, daß die Verſammlungsteilnehmer regelmäßig
verpflichtet ſeien, ſeine öden Dauerreden anzuhören.)

Nachdem noch mehrere Redner kurz dem Herrn
Kooperator in treffender Weiſe erwiderten, beſonders
aber Lehrer Höfer, der einen Sturm von Beifall
auslöſte, ſchloß der Vorſitzende mit einer Aufforderung
zu feſtem treuen Zuſammenſtehen aller freiſinnigen
Elemente und zum Beitritte in den Verein die Ver-
ſammlung, die nach den Mienen und Aeußerungen der
Teilnehmer einen dauernden Eindruck hinterlaſſen
haben dürfte.

Es wird eine der erſten Aufgaben des neuen
Gauverbandes der an der Südbahnſtrecke gelegenen
Ortsgruppen ſein, ſeinen Verſammlungen in Hinkunft
einen ruhigen Verlauf zu ſichern. So wenig
denunziatoriſche Charaktere geduldet
werden können,
die auf den wirtſchaftlichen Ruin
der Teilnehmer an derſelben ausgehen, ebenſowenig
wird es geduldet werden können, daß das
Gaſtrecht in ſo übermäßiger Weiſe in
Anſpruch genommen, geſchweige denn, daß
dieſer Gaſt ſich in Beleidigungen gegen
den Hausherrn ergehen kann.




Kommunal-Zeitung.



Zur
Geſchichte des Neubaues eines Theaters.

Seit längerer Zeit verſuchte ich es, unter dem
Pſeudonym „Ein treuer Badener“ oder „Ein Wohl-
meinender“ die in den hieſigen Lokalblättern teils in
ganzen Artikeln, teils in der Form von „Einge-
ſendet“ veröffentlichten Argumente zu widerlegen, mit
welchen ſich die bezüglichen Herren Verfaſſer die
Mühe gaben, gegen den Bau eines neuen Theaters
anzukämpfen. Jene geehrten Leſer dieſer Lokalblätter,
welche den betreffenden Veröffentlichungen einige
Aufmerkſamkeit ſchenkten, werden bei billiger und
objektiver Beurteilung meiner verſuchten Widerlegungen
mir zugeſtehen, daß ich jeder Polemik auszuweichen
beſtrebt war und nie perſönlich, ſondern ſtets nur
ſachlich geblieben bin. Wenn man jahrelang im öffent-
lichen Leben geſtanden und auch gewirkt hat, wird
es zur zweiten Natur, ſich auch dann noch, wenn
man ſchon das Bedürfnis nach Ruhe fühlt, ſich mit
den die Oeffentlichkeit berührenden Angelegenheiten

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[2/0002] Mittwoch Badener Zeitung 1. April 1908. Nr. 27. ſchmählich durchfallen. Das iſt einmal heute noch ſo in Oeſterreich und mit dieſer Tatſache muß der ernſte Realpolitiker rechnen. Aber es muß ja doch in einem konſtitu- tionell regierten Staate Staatsgrundgeſetze geben. Jawohl, aber der öſterreichiſche Konſti- tutionalismus iſt eben etwas ganz beſonderes: er iſt nach der Definition des Grafen Taaffe eigentlich gar kein Konſtitutionalismus und deshalb hat ſchon Graf Taaffe die öſter- reichiſchen Staatsgrundgeſetze als ein wertloſes Stück Papier behandelt und alle nachfolgen- den Regierungen haben ſo ziemlich das gleiche getan. Die Intellektuellen, d. h. jene Staats- bürger, welche auf einen hohen Standpunkt der allgemeinen Bildung ſtehen, ſind in allen Staaten eigentlich nur eine kleine Minorität. 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Haben die Regierungen Oeſterreichs aber nicht ſeit einem Menſchenalter den Begriff und den Wert der Staats- grundgeſetze irgendwie gepflegt und deren Beſtehen als etwas Unantaſt- bares geſchützt? Man hat im Gegenteil eine geradezu ſtaatsgefährliche Praxis zwar nicht eingeführt, aber doch geduldet. Man hat geduldet, daß die Staatsgrundgeſetze im Verwaltungswege umgangen und damit jedem zukünftigen Staats- grundgeſetz die Grundlage benommen werden. Das ganze große Staatsweſen Oeſterreichs kam durch dieſen politiſchen Leichtſinn auf jene ſchiefe Ebene, auf welcher heute das Miniſterium Beck ſteht. Man wird auch dieſer Kriſe auf die in Oeſterreich üblichen Weiſe wahrſcheinlich den akuten Charakter benehmen — aber die ſchleichende Krankheit Oeſterreichs ku- riert kein Palliativmittel; dieſe Krank- heit wird ſich bei jeder ſchwierigen Frage melden. Wenn ein Sprachengeſetz wirklich fertig geſtellt werden ſollte, wird und kann dasſelbe mit großem Vertrauen aufgenommen werden? Das iſt das wahrheitsgetreue Mo- mentbild der heutigen politiſchen Lage. Baden, am 31. März 1908. Gerade als wir vorliegenden Aufſatz beendet hatten, erhalten wir die heutigen Zeitungen, aus welchen wir entnehmen, daß im Budgetausſchuſſe geſtern eine neueſte po- litiſche Situation in der Sprachengeſetzfrage entſtanden iſt. Selbſt ein Sprachengeſetz, über deſſen Interpretation zu ihren Gunſten nach jahrelanger Praxis die Tſchechen beruhigt ſein könnten, genügt ihnen nicht mehr. Was ſie aber eigentlich wollen, iſt uns im Augen- blick nicht verſtändlich, nur das iſt wohl ganz klar, daß Herr Kramarſch ſeinen letzten Trumpf ausgeſpielt hat, um die Zügel der Führung der Tſchechen im Abgeordnetenhauſe wieder in die Hand zu bekommen. Andererſeits liegen aber wieder Nachrichten vor, daß ein Kampf zwiſchen den tſchechiſchen und deutſchen Gerichten zu beginnen ſcheint. Außerdem ver- langen die deutſchen Rechtsanwälte vor Fer- tigſtellung des Sprachengeſetzes gehört zu werden und drohen mit der Zurückziehung ihrer Funktionäre aus der Advokatenkammer in Prag, wo bisher ein verträgliches Einver- nehmen ſtattfand. Das iſt eine politiſche Hyperkomplikation, wie eine ſolche in einem anderen Staate wohl kaum denkbar iſt. Guter Rat iſt da wirklich unerſchwinglich teuer. X. Y. Z. Eine mißlungene Sprengung einer Verſammlung der „Freien Schule“. Vergangenen Sonntag fand in Felixdorf in Kandler’s Reſtaurationsſaal die konſtituierende Ver- ſammlung einer Ortsgruppe des Vereines „Freie Schule“ ſtatt, die eine der intereſſanteſten und impo- ſanteſten in letzterer Zeit war. Der geräumige Saal war von zirka 500 Perſonen, zumeiſt dem Arbeiter- ſtande angehörig, beſetzt, unter denen ſich jedoch auch ziemlich viele Gegner unter Führung des bekannten Hetzkaplanes P. Berger aus Wien befanden. Schon vor Beginn der Verſammlung wurde die Abſicht derſelben, die Verſammlung zu ſprengen, bekannt. Kurz nach 6 Uhr eröffneten die Proponenten die Verſammlung mit einer Begrüßung der Erſchienenen, namentlich der Referenten und Ortsgruppenvertreter, worauf Prof. Süß aus Baden zum Vorſitzenden gewählt wurde. Dieſer erteilte zunächſt dem Referenten der Wiener Zentrale, Herrn Lehrer Höfer aus Wien das Wort, der über den „Einfluß des Kleri- kalismus in der Schule“ ſprach. Als er hiebei die Wiener Schulverhältniſſe ſtreifte, fiel aus dem Lager der Gegner der Ruf „Hoch Lueger“, der das Signal zu einem wirren Durcheinander gab. Die Anhänger der freien Schule ließen ſich dieſe Störung nicht gefallen und es gab Ausrufe hüben und drüben, und faſt hatte es den Anſchein, als ob die Verſammlung reſultatlos verlaufen würde. Den Bemühungen der Ordner und des Vorſitzenden gelang es nach etwa zehn Minuten andauerndem chaotiſchen Zuſtande, Ordnung zu ſchaffen und die Verſammlung fortzu- ſetzen, während ein Teil der Gegner ſich aus der- ſelben entfernte, nachdem ſie eingeſehen, daß ſie ſich denn doch zu ſchwach befänden, mit ihrer Abſicht durchzudringen. Nur Kooperator Berger blieb im Saale zurück. Als der Referent ſeine oft von dröhnendem Beifall begleiteten Ausführungen beendet hatte, meldete er ſich zum Worte; der Vorſitzende, der einen dies- bezüglichen Verſammlungsbeſchluß einholte, erklärte jedoch, daß er ihm dies erſt, nachdem die angemel- deten Referenten geſprochen, erteilen könne. Dies war nun nicht nach dem Geſchmacke des Herrn Kooperators und er proteſtierte heftig gegen dieſen Verſamm- lungsbeſchluß; es mag nun begreiflich erſcheinen, daß die Verſammlungsteilnehmer ſich gegen dieſen Mißbrauch des als Gaſt anweſenden geiſtlichen Herrn wendeten; während die ſpärlichen Reſte des ihm noch treugebliebenen Anhanges ſich um ihn ſammelten, beſtieg dieſer einen Stuhl und mit nicht mißzuver- ſtehender Handbewegung wollte er in dem Lärm an- deuten, daß unter dieſen Umſtänden an eine Fort- ſetzung der Verſammlung nicht zu denken ſei. Wirre Rufe und Pfiffe ertönten durcheinander und es ſchien noch einmal, als ob es zu Tätlichkeiten kommen könnte. Erſt als die Ordner wieder kräftig und ent- ſchieden eingriffen, trat allmählich wieder Ruhe ein. Da die Reihen der Gegner, das Nutzloſe ihres Be- ginnens einſehend, ſich immer mehr lichteten, konnte ſich auch der Vorſitzende endlich vernehmbar machen; mit einem kräftigen Appell an die Anhänger des Vereines, den Gegnern keinen Anlaß zu Störungen zu geben, konnte die Verſammlung wieder weiter tagen. Der nächſte Redner, Ingenieur Hillbrand aus Leobersdorf, ſprach über „die Moral unter dem Klerus“, der ſich zum Sittenprediger über andere aufwerfe, welche Ausführungen er durch treffliche Beiſpiele aus der Geſchichte illuſtrierte; Frau In- genieur Hillbrand wendete ſich vornehmlich an die anweſenden Frauen und Mädchen, die ſie über die Methodik des Religionsunterrichtes und über den Zwang zu religiöſen Uebungen aufklärte; Fräulein Melanie Lautenſchläger ſprach über das ethiſche Moment der freien Schule, wofür beide Damen viel Applaus ernteten. Schließlich kam noch Kooperator Berger zu Wort. Gleich den früheren Rednern ſollte auch er im voraus die Zeit angeben, welche er zum Sprechen benötigte, doch hievon wollte er jedoch nichts wiſſen und nach einer längeren nutzloſen Auseinanderſetzung mit dem Vorſitzenden wurde ihm eine Sprechzeit von 20 Minuten gewährt, die dann noch um fünf Minuten verlängert wurde. Aber kaum hatte er einige Sätze geſprochen, ſtieß er bei der ohnehin durch ſein provo- katoriſches Benehmen erregten Menge auf Widerſtand, der bis zum Schluſſe ſeiner Rede anhielt. Er be- ſchäftigte ſich vorerſt mit ſeiner Vorrednerin Frau Ingenieur Hillbrand, von deren Rede er die be- kannte Erzählung mit dem Wallfiſch, der den Jonas verſchluckte, widerlegen wollte. Aus einem theologiſchen Werke, deſſen Autor er nannte, ſei erſichtlich, daß in der bibliſchen Geſchichte damit nur ein großer Fiſch gemeint ſei, und von einem Wallfiſch keine Rede ſein könne. (Bemerkt ſei hier, daß die Vor- rednerin mit keinem Worte der Geſchichte mit dem Wallfiſch erwähnte; und der Herr Kooperator ſcheint es auch abſichtlich überſehen zu haben, daß dieſe ominöſe Wallfiſchgeſchichte bis noch vor kurzem in den Schulen gelehrt wurde.) Daß er ſo nebenbei einen der Zwiſchenrufer in grober Weiſe beleidigte, reizte die Menge nur noch mehr. Im weiteren Verlaufe kam er auch auf die Wahrmundbroſchüre zu ſprechen (ſtürmiſche langanhaltende Hochrufe auf Prof. Wahr- mund) und teilte mit, daß er eine Stelle aus derſelben über den Gottesbegriff ſeinen Kindern in der Schule vorgeleſen habe, die unbändig darüber gelacht hätten! Nachdem der Herr Kooperator ſich noch über die an- gebliche „Freiheit der Meinungsäußerung“ in den Verſammlungen der „Freien Schule“ beſchwerte, die ihm abſichtlich beſchnitten worden ſei, ſchloß er, das Nutzloſe ſeines Beginnens einſehend, ſeine Rede. (Der Herr Kooperator ſcheint der Anſicht zu ſein, daß die Verſammlungsteilnehmer regelmäßig verpflichtet ſeien, ſeine öden Dauerreden anzuhören.) Nachdem noch mehrere Redner kurz dem Herrn Kooperator in treffender Weiſe erwiderten, beſonders aber Lehrer Höfer, der einen Sturm von Beifall auslöſte, ſchloß der Vorſitzende mit einer Aufforderung zu feſtem treuen Zuſammenſtehen aller freiſinnigen Elemente und zum Beitritte in den Verein die Ver- ſammlung, die nach den Mienen und Aeußerungen der Teilnehmer einen dauernden Eindruck hinterlaſſen haben dürfte. Es wird eine der erſten Aufgaben des neuen Gauverbandes der an der Südbahnſtrecke gelegenen Ortsgruppen ſein, ſeinen Verſammlungen in Hinkunft einen ruhigen Verlauf zu ſichern. So wenig denunziatoriſche Charaktere geduldet werden können, die auf den wirtſchaftlichen Ruin der Teilnehmer an derſelben ausgehen, ebenſowenig wird es geduldet werden können, daß das Gaſtrecht in ſo übermäßiger Weiſe in Anſpruch genommen, geſchweige denn, daß dieſer Gaſt ſich in Beleidigungen gegen den Hausherrn ergehen kann. Kommunal-Zeitung. Zur Geſchichte des Neubaues eines Theaters. Von kaiſ. Rat Adolph Künaſt. Seit längerer Zeit verſuchte ich es, unter dem Pſeudonym „Ein treuer Badener“ oder „Ein Wohl- meinender“ die in den hieſigen Lokalblättern teils in ganzen Artikeln, teils in der Form von „Einge- ſendet“ veröffentlichten Argumente zu widerlegen, mit welchen ſich die bezüglichen Herren Verfaſſer die Mühe gaben, gegen den Bau eines neuen Theaters anzukämpfen. Jene geehrten Leſer dieſer Lokalblätter, welche den betreffenden Veröffentlichungen einige Aufmerkſamkeit ſchenkten, werden bei billiger und objektiver Beurteilung meiner verſuchten Widerlegungen mir zugeſtehen, daß ich jeder Polemik auszuweichen beſtrebt war und nie perſönlich, ſondern ſtets nur ſachlich geblieben bin. Wenn man jahrelang im öffent- lichen Leben geſtanden und auch gewirkt hat, wird es zur zweiten Natur, ſich auch dann noch, wenn man ſchon das Bedürfnis nach Ruhe fühlt, ſich mit den die Oeffentlichkeit berührenden Angelegenheiten

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Zitationshilfe: Badener Zeitung. Nr. 27, Baden (Niederösterreich), 04.01.1908, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_badener027_1908/2>, abgerufen am 19.04.2024.